Der zwey und dreyßigste Brief. Die Fortsetzung von Herrn Lovelace.
Es ist weit besser, Bruder, daß man seine Historie selbst erzählet, wenn sie doch be- kannt werden muß, als daß man sie für sich von einem Feinde erzählen lasse. Weil ich dieß wohl wußte: so gab ich ihnen eine umständliche Nach- richt, wie sehr ich bey ihr darauf gedrungen hät- te, nachdem ich von ihr gereiset wäre, den Don- nerstag, der ihres Onkels Geburtstag gewesen, und ihr zu gefallen ernannt worden, zu der ge- heimen Vollziehung unserer Heyrath zu bestim- men; da ich einige Tage vorher schon wirklich einen Trauschein ausgewirkt hätte, der noch bey ihr wäre.
Jch erzählte, daß ich mich erboten hätte; weil ich sie nicht gewinnen können, mir das ge- ringste zu versprechen, so lange sie unter einem vermeynten Zwange wäre; ihr vollkommene Frey- heit zu lassen, wofern sie mir auf den Tag die geringste Hoffnung machen wollte. Allein auch dieß Erbieten hätte mir nicht geholfen.
Da diese Unbiegsamkeit mich zur Verzweife- lung gebracht: so hätte ich mich entschlossen,
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Der zwey und dreyßigſte Brief. Die Fortſetzung von Herrn Lovelace.
Es iſt weit beſſer, Bruder, daß man ſeine Hiſtorie ſelbſt erzaͤhlet, wenn ſie doch be- kannt werden muß, als daß man ſie fuͤr ſich von einem Feinde erzaͤhlen laſſe. Weil ich dieß wohl wußte: ſo gab ich ihnen eine umſtaͤndliche Nach- richt, wie ſehr ich bey ihr darauf gedrungen haͤt- te, nachdem ich von ihr gereiſet waͤre, den Don- nerſtag, der ihres Onkels Geburtstag geweſen, und ihr zu gefallen ernannt worden, zu der ge- heimen Vollziehung unſerer Heyrath zu beſtim- men; da ich einige Tage vorher ſchon wirklich einen Trauſchein ausgewirkt haͤtte, der noch bey ihr waͤre.
Jch erzaͤhlte, daß ich mich erboten haͤtte; weil ich ſie nicht gewinnen koͤnnen, mir das ge- ringſte zu verſprechen, ſo lange ſie unter einem vermeynten Zwange waͤre; ihr vollkommene Frey- heit zu laſſen, wofern ſie mir auf den Tag die geringſte Hoffnung machen wollte. Allein auch dieß Erbieten haͤtte mir nicht geholfen.
Da dieſe Unbiegſamkeit mich zur Verzweife- lung gebracht: ſo haͤtte ich mich entſchloſſen,
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Der zwey und dreyßigſte Brief.
Die Fortſetzung
von
Herrn Lovelace.
Es iſt weit beſſer, Bruder, daß man ſeine
Hiſtorie ſelbſt erzaͤhlet, wenn ſie doch be-
kannt werden muß, als daß man ſie fuͤr ſich von
einem Feinde erzaͤhlen laſſe. Weil ich dieß wohl
wußte: ſo gab ich ihnen eine umſtaͤndliche Nach-
richt, wie ſehr ich bey ihr darauf gedrungen haͤt-
te, nachdem ich von ihr gereiſet waͤre, den Don-
nerſtag, der ihres Onkels Geburtstag geweſen,
und ihr zu gefallen ernannt worden, zu der ge-
heimen Vollziehung unſerer Heyrath zu beſtim-
men; da ich einige Tage vorher ſchon wirklich
einen Trauſchein ausgewirkt haͤtte, der noch bey
ihr waͤre.
Jch erzaͤhlte, daß ich mich erboten haͤtte;
weil ich ſie nicht gewinnen koͤnnen, mir das ge-
ringſte zu verſprechen, ſo lange ſie unter einem
vermeynten Zwange waͤre; ihr vollkommene Frey-
heit zu laſſen, wofern ſie mir auf den Tag die
geringſte Hoffnung machen wollte. Allein auch
dieß Erbieten haͤtte mir nicht geholfen.
Da dieſe Unbiegſamkeit mich zur Verzweife-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/235>, abgerufen am 30.12.2024.
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