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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

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Der fünf und siebenzigste Brief
von
Herrn Lovelacen an Herrn Joh. Belford.

Nachdem ich mir die Mühe genommen hatte, dir
von allen meinen Absichten und Entschliessun-
gen gegen diese Crone aller Geschöpfe ausführliche
Nachricht zu geben; so hätte ich nicht erwartet, daß
du, als ihr Vorsprecher, dergleichen Grillen schreiben
würdest, ehe ich noch einen Versuch an sie gethan
habe: da du doch selbst in einem deiner vorigen Brie-
fe der Meynung bist, daß sie in ihren jetzigen Um-
ständen überwindlich sey.

Die meisten von deinen tiefen Betrachtungen, z.
E. daß das Vergnügen sehr verschieden sey, welches
wir freyen Liebhaber von einem sinnlichen und von ei-
nem recht vernünftigen Frauenzimmer zu erwarten
haben, können besser nachher als zum voraus ange-
stellet werden.

Jch gestehe das, was unser Dichter saget:
daß die Freude schön ist, wenn sie uns sucht,
und sich lächelnd in unsern Busen wirft.
Al-
lein kann man wohl erwarten, daß ein so wohl, ja so
vornehm erzogenes Frauenzimmer sich vor dem
Sturm ergeben wird? Habe ich diese Schöne bisher
auch nur aufgefodert? Jch stelle mir allerdings zum
voraus viele Schwierigkeiten vor: deswegen werde
ich sie unverhofft überfallen. Hiebey könnte einige
Grausamkeit nöthig seyn. Allein man kann sich einan-
der in dem heftigsten Streit verstehen; man kann Wi-

der-
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Der fuͤnf und ſiebenzigſte Brief
von
Herrn Lovelacen an Herrn Joh. Belford.

Nachdem ich mir die Muͤhe genommen hatte, dir
von allen meinen Abſichten und Entſchlieſſun-
gen gegen dieſe Crone aller Geſchoͤpfe ausfuͤhrliche
Nachricht zu geben; ſo haͤtte ich nicht erwartet, daß
du, als ihr Vorſprecher, dergleichen Grillen ſchreiben
wuͤrdeſt, ehe ich noch einen Verſuch an ſie gethan
habe: da du doch ſelbſt in einem deiner vorigen Brie-
fe der Meynung biſt, daß ſie in ihren jetzigen Um-
ſtaͤnden uͤberwindlich ſey.

Die meiſten von deinen tiefen Betrachtungen, z.
E. daß das Vergnuͤgen ſehr verſchieden ſey, welches
wir freyen Liebhaber von einem ſinnlichen und von ei-
nem recht vernuͤnftigen Frauenzimmer zu erwarten
haben, koͤnnen beſſer nachher als zum voraus ange-
ſtellet werden.

Jch geſtehe das, was unſer Dichter ſaget:
daß die Freude ſchoͤn iſt, wenn ſie uns ſucht,
und ſich laͤchelnd in unſern Buſen wirft.
Al-
lein kann man wohl erwarten, daß ein ſo wohl, ja ſo
vornehm erzogenes Frauenzimmer ſich vor dem
Sturm ergeben wird? Habe ich dieſe Schoͤne bisher
auch nur aufgefodert? Jch ſtelle mir allerdings zum
voraus viele Schwierigkeiten vor: deswegen werde
ich ſie unverhofft uͤberfallen. Hiebey koͤnnte einige
Grauſamkeit noͤthig ſeyn. Allein man kann ſich einan-
der in dem heftigſten Streit verſtehen; man kann Wi-

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[537/0551] Der fuͤnf und ſiebenzigſte Brief von Herrn Lovelacen an Herrn Joh. Belford. Mittewochens den 3ten May. Nachdem ich mir die Muͤhe genommen hatte, dir von allen meinen Abſichten und Entſchlieſſun- gen gegen dieſe Crone aller Geſchoͤpfe ausfuͤhrliche Nachricht zu geben; ſo haͤtte ich nicht erwartet, daß du, als ihr Vorſprecher, dergleichen Grillen ſchreiben wuͤrdeſt, ehe ich noch einen Verſuch an ſie gethan habe: da du doch ſelbſt in einem deiner vorigen Brie- fe der Meynung biſt, daß ſie in ihren jetzigen Um- ſtaͤnden uͤberwindlich ſey. Die meiſten von deinen tiefen Betrachtungen, z. E. daß das Vergnuͤgen ſehr verſchieden ſey, welches wir freyen Liebhaber von einem ſinnlichen und von ei- nem recht vernuͤnftigen Frauenzimmer zu erwarten haben, koͤnnen beſſer nachher als zum voraus ange- ſtellet werden. Jch geſtehe das, was unſer Dichter ſaget: daß die Freude ſchoͤn iſt, wenn ſie uns ſucht, und ſich laͤchelnd in unſern Buſen wirft. Al- lein kann man wohl erwarten, daß ein ſo wohl, ja ſo vornehm erzogenes Frauenzimmer ſich vor dem Sturm ergeben wird? Habe ich dieſe Schoͤne bisher auch nur aufgefodert? Jch ſtelle mir allerdings zum voraus viele Schwierigkeiten vor: deswegen werde ich ſie unverhofft uͤberfallen. Hiebey koͤnnte einige Grauſamkeit noͤthig ſeyn. Allein man kann ſich einan- der in dem heftigſten Streit verſtehen; man kann Wi- der- L l 5

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 537. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/551>, abgerufen am 21.12.2024.