Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite


Der funfzigste Brief
von
Frau Hervey an Fräulein Clarissa
Harlowe.

Eine Antwort auf den sieben und viertzigsten Brief.

Allerliebste Fräulein Base!

Es würde hart seyn, wenn ich einer Person, die
ich stets geliebet habe, und die eine Antwort
verlanget, nicht einige Zeilen antworten wollte. Jch
habe Jhren vorigen Brief richtig erhalten; allein
es war mir nicht erlaubt ihn zu beantworten; und
jetzt thue ich es wider mein Versprechen.

Wir erhalten täglich wunderliche Nachrichten
von Jhnen. Es soll keine Stunde vorbey gehen,
in der sich Herr Lovelace nicht über die Jhrigen
aufhält, und über seinen Sieg frohlocket. Müs-
sen nicht diese Nachrichten Jhre Sachen verschlim-
mern? Sie wissen, daß bey Lovelacen nichts aus-
zurichten ist: er hat seine Leidenschaften lieber als
Sie, ob Sie gleich so viele Vollkommenheiten be-
sitzen. Jch habe Sie genung gewarnet: kein jun-
ges Frauenzimmer ist fleißiger gewarnet worden.
Wer hätte dergleichen von der Fräulein Clarissa
Harlowe
dencken sollen.

Sie hätten sich vor Jhren versammleten Anver-
wanten nicht so sehr fürchten dürfen. Wenn Jhre
Abneigung unüberwindlich gewesen wäre, so würde
man Jhnen nachgegeben haben. Sobald ich selbst

die-


Der funfzigſte Brief
von
Frau Hervey an Fraͤulein Clariſſa
Harlowe.

Eine Antwort auf den ſieben und viertzigſten Brief.

Allerliebſte Fraͤulein Baſe!

Es wuͤrde hart ſeyn, wenn ich einer Perſon, die
ich ſtets geliebet habe, und die eine Antwort
verlanget, nicht einige Zeilen antworten wollte. Jch
habe Jhren vorigen Brief richtig erhalten; allein
es war mir nicht erlaubt ihn zu beantworten; und
jetzt thue ich es wider mein Verſprechen.

Wir erhalten taͤglich wunderliche Nachrichten
von Jhnen. Es ſoll keine Stunde vorbey gehen,
in der ſich Herr Lovelace nicht uͤber die Jhrigen
aufhaͤlt, und uͤber ſeinen Sieg frohlocket. Muͤſ-
ſen nicht dieſe Nachrichten Jhre Sachen verſchlim-
mern? Sie wiſſen, daß bey Lovelacen nichts aus-
zurichten iſt: er hat ſeine Leidenſchaften lieber als
Sie, ob Sie gleich ſo viele Vollkommenheiten be-
ſitzen. Jch habe Sie genung gewarnet: kein jun-
ges Frauenzimmer iſt fleißiger gewarnet worden.
Wer haͤtte dergleichen von der Fraͤulein Clariſſa
Harlowe
dencken ſollen.

Sie haͤtten ſich vor Jhren verſammleten Anver-
wanten nicht ſo ſehr fuͤrchten duͤrfen. Wenn Jhre
Abneigung unuͤberwindlich geweſen waͤre, ſo wuͤrde
man Jhnen nachgegeben haben. Sobald ich ſelbſt

die-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0397" n="383"/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#fr">Der funfzig&#x017F;te Brief</hi><lb/>
von<lb/><hi rendition="#fr">Frau Hervey an Fra&#x0364;ulein Clari&#x017F;&#x017F;a<lb/>
Harlowe.</hi></head><lb/>
          <p>Eine Antwort auf den &#x017F;ieben und viertzig&#x017F;ten Brief.</p><lb/>
          <floatingText>
            <body>
              <salute> <hi rendition="#fr">Allerlieb&#x017F;te Fra&#x0364;ulein Ba&#x017F;e!</hi> </salute><lb/>
              <p><hi rendition="#in">E</hi>s wu&#x0364;rde hart &#x017F;eyn, wenn ich einer Per&#x017F;on, die<lb/>
ich &#x017F;tets geliebet habe, und die eine Antwort<lb/>
verlanget, nicht einige Zeilen antworten wollte. Jch<lb/>
habe Jhren vorigen Brief richtig erhalten; allein<lb/>
es war mir nicht erlaubt ihn zu beantworten; und<lb/>
jetzt thue ich es wider mein Ver&#x017F;prechen.</p><lb/>
              <p>Wir erhalten ta&#x0364;glich wunderliche Nachrichten<lb/>
von Jhnen. Es &#x017F;oll keine Stunde vorbey gehen,<lb/>
in der &#x017F;ich Herr <hi rendition="#fr">Lovelace</hi> nicht u&#x0364;ber die Jhrigen<lb/>
aufha&#x0364;lt, und u&#x0364;ber &#x017F;einen Sieg frohlocket. Mu&#x0364;&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en nicht die&#x017F;e Nachrichten Jhre Sachen ver&#x017F;chlim-<lb/>
mern? Sie wi&#x017F;&#x017F;en, daß bey <hi rendition="#fr">Lovelacen</hi> nichts aus-<lb/>
zurichten i&#x017F;t: er hat &#x017F;eine Leiden&#x017F;chaften lieber als<lb/>
Sie, ob Sie gleich &#x017F;o viele Vollkommenheiten be-<lb/>
&#x017F;itzen. Jch habe Sie genung gewarnet: kein jun-<lb/>
ges Frauenzimmer i&#x017F;t fleißiger gewarnet worden.<lb/>
Wer ha&#x0364;tte dergleichen von der Fra&#x0364;ulein <hi rendition="#fr">Clari&#x017F;&#x017F;a<lb/>
Harlowe</hi> dencken &#x017F;ollen.</p><lb/>
              <p>Sie ha&#x0364;tten &#x017F;ich vor Jhren ver&#x017F;ammleten Anver-<lb/>
wanten nicht &#x017F;o &#x017F;ehr fu&#x0364;rchten du&#x0364;rfen. Wenn Jhre<lb/>
Abneigung unu&#x0364;berwindlich gewe&#x017F;en wa&#x0364;re, &#x017F;o wu&#x0364;rde<lb/>
man Jhnen nachgegeben haben. Sobald ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">die-</fw><lb/></p>
            </body>
          </floatingText>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[383/0397] Der funfzigſte Brief von Frau Hervey an Fraͤulein Clariſſa Harlowe. Eine Antwort auf den ſieben und viertzigſten Brief. Allerliebſte Fraͤulein Baſe! Es wuͤrde hart ſeyn, wenn ich einer Perſon, die ich ſtets geliebet habe, und die eine Antwort verlanget, nicht einige Zeilen antworten wollte. Jch habe Jhren vorigen Brief richtig erhalten; allein es war mir nicht erlaubt ihn zu beantworten; und jetzt thue ich es wider mein Verſprechen. Wir erhalten taͤglich wunderliche Nachrichten von Jhnen. Es ſoll keine Stunde vorbey gehen, in der ſich Herr Lovelace nicht uͤber die Jhrigen aufhaͤlt, und uͤber ſeinen Sieg frohlocket. Muͤſ- ſen nicht dieſe Nachrichten Jhre Sachen verſchlim- mern? Sie wiſſen, daß bey Lovelacen nichts aus- zurichten iſt: er hat ſeine Leidenſchaften lieber als Sie, ob Sie gleich ſo viele Vollkommenheiten be- ſitzen. Jch habe Sie genung gewarnet: kein jun- ges Frauenzimmer iſt fleißiger gewarnet worden. Wer haͤtte dergleichen von der Fraͤulein Clariſſa Harlowe dencken ſollen. Sie haͤtten ſich vor Jhren verſammleten Anver- wanten nicht ſo ſehr fuͤrchten duͤrfen. Wenn Jhre Abneigung unuͤberwindlich geweſen waͤre, ſo wuͤrde man Jhnen nachgegeben haben. Sobald ich ſelbſt die-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/397
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/397>, abgerufen am 21.11.2024.