Erlauben Sie mir, meine werthesten Eltern, daß mich auf eine unerwartete Weise mit einem Schreiben zu Jhnen dränge, da ich die Ehre nicht haben soll, unmittelbar an Sie zu schreiben. Denn ich hoffe, daß dieser Brief Jh- nen vorgelesen werden wird. Jch bitte Sie, glau- ben Sie, daß nichts als ein gantz unüberwindlicher Widerwille im Stande seyn würde, mich von et- was abgeneigt zu machen, das Jhnen zum Ver- gnügen gereicht. Was ist Reichthum, was sind die schönsten Verschreibungen, wenn man sie mit wahrer Glückseeligkeit in Vergleichung setzt? Ge- ben Sie nicht zu, daß ich auf eine so grausame Weise einem Mann aufgeopfert werde, gegen den mein Jnnerstes einen unaussprechlichen Eckel hat. Jch muß das wiederhohlen, was ich schon sonst gesagt habe, daß es mit der Ehre und Tugend streitet, wenn ich ihn nehmen sollte. Vielleicht wür- de ich einen andern Entschluß gefasset haben, wenn ich einen unvollständigern Begriff von den Pflich- ten des Ehestandes hätte. Da ich alles Elend, das aus einer unglücklichen Ehe entstehen könnte, selbst zu tragen haben würde, und zwar so lange ich lebe: da nicht blos meine Neigungen, sondern das innerste meiner Seelen sich gegen ihn empö- ret: da vielleicht mein ewiges Wohl in noch grös- serer Gefahr stehet, als mein zeitliches: so ist es hart, wenn mir die Freyheit, Nein zu sagen,
nicht
der Clariſſa.
An den jungen Herrn Jacob Harlowe.
Donnerſtags den 23. Maͤrz.
Erlauben Sie mir, meine wertheſten Eltern, daß mich auf eine unerwartete Weiſe mit einem Schreiben zu Jhnen draͤnge, da ich die Ehre nicht haben ſoll, unmittelbar an Sie zu ſchreiben. Denn ich hoffe, daß dieſer Brief Jh- nen vorgeleſen werden wird. Jch bitte Sie, glau- ben Sie, daß nichts als ein gantz unuͤberwindlicher Widerwille im Stande ſeyn wuͤrde, mich von et- was abgeneigt zu machen, das Jhnen zum Ver- gnuͤgen gereicht. Was iſt Reichthum, was ſind die ſchoͤnſten Verſchreibungen, wenn man ſie mit wahrer Gluͤckſeeligkeit in Vergleichung ſetzt? Ge- ben Sie nicht zu, daß ich auf eine ſo grauſame Weiſe einem Mann aufgeopfert werde, gegen den mein Jnnerſtes einen unausſprechlichen Eckel hat. Jch muß das wiederhohlen, was ich ſchon ſonſt geſagt habe, daß es mit der Ehre und Tugend ſtreitet, wenn ich ihn nehmen ſollte. Vielleicht wuͤr- de ich einen andern Entſchluß gefaſſet haben, wenn ich einen unvollſtaͤndigern Begriff von den Pflich- ten des Eheſtandes haͤtte. Da ich alles Elend, das aus einer ungluͤcklichen Ehe entſtehen koͤnnte, ſelbſt zu tragen haben wuͤrde, und zwar ſo lange ich lebe: da nicht blos meine Neigungen, ſondern das innerſte meiner Seelen ſich gegen ihn empoͤ- ret: da vielleicht mein ewiges Wohl in noch groͤſ- ſerer Gefahr ſtehet, als mein zeitliches: ſo iſt es hart, wenn mir die Freyheit, Nein zu ſagen,
nicht
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0053"n="47"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#g">der Clariſſa</hi>.</hi></fw><lb/><div><salute><hirendition="#fr">An den jungen Herrn Jacob Harlowe.</hi></salute><lb/><dateline><hirendition="#et">Donnerſtags den 23. Maͤrz.</hi></dateline><lb/><p><hirendition="#in">E</hi>rlauben Sie mir, meine wertheſten Eltern,<lb/>
daß mich auf eine unerwartete Weiſe mit<lb/>
einem Schreiben zu Jhnen draͤnge, da ich die<lb/>
Ehre nicht haben ſoll, unmittelbar an Sie zu<lb/>ſchreiben. Denn ich hoffe, daß dieſer Brief Jh-<lb/>
nen vorgeleſen werden wird. Jch bitte Sie, glau-<lb/>
ben Sie, daß nichts als ein gantz unuͤberwindlicher<lb/>
Widerwille im Stande ſeyn wuͤrde, mich von et-<lb/>
was abgeneigt zu machen, das Jhnen zum Ver-<lb/>
gnuͤgen gereicht. Was iſt Reichthum, was ſind<lb/>
die ſchoͤnſten Verſchreibungen, wenn man ſie mit<lb/>
wahrer Gluͤckſeeligkeit in Vergleichung ſetzt? Ge-<lb/>
ben Sie nicht zu, daß ich auf eine ſo grauſame<lb/>
Weiſe einem Mann aufgeopfert werde, gegen den<lb/>
mein Jnnerſtes einen unausſprechlichen Eckel hat.<lb/>
Jch muß das wiederhohlen, was ich ſchon ſonſt<lb/>
geſagt habe, daß es mit der Ehre und Tugend<lb/>ſtreitet, wenn ich ihn nehmen ſollte. Vielleicht wuͤr-<lb/>
de ich einen andern Entſchluß gefaſſet haben, wenn<lb/>
ich einen unvollſtaͤndigern Begriff von den Pflich-<lb/>
ten des Eheſtandes haͤtte. Da ich alles Elend,<lb/>
das aus einer ungluͤcklichen Ehe entſtehen koͤnnte,<lb/>ſelbſt zu tragen haben wuͤrde, und zwar ſo lange<lb/>
ich lebe: da nicht blos meine Neigungen, ſondern<lb/>
das innerſte meiner Seelen ſich gegen ihn empoͤ-<lb/>
ret: da vielleicht mein ewiges Wohl in noch groͤſ-<lb/>ſerer Gefahr ſtehet, als mein zeitliches: ſo iſt es<lb/>
hart, wenn mir die Freyheit, Nein zu ſagen,<lb/><fwplace="bottom"type="catch">nicht</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[47/0053]
der Clariſſa.
An den jungen Herrn Jacob Harlowe.
Donnerſtags den 23. Maͤrz.
Erlauben Sie mir, meine wertheſten Eltern,
daß mich auf eine unerwartete Weiſe mit
einem Schreiben zu Jhnen draͤnge, da ich die
Ehre nicht haben ſoll, unmittelbar an Sie zu
ſchreiben. Denn ich hoffe, daß dieſer Brief Jh-
nen vorgeleſen werden wird. Jch bitte Sie, glau-
ben Sie, daß nichts als ein gantz unuͤberwindlicher
Widerwille im Stande ſeyn wuͤrde, mich von et-
was abgeneigt zu machen, das Jhnen zum Ver-
gnuͤgen gereicht. Was iſt Reichthum, was ſind
die ſchoͤnſten Verſchreibungen, wenn man ſie mit
wahrer Gluͤckſeeligkeit in Vergleichung ſetzt? Ge-
ben Sie nicht zu, daß ich auf eine ſo grauſame
Weiſe einem Mann aufgeopfert werde, gegen den
mein Jnnerſtes einen unausſprechlichen Eckel hat.
Jch muß das wiederhohlen, was ich ſchon ſonſt
geſagt habe, daß es mit der Ehre und Tugend
ſtreitet, wenn ich ihn nehmen ſollte. Vielleicht wuͤr-
de ich einen andern Entſchluß gefaſſet haben, wenn
ich einen unvollſtaͤndigern Begriff von den Pflich-
ten des Eheſtandes haͤtte. Da ich alles Elend,
das aus einer ungluͤcklichen Ehe entſtehen koͤnnte,
ſelbſt zu tragen haben wuͤrde, und zwar ſo lange
ich lebe: da nicht blos meine Neigungen, ſondern
das innerſte meiner Seelen ſich gegen ihn empoͤ-
ret: da vielleicht mein ewiges Wohl in noch groͤſ-
ſerer Gefahr ſtehet, als mein zeitliches: ſo iſt es
hart, wenn mir die Freyheit, Nein zu ſagen,
nicht
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/53>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.