Der vierte Brief von Fräulein Clarissa Harlowe an Fräulein Howe.
den 15. Jan.
Jn diesen Umständen befand ich mich mit Herr Lovelace/ als mein Bruder aus Schott- land zurück kam. So bald man gegen ihn etwas von den Besuchen dieses Herrn erwähnete, bezeu- gete er ohne einiges Bedencken, und ohne sich des- halb zu entschuldigen, sein grosses Mißfallen dar- über. Er fand sehr merkliche Fehler in seiner Lebens-Art, und nahm sich die Freyheit mit dür- ren Worten zu sagen: er wundere sich, wie es ei- nem von seines Vaters Brüdern in den Sinn kommen können, diesem Freyer die geringste Hoff- nung auf eine von seinen beyden Schwestern zu machen. Zugleich dankte er meinem Vater da- für, daß er sein Ja-Wort bis zu seiner Ankunft nicht hätte geben wollen, fast so als ein Vorgesetz- ter danken würde, wenn er einen geringern lobet, weil er in seiner Abwesenheit seine Schuldigkeie in Acht genommen hatte. Er bekannte seinen alten Groll gegen ihn, aber er rechtfertigte denselben durch die üble Nachrede die Herr Lovelace über- all habe, und durch das, was er selbst von seinen Universitäts-Jahren wüste. Er sagte, er habe ihn stets gehasset, und würde ihn immer hassen: und er würde ihn niemals für einen Bruder, noch mich für eine Schwester erkennen, wenn ich ihn heyrathete.
Den
der Clariſſa.
Der vierte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.
den 15. Jan.
Jn dieſen Umſtaͤnden befand ich mich mit Herr Lovelace/ als mein Bruder aus Schott- land zuruͤck kam. So bald man gegen ihn etwas von den Beſuchen dieſes Herrn erwaͤhnete, bezeu- gete er ohne einiges Bedencken, und ohne ſich des- halb zu entſchuldigen, ſein groſſes Mißfallen dar- uͤber. Er fand ſehr merkliche Fehler in ſeiner Lebens-Art, und nahm ſich die Freyheit mit duͤr- ren Worten zu ſagen: er wundere ſich, wie es ei- nem von ſeines Vaters Bruͤdern in den Sinn kommen koͤnnen, dieſem Freyer die geringſte Hoff- nung auf eine von ſeinen beyden Schweſtern zu machen. Zugleich dankte er meinem Vater da- fuͤr, daß er ſein Ja-Wort bis zu ſeiner Ankunft nicht haͤtte geben wollen, faſt ſo als ein Vorgeſetz- ter danken wuͤrde, wenn er einen geringern lobet, weil er in ſeiner Abweſenheit ſeine Schuldigkeie in Acht genommen hatte. Er bekannte ſeinen alten Groll gegen ihn, aber er rechtfertigte denſelben durch die uͤble Nachrede die Herr Lovelace uͤber- all habe, und durch das, was er ſelbſt von ſeinen Univerſitaͤts-Jahren wuͤſte. Er ſagte, er habe ihn ſtets gehaſſet, und wuͤrde ihn immer haſſen: und er wuͤrde ihn niemals fuͤr einen Bruder, noch mich fuͤr eine Schweſter erkennen, wenn ich ihn heyrathete.
Den
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der Clariſſa.
Der vierte Brief
von
Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein
Howe.
den 15. Jan.
Jn dieſen Umſtaͤnden befand ich mich mit Herr
Lovelace/ als mein Bruder aus Schott-
land zuruͤck kam. So bald man gegen ihn etwas
von den Beſuchen dieſes Herrn erwaͤhnete, bezeu-
gete er ohne einiges Bedencken, und ohne ſich des-
halb zu entſchuldigen, ſein groſſes Mißfallen dar-
uͤber. Er fand ſehr merkliche Fehler in ſeiner
Lebens-Art, und nahm ſich die Freyheit mit duͤr-
ren Worten zu ſagen: er wundere ſich, wie es ei-
nem von ſeines Vaters Bruͤdern in den Sinn
kommen koͤnnen, dieſem Freyer die geringſte Hoff-
nung auf eine von ſeinen beyden Schweſtern zu
machen. Zugleich dankte er meinem Vater da-
fuͤr, daß er ſein Ja-Wort bis zu ſeiner Ankunft
nicht haͤtte geben wollen, faſt ſo als ein Vorgeſetz-
ter danken wuͤrde, wenn er einen geringern lobet,
weil er in ſeiner Abweſenheit ſeine Schuldigkeie in
Acht genommen hatte. Er bekannte ſeinen alten
Groll gegen ihn, aber er rechtfertigte denſelben
durch die uͤble Nachrede die Herr Lovelace uͤber-
all habe, und durch das, was er ſelbſt von ſeinen
Univerſitaͤts-Jahren wuͤſte. Er ſagte, er habe
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und er wuͤrde ihn niemals fuͤr einen Bruder, noch
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/51>, abgerufen am 21.11.2024.
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