Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite
der Clarissa.
Der vierte Brief
von
Fräulein Clarissa Harlowe an Fräulein
Howe.

Jn diesen Umständen befand ich mich mit Herr
Lovelace/ als mein Bruder aus Schott-
land zurück kam. So bald man gegen ihn etwas
von den Besuchen dieses Herrn erwähnete, bezeu-
gete er ohne einiges Bedencken, und ohne sich des-
halb zu entschuldigen, sein grosses Mißfallen dar-
über. Er fand sehr merkliche Fehler in seiner
Lebens-Art, und nahm sich die Freyheit mit dür-
ren Worten zu sagen: er wundere sich, wie es ei-
nem von seines Vaters Brüdern in den Sinn
kommen können, diesem Freyer die geringste Hoff-
nung auf eine von seinen beyden Schwestern zu
machen. Zugleich dankte er meinem Vater da-
für, daß er sein Ja-Wort bis zu seiner Ankunft
nicht hätte geben wollen, fast so als ein Vorgesetz-
ter danken würde, wenn er einen geringern lobet,
weil er in seiner Abwesenheit seine Schuldigkeie in
Acht genommen hatte. Er bekannte seinen alten
Groll gegen ihn, aber er rechtfertigte denselben
durch die üble Nachrede die Herr Lovelace über-
all habe, und durch das, was er selbst von seinen
Universitäts-Jahren wüste. Er sagte, er habe
ihn stets gehasset, und würde ihn immer hassen:
und er würde ihn niemals für einen Bruder, noch
mich für eine Schwester erkennen, wenn ich ihn
heyrathete.

Den
der Clariſſa.
Der vierte Brief
von
Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein
Howe.

Jn dieſen Umſtaͤnden befand ich mich mit Herr
Lovelace/ als mein Bruder aus Schott-
land zuruͤck kam. So bald man gegen ihn etwas
von den Beſuchen dieſes Herrn erwaͤhnete, bezeu-
gete er ohne einiges Bedencken, und ohne ſich des-
halb zu entſchuldigen, ſein groſſes Mißfallen dar-
uͤber. Er fand ſehr merkliche Fehler in ſeiner
Lebens-Art, und nahm ſich die Freyheit mit duͤr-
ren Worten zu ſagen: er wundere ſich, wie es ei-
nem von ſeines Vaters Bruͤdern in den Sinn
kommen koͤnnen, dieſem Freyer die geringſte Hoff-
nung auf eine von ſeinen beyden Schweſtern zu
machen. Zugleich dankte er meinem Vater da-
fuͤr, daß er ſein Ja-Wort bis zu ſeiner Ankunft
nicht haͤtte geben wollen, faſt ſo als ein Vorgeſetz-
ter danken wuͤrde, wenn er einen geringern lobet,
weil er in ſeiner Abweſenheit ſeine Schuldigkeie in
Acht genommen hatte. Er bekannte ſeinen alten
Groll gegen ihn, aber er rechtfertigte denſelben
durch die uͤble Nachrede die Herr Lovelace uͤber-
all habe, und durch das, was er ſelbſt von ſeinen
Univerſitaͤts-Jahren wuͤſte. Er ſagte, er habe
ihn ſtets gehaſſet, und wuͤrde ihn immer haſſen:
und er wuͤrde ihn niemals fuͤr einen Bruder, noch
mich fuͤr eine Schweſter erkennen, wenn ich ihn
heyrathete.

Den
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0051" n="31"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">der Clari&#x017F;&#x017F;a.</hi> </hi> </fw><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#fr">Der vierte Brief</hi><lb/>
von<lb/><hi rendition="#fr">Fra&#x0364;ulein Clari&#x017F;&#x017F;a Harlowe an Fra&#x0364;ulein<lb/>
Howe.</hi></head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">den 15. Jan.</hi> </dateline><lb/>
          <p><hi rendition="#in">J</hi>n die&#x017F;en Um&#x017F;ta&#x0364;nden befand ich mich mit Herr<lb/>
L<hi rendition="#fr">ovelace/</hi> als mein Bruder aus Schott-<lb/>
land zuru&#x0364;ck kam. So bald man gegen ihn etwas<lb/>
von den Be&#x017F;uchen die&#x017F;es Herrn erwa&#x0364;hnete, bezeu-<lb/>
gete er ohne einiges Bedencken, und ohne &#x017F;ich des-<lb/>
halb zu ent&#x017F;chuldigen, &#x017F;ein gro&#x017F;&#x017F;es Mißfallen dar-<lb/>
u&#x0364;ber. Er fand &#x017F;ehr merkliche Fehler in &#x017F;einer<lb/>
Lebens-Art, und nahm &#x017F;ich die Freyheit mit du&#x0364;r-<lb/>
ren Worten zu &#x017F;agen: er wundere &#x017F;ich, wie es ei-<lb/>
nem von &#x017F;eines Vaters Bru&#x0364;dern in den Sinn<lb/>
kommen ko&#x0364;nnen, die&#x017F;em Freyer die gering&#x017F;te Hoff-<lb/>
nung auf eine von &#x017F;einen beyden Schwe&#x017F;tern zu<lb/>
machen. Zugleich dankte er meinem Vater da-<lb/>
fu&#x0364;r, daß er &#x017F;ein Ja-Wort bis zu &#x017F;einer Ankunft<lb/>
nicht ha&#x0364;tte geben wollen, fa&#x017F;t &#x017F;o als ein Vorge&#x017F;etz-<lb/>
ter danken wu&#x0364;rde, wenn er einen geringern lobet,<lb/>
weil er in &#x017F;einer Abwe&#x017F;enheit &#x017F;eine Schuldigkeie in<lb/>
Acht genommen hatte. Er bekannte &#x017F;einen alten<lb/>
Groll gegen ihn, aber er rechtfertigte den&#x017F;elben<lb/>
durch die u&#x0364;ble Nachrede die Herr L<hi rendition="#fr">ovelace</hi> u&#x0364;ber-<lb/>
all habe, und durch das, was er &#x017F;elb&#x017F;t von &#x017F;einen<lb/>
Univer&#x017F;ita&#x0364;ts-Jahren wu&#x0364;&#x017F;te. Er &#x017F;agte, er habe<lb/>
ihn &#x017F;tets geha&#x017F;&#x017F;et, und wu&#x0364;rde ihn immer ha&#x017F;&#x017F;en:<lb/>
und er wu&#x0364;rde ihn niemals fu&#x0364;r einen Bruder, noch<lb/>
mich fu&#x0364;r eine Schwe&#x017F;ter erkennen, wenn ich ihn<lb/>
heyrathete.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Den</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[31/0051] der Clariſſa. Der vierte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe. den 15. Jan. Jn dieſen Umſtaͤnden befand ich mich mit Herr Lovelace/ als mein Bruder aus Schott- land zuruͤck kam. So bald man gegen ihn etwas von den Beſuchen dieſes Herrn erwaͤhnete, bezeu- gete er ohne einiges Bedencken, und ohne ſich des- halb zu entſchuldigen, ſein groſſes Mißfallen dar- uͤber. Er fand ſehr merkliche Fehler in ſeiner Lebens-Art, und nahm ſich die Freyheit mit duͤr- ren Worten zu ſagen: er wundere ſich, wie es ei- nem von ſeines Vaters Bruͤdern in den Sinn kommen koͤnnen, dieſem Freyer die geringſte Hoff- nung auf eine von ſeinen beyden Schweſtern zu machen. Zugleich dankte er meinem Vater da- fuͤr, daß er ſein Ja-Wort bis zu ſeiner Ankunft nicht haͤtte geben wollen, faſt ſo als ein Vorgeſetz- ter danken wuͤrde, wenn er einen geringern lobet, weil er in ſeiner Abweſenheit ſeine Schuldigkeie in Acht genommen hatte. Er bekannte ſeinen alten Groll gegen ihn, aber er rechtfertigte denſelben durch die uͤble Nachrede die Herr Lovelace uͤber- all habe, und durch das, was er ſelbſt von ſeinen Univerſitaͤts-Jahren wuͤſte. Er ſagte, er habe ihn ſtets gehaſſet, und wuͤrde ihn immer haſſen: und er wuͤrde ihn niemals fuͤr einen Bruder, noch mich fuͤr eine Schweſter erkennen, wenn ich ihn heyrathete. Den

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/51
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/51>, abgerufen am 21.11.2024.