Gräfin zu Reventlow, Fanny: Herrn Dames Aufzeichnungen oder Begebenheiten aus einem merkwürdigen Stadtteil. München, 1913.7. Dezember Darüber habe ich dieser Tage viel nachgedacht. Heute hätte ich gerne wieder Dr. Gerhard getroffen und das neuliche Gespräch mit ihm fortgesetzt. Aber es saß diesmal eine ganze Gesellschaft mit am Tisch. Unangenehm, daß man beim Vorstellen nie die Namen versteht -- das heißt, meinen haben sie natürlich alle verstanden -- mein Verhängnis -- er ist so deutlich und bleibt haften, weil man sich über ihn wundert. Ich habe diese junge Frau beneidet, die neben Gerhard saß, weil man sie nur Susanna oder gnädige Frau anredete. Du lieber Gott, ich werde ja nicht einmal heiraten können, wenn ich gerne wollte. Wie könnte man einem Mädchen zumuten, Frau Dame zu heißen -- --? Und dann daneben zu sitzen, das mitanzuhören und selbst -- nein, diese Reihe von Unmöglichkeiten ist nicht auszudenken. Ich weiß nicht, wie es kam, daß ich dieser Susanna oder gnädigen Frau -- wie ich sie natürlich anreden mußte, meine quälenden Vorstellungen anvertraute. Sie hat nicht einmal gelacht -- doch -- sie hat schon etwas gelacht, aber sie begriff auch die elende Tragik. Es kam später noch ein Herr an den Tisch, den man mir als Doktor Sendt vorstellte. Er ist Philosoph und macht einen äußerst intelligenten Eindruck. 7. Dezember Darüber habe ich dieser Tage viel nachgedacht. Heute hätte ich gerne wieder Dr. Gerhard getroffen und das neuliche Gespräch mit ihm fortgesetzt. Aber es saß diesmal eine ganze Gesellschaft mit am Tisch. Unangenehm, daß man beim Vorstellen nie die Namen versteht — das heißt, meinen haben sie natürlich alle verstanden — mein Verhängnis — er ist so deutlich und bleibt haften, weil man sich über ihn wundert. Ich habe diese junge Frau beneidet, die neben Gerhard saß, weil man sie nur Susanna oder gnädige Frau anredete. Du lieber Gott, ich werde ja nicht einmal heiraten können, wenn ich gerne wollte. Wie könnte man einem Mädchen zumuten, Frau Dame zu heißen — —? Und dann daneben zu sitzen, das mitanzuhören und selbst — nein, diese Reihe von Unmöglichkeiten ist nicht auszudenken. Ich weiß nicht, wie es kam, daß ich dieser Susanna oder gnädigen Frau — wie ich sie natürlich anreden mußte, meine quälenden Vorstellungen anvertraute. Sie hat nicht einmal gelacht — doch — sie hat schon etwas gelacht, aber sie begriff auch die elende Tragik. Es kam später noch ein Herr an den Tisch, den man mir als Doktor Sendt vorstellte. Er ist Philosoph und macht einen äußerst intelligenten Eindruck. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0018" n="14"/> <div type="letter" n="2"> <opener> <dateline> <hi rendition="#right">7. Dezember</hi> </dateline> </opener> <p>Darüber habe ich dieser Tage viel nachgedacht. Heute hätte ich gerne wieder <hi rendition="#aq">Dr.</hi> Gerhard getroffen und das neuliche Gespräch mit ihm fortgesetzt. Aber es saß diesmal eine ganze Gesellschaft mit am Tisch. Unangenehm, daß man beim Vorstellen nie die Namen versteht — das heißt, meinen haben sie natürlich alle verstanden — mein Verhängnis — er ist so deutlich und bleibt haften, weil man sich über ihn wundert. Ich habe diese junge Frau beneidet, die neben Gerhard saß, weil man sie nur Susanna oder gnädige Frau anredete.</p> <p>Du lieber Gott, ich werde ja nicht einmal heiraten können, wenn ich gerne wollte. Wie könnte man einem Mädchen zumuten, Frau Dame zu heißen — —? Und dann daneben zu sitzen, das mitanzuhören und selbst — nein, diese Reihe von Unmöglichkeiten ist nicht auszudenken.</p> <p>Ich weiß nicht, wie es kam, daß ich dieser Susanna oder gnädigen Frau — wie ich sie natürlich anreden mußte, meine quälenden Vorstellungen anvertraute. Sie hat nicht einmal gelacht — doch — sie hat schon etwas gelacht, aber sie begriff auch die elende Tragik.</p> <p>Es kam später noch ein Herr an den Tisch, den man mir als Doktor Sendt vorstellte. Er ist Philosoph und macht einen äußerst intelligenten Eindruck. </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [14/0018]
7. Dezember Darüber habe ich dieser Tage viel nachgedacht. Heute hätte ich gerne wieder Dr. Gerhard getroffen und das neuliche Gespräch mit ihm fortgesetzt. Aber es saß diesmal eine ganze Gesellschaft mit am Tisch. Unangenehm, daß man beim Vorstellen nie die Namen versteht — das heißt, meinen haben sie natürlich alle verstanden — mein Verhängnis — er ist so deutlich und bleibt haften, weil man sich über ihn wundert. Ich habe diese junge Frau beneidet, die neben Gerhard saß, weil man sie nur Susanna oder gnädige Frau anredete.
Du lieber Gott, ich werde ja nicht einmal heiraten können, wenn ich gerne wollte. Wie könnte man einem Mädchen zumuten, Frau Dame zu heißen — —? Und dann daneben zu sitzen, das mitanzuhören und selbst — nein, diese Reihe von Unmöglichkeiten ist nicht auszudenken.
Ich weiß nicht, wie es kam, daß ich dieser Susanna oder gnädigen Frau — wie ich sie natürlich anreden mußte, meine quälenden Vorstellungen anvertraute. Sie hat nicht einmal gelacht — doch — sie hat schon etwas gelacht, aber sie begriff auch die elende Tragik.
Es kam später noch ein Herr an den Tisch, den man mir als Doktor Sendt vorstellte. Er ist Philosoph und macht einen äußerst intelligenten Eindruck.
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Zitationshilfe: | Gräfin zu Reventlow, Fanny: Herrn Dames Aufzeichnungen oder Begebenheiten aus einem merkwürdigen Stadtteil. München, 1913, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reventlow_dames_1913/18>, abgerufen am 03.03.2025. |