Unter allen Artikeln, welche China und Japan dem Auslande liefern, stehen Rohseide und seidene Gewebe in mehrfacher Hinsicht oben an. Nicht blos repräsentieren sie die höchsten Summen und tragen am meisten zur Hebung des Wohlstandes dieser Länder bei, sondern es greift auch der Handel mit ihnen der Zeit nach am wei- testen zurück und hat von da ab, wo römische Kaufleute*) zu Lande und portugiesische 1500 Jahre später zur See ihn eröffneten, ungeachtet mancherlei Wechsel an Umfang immer mehr gewonnen. Und diese hervorragende Bedeutung wird die Seide trotz aller Concurrenz, welche von der einen Seite die Wolle, von der andern die Baumwolle ihr bereiten, voraussichtlich auch in Zukunft behalten. Doch nicht blos in Ostasien, auch in Europa bildet die Erzeugung von Rohseide einer- seits und von seidenen Garnen und Geweben auf der andern Seite eine der wichtigsten Grundlagen des Nationalwohlstandes grosser Reiche und der Existenz für Millionen ihrer Bewohner.
Soll eine Naht Festigkeit mit Feinheit verbinden, so greift man zum seidenen Faden, und wenn es gilt, einen Körpertheil warm zu halten, so dient das seidene Tuch, ohne durch Rauhigkeit zu verletzen oder durch seine Dicke lästig zu werden. Die aus Seide gefertigten Garne und Gewebe sind glänzend und geschmeidig, fein, fest und dauerhaft, gesund, warm und leicht zugleich. Wegen dieser vielen Vorzüge hat sich mit der Abnahme des Preises und mit zunehmendem Wohlstande ihre Verwendung mehr und mehr unter allen Schichten der Gesellschaft verbreitet. Die Sehnsucht nach einem seidenen Kleide ist Gemeingut des weiblichen Geschlechts geworden, und wer sie nicht befriedigen kann, erfreut sich wenigstens eines seidenen Bandes, dem die Anilinfarben der Neuzeit, wie dem Kleide erhöhten Glanz verleihen.
Die Geschichte berichtet, dass zur Zeit des Kaisers Aurelian (270 n. Chr.) die Seide mit Gold aufgewogen wurde, und dass Jacob I. von Schottland im Jahre 1406 sich ein Paar seidene Strümpfe lieh, um den englischen Gesandten würdig zu empfangen. Es beweist dies einerseits, dass man schon vor vielen Jahrhunderten und zu verschie- denen Zeiten diesen edlen Stoff zu würdigen wusste, lange, bevor man
*) Seide gelangte ohne Zweifel schon viele Jahrhunderte früher nach West- asien, denn sie lieferte ja den Stoff zu den von griechischen Schriftstellern so viel gerühmten persischen und medischen Gewändern. Jedoch waren römische Kauf- leute die ersten Europäer, welche zur Kaiserzeit bis nach Centralasien auf den sogenannten Seidenstrassen vordrangen, um dem geschätzten Artikel bessere Wege zu bahnen.
4. Viehzucht und Seidenzucht.
Seidenzucht.
Unter allen Artikeln, welche China und Japan dem Auslande liefern, stehen Rohseide und seidene Gewebe in mehrfacher Hinsicht oben an. Nicht blos repräsentieren sie die höchsten Summen und tragen am meisten zur Hebung des Wohlstandes dieser Länder bei, sondern es greift auch der Handel mit ihnen der Zeit nach am wei- testen zurück und hat von da ab, wo römische Kaufleute*) zu Lande und portugiesische 1500 Jahre später zur See ihn eröffneten, ungeachtet mancherlei Wechsel an Umfang immer mehr gewonnen. Und diese hervorragende Bedeutung wird die Seide trotz aller Concurrenz, welche von der einen Seite die Wolle, von der andern die Baumwolle ihr bereiten, voraussichtlich auch in Zukunft behalten. Doch nicht blos in Ostasien, auch in Europa bildet die Erzeugung von Rohseide einer- seits und von seidenen Garnen und Geweben auf der andern Seite eine der wichtigsten Grundlagen des Nationalwohlstandes grosser Reiche und der Existenz für Millionen ihrer Bewohner.
Soll eine Naht Festigkeit mit Feinheit verbinden, so greift man zum seidenen Faden, und wenn es gilt, einen Körpertheil warm zu halten, so dient das seidene Tuch, ohne durch Rauhigkeit zu verletzen oder durch seine Dicke lästig zu werden. Die aus Seide gefertigten Garne und Gewebe sind glänzend und geschmeidig, fein, fest und dauerhaft, gesund, warm und leicht zugleich. Wegen dieser vielen Vorzüge hat sich mit der Abnahme des Preises und mit zunehmendem Wohlstande ihre Verwendung mehr und mehr unter allen Schichten der Gesellschaft verbreitet. Die Sehnsucht nach einem seidenen Kleide ist Gemeingut des weiblichen Geschlechts geworden, und wer sie nicht befriedigen kann, erfreut sich wenigstens eines seidenen Bandes, dem die Anilinfarben der Neuzeit, wie dem Kleide erhöhten Glanz verleihen.
Die Geschichte berichtet, dass zur Zeit des Kaisers Aurelian (270 n. Chr.) die Seide mit Gold aufgewogen wurde, und dass Jacob I. von Schottland im Jahre 1406 sich ein Paar seidene Strümpfe lieh, um den englischen Gesandten würdig zu empfangen. Es beweist dies einerseits, dass man schon vor vielen Jahrhunderten und zu verschie- denen Zeiten diesen edlen Stoff zu würdigen wusste, lange, bevor man
*) Seide gelangte ohne Zweifel schon viele Jahrhunderte früher nach West- asien, denn sie lieferte ja den Stoff zu den von griechischen Schriftstellern so viel gerühmten persischen und medischen Gewändern. Jedoch waren römische Kauf- leute die ersten Europäer, welche zur Kaiserzeit bis nach Centralasien auf den sogenannten Seidenstrassen vordrangen, um dem geschätzten Artikel bessere Wege zu bahnen.
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4. Viehzucht und Seidenzucht.
Seidenzucht.
Unter allen Artikeln, welche China und Japan dem Auslande
liefern, stehen Rohseide und seidene Gewebe in mehrfacher Hinsicht
oben an. Nicht blos repräsentieren sie die höchsten Summen und
tragen am meisten zur Hebung des Wohlstandes dieser Länder bei,
sondern es greift auch der Handel mit ihnen der Zeit nach am wei-
testen zurück und hat von da ab, wo römische Kaufleute *) zu Lande und
portugiesische 1500 Jahre später zur See ihn eröffneten, ungeachtet
mancherlei Wechsel an Umfang immer mehr gewonnen. Und diese
hervorragende Bedeutung wird die Seide trotz aller Concurrenz, welche
von der einen Seite die Wolle, von der andern die Baumwolle ihr
bereiten, voraussichtlich auch in Zukunft behalten. Doch nicht blos
in Ostasien, auch in Europa bildet die Erzeugung von Rohseide einer-
seits und von seidenen Garnen und Geweben auf der andern Seite eine
der wichtigsten Grundlagen des Nationalwohlstandes grosser Reiche
und der Existenz für Millionen ihrer Bewohner.
Soll eine Naht Festigkeit mit Feinheit verbinden, so greift man
zum seidenen Faden, und wenn es gilt, einen Körpertheil warm zu
halten, so dient das seidene Tuch, ohne durch Rauhigkeit zu verletzen
oder durch seine Dicke lästig zu werden. Die aus Seide gefertigten
Garne und Gewebe sind glänzend und geschmeidig, fein, fest und
dauerhaft, gesund, warm und leicht zugleich. Wegen dieser vielen
Vorzüge hat sich mit der Abnahme des Preises und mit zunehmendem
Wohlstande ihre Verwendung mehr und mehr unter allen Schichten
der Gesellschaft verbreitet. Die Sehnsucht nach einem seidenen Kleide
ist Gemeingut des weiblichen Geschlechts geworden, und wer sie nicht
befriedigen kann, erfreut sich wenigstens eines seidenen Bandes, dem
die Anilinfarben der Neuzeit, wie dem Kleide erhöhten Glanz verleihen.
Die Geschichte berichtet, dass zur Zeit des Kaisers Aurelian
(270 n. Chr.) die Seide mit Gold aufgewogen wurde, und dass Jacob I.
von Schottland im Jahre 1406 sich ein Paar seidene Strümpfe lieh,
um den englischen Gesandten würdig zu empfangen. Es beweist dies
einerseits, dass man schon vor vielen Jahrhunderten und zu verschie-
denen Zeiten diesen edlen Stoff zu würdigen wusste, lange, bevor man
*) Seide gelangte ohne Zweifel schon viele Jahrhunderte früher nach West-
asien, denn sie lieferte ja den Stoff zu den von griechischen Schriftstellern so viel
gerühmten persischen und medischen Gewändern. Jedoch waren römische Kauf-
leute die ersten Europäer, welche zur Kaiserzeit bis nach Centralasien auf den
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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 2. Leipzig, 1886, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan02_1886/241>, abgerufen am 21.11.2024.
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