jene gleissnerische Moralität in dem offenen Ge- wühle der Welt nichts Inneres, sondern ein Kunstgetriebe äusserer Verhältnisse. Man schil- dere daher zum Besten der Irrenden ihrer Näch- sten scheussliche Larve, damit sie in diesem Spie- gel erröthen, und nothgedrungen thun, was sie aus innerem Triebe nicht haben thun wollen. Doch genug zur Empfehlung meiner Collegen. Sie möchten sonst auch über die Schnur springen, und den General en Chef zu dieser Unternehmung aus ihrer Mitte wählen wollen. Ich werde, um mich für alle Zunftfehden bestens zu verwahren, mich streng an meinen Leisten halten, und bloss solche Fehler der Irrenanstalten rügen, die dem Aesculap Herzweh machen.
§. 2.
Kranke werden in ihren Häusern curirt und nur dann in öffentliche Spitäler aufgenommen, wenn sie kein Haus, oder wenigstens in demsel- ben keine Pflege haben. Bloss die Geisteszerrüt- tungen sind von jeher Ausnahmen von dieser Re- gel gewesen. Der Staat legt öffentliche Nar- ren- und Tollhäuser, gleichsam als die Ba- sis aller Vorsorge für Wahnsinnige zum Grunde, welches schon auf die grössere Schwierigkeit der Cur dieser Art von Krankheiten hinzudeuten scheint. Er erspart dadurch an Kostenaufwand, kann seine Aufmerksamkeit in einem Punkt ver-
jene gleiſsneriſche Moralität in dem offenen Ge- wühle der Welt nichts Inneres, ſondern ein Kunſtgetriebe äuſserer Verhältniſſe. Man ſchil- dere daher zum Beſten der Irrenden ihrer Näch- ſten ſcheuſsliche Larve, damit ſie in dieſem Spie- gel erröthen, und nothgedrungen thun, was ſie aus innerem Triebe nicht haben thun wollen. Doch genug zur Empfehlung meiner Collegen. Sie möchten ſonſt auch über die Schnur ſpringen, und den General en Chef zu dieſer Unternehmung aus ihrer Mitte wählen wollen. Ich werde, um mich für alle Zunftfehden beſtens zu verwahren, mich ſtreng an meinen Leiſten halten, und bloſs ſolche Fehler der Irrenanſtalten rügen, die dem Aesculap Herzweh machen.
§. 2.
Kranke werden in ihren Häuſern curirt und nur dann in öffentliche Spitäler aufgenommen, wenn ſie kein Haus, oder wenigſtens in demſel- ben keine Pflege haben. Bloſs die Geiſteszerrüt- tungen ſind von jeher Ausnahmen von dieſer Re- gel geweſen. Der Staat legt öffentliche Nar- ren- und Tollhäuſer, gleichſam als die Ba- ſis aller Vorſorge für Wahnſinnige zum Grunde, welches ſchon auf die gröſsere Schwierigkeit der Cur dieſer Art von Krankheiten hinzudeuten ſcheint. Er erſpart dadurch an Koſtenaufwand, kann ſeine Aufmerkſamkeit in einem Punkt ver-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0023"n="18"/>
jene gleiſsneriſche Moralität in dem offenen Ge-<lb/>
wühle der Welt nichts Inneres, ſondern ein<lb/>
Kunſtgetriebe äuſserer Verhältniſſe. Man ſchil-<lb/>
dere daher zum Beſten der Irrenden ihrer Näch-<lb/>ſten ſcheuſsliche Larve, damit ſie in dieſem Spie-<lb/>
gel erröthen, und nothgedrungen thun, was ſie<lb/>
aus innerem Triebe nicht haben thun wollen.<lb/>
Doch genug zur Empfehlung meiner Collegen.<lb/>
Sie möchten ſonſt auch über die Schnur ſpringen,<lb/>
und den General en Chef zu dieſer Unternehmung<lb/>
aus ihrer Mitte wählen wollen. Ich werde, um<lb/>
mich für alle Zunftfehden beſtens zu verwahren,<lb/>
mich ſtreng an meinen Leiſten halten, und bloſs<lb/>ſolche Fehler der Irrenanſtalten rügen, die dem<lb/><hirendition="#g">Aesculap</hi> Herzweh machen.</p></div><lb/><divn="2"><head>§. 2.</head><lb/><p>Kranke werden in ihren Häuſern curirt und<lb/>
nur dann in öffentliche Spitäler aufgenommen,<lb/>
wenn ſie kein Haus, oder wenigſtens in demſel-<lb/>
ben keine Pflege haben. Bloſs die Geiſteszerrüt-<lb/>
tungen ſind von jeher Ausnahmen von dieſer Re-<lb/>
gel geweſen. Der Staat legt <hirendition="#g">öffentliche Nar-<lb/>
ren-</hi> und <hirendition="#g">Tollhäuſer</hi>, gleichſam als die Ba-<lb/>ſis aller Vorſorge für Wahnſinnige zum Grunde,<lb/>
welches ſchon auf die gröſsere Schwierigkeit der<lb/>
Cur dieſer Art von Krankheiten hinzudeuten<lb/>ſcheint. Er erſpart dadurch an Koſtenaufwand,<lb/>
kann ſeine Aufmerkſamkeit in <hirendition="#g">einem</hi> Punkt ver-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[18/0023]
jene gleiſsneriſche Moralität in dem offenen Ge-
wühle der Welt nichts Inneres, ſondern ein
Kunſtgetriebe äuſserer Verhältniſſe. Man ſchil-
dere daher zum Beſten der Irrenden ihrer Näch-
ſten ſcheuſsliche Larve, damit ſie in dieſem Spie-
gel erröthen, und nothgedrungen thun, was ſie
aus innerem Triebe nicht haben thun wollen.
Doch genug zur Empfehlung meiner Collegen.
Sie möchten ſonſt auch über die Schnur ſpringen,
und den General en Chef zu dieſer Unternehmung
aus ihrer Mitte wählen wollen. Ich werde, um
mich für alle Zunftfehden beſtens zu verwahren,
mich ſtreng an meinen Leiſten halten, und bloſs
ſolche Fehler der Irrenanſtalten rügen, die dem
Aesculap Herzweh machen.
§. 2.
Kranke werden in ihren Häuſern curirt und
nur dann in öffentliche Spitäler aufgenommen,
wenn ſie kein Haus, oder wenigſtens in demſel-
ben keine Pflege haben. Bloſs die Geiſteszerrüt-
tungen ſind von jeher Ausnahmen von dieſer Re-
gel geweſen. Der Staat legt öffentliche Nar-
ren- und Tollhäuſer, gleichſam als die Ba-
ſis aller Vorſorge für Wahnſinnige zum Grunde,
welches ſchon auf die gröſsere Schwierigkeit der
Cur dieſer Art von Krankheiten hinzudeuten
ſcheint. Er erſpart dadurch an Koſtenaufwand,
kann ſeine Aufmerkſamkeit in einem Punkt ver-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/23>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.