Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

zurücksinken will, setze man ihm gleich eine
Stütze. An Mannichfaltigkeit der Mittel darf es
daher dem psychischen Arzt nicht fehlen. Jeder
wiederkehrende Anfall hinterlässt eine neue Zer-
rüttung des Gehirns. Wie niederschlagend ist es
daher für den Arzt, sein angefangenes Werk so
oft durch Irrthum und Nachlässigkeit anderer wie-
der zerstört zu sehn; wie nachtheilig sind die Be-
suche bey Privat- Kranken. Das bunte und zweck-
lose Gewäsch entkräftet das Gehirn derselben und
eröffnet seiner Tendenz zur Anomalie neue
Schlupfwege. Wie sehr wäre es zu wünschen, das
der Arzt immer um den Kranken seyn könnte und
hinlängliche Gehülfen hätte, die mit ihm in ein
Ganzes harmonisch zusammenfassten.

§. 18.

Der erste Angriff auf Geisteszerrüttete muss
wahrscheinlich der seyn, sie vorzubereiten,
dass in der Folge mit Vortheil psy-
chisch auf sie gewirkt werden könne
.
Es ist hier, wie bey moralischen Gebrechen, mei-
stens eine geringe Kunst, abstrakte Hülfen für
abstrakte Uebel anzugeben. Manche Geisteszer-
rüttungen, die auf Chimären und vorgefasste
Urtheile beruhn, würden auf der Stelle geheilt
seyn, wenn der Kranke unsern Vorschlägen Ge-
hör leistete, sich zerstreute, seine Grillen bey
Seite setzte und ihren Ungrund ernstlich prüfte.
Allein eben dann, wenn er dies wollte und könnte,

zurückſinken will, ſetze man ihm gleich eine
Stütze. An Mannichfaltigkeit der Mittel darf es
daher dem pſychiſchen Arzt nicht fehlen. Jeder
wiederkehrende Anfall hinterläſst eine neue Zer-
rüttung des Gehirns. Wie niederſchlagend iſt es
daher für den Arzt, ſein angefangenes Werk ſo
oft durch Irrthum und Nachläſſigkeit anderer wie-
der zerſtört zu ſehn; wie nachtheilig ſind die Be-
ſuche bey Privat- Kranken. Das bunte und zweck-
loſe Gewäſch entkräftet das Gehirn derſelben und
eröffnet ſeiner Tendenz zur Anomalie neue
Schlupfwege. Wie ſehr wäre es zu wünſchen, das
der Arzt immer um den Kranken ſeyn könnte und
hinlängliche Gehülfen hätte, die mit ihm in ein
Ganzes harmoniſch zuſammenfaſsten.

§. 18.

Der erſte Angriff auf Geiſteszerrüttete muſs
wahrſcheinlich der ſeyn, ſie vorzubereiten,
daſs in der Folge mit Vortheil pſy-
chiſch auf ſie gewirkt werden könne
.
Es iſt hier, wie bey moraliſchen Gebrechen, mei-
ſtens eine geringe Kunſt, abſtrakte Hülfen für
abſtrakte Uebel anzugeben. Manche Geiſteszer-
rüttungen, die auf Chimären und vorgefaſste
Urtheile beruhn, würden auf der Stelle geheilt
ſeyn, wenn der Kranke unſern Vorſchlägen Ge-
hör leiſtete, ſich zerſtreute, ſeine Grillen bey
Seite ſetzte und ihren Ungrund ernſtlich prüfte.
Allein eben dann, wenn er dies wollte und könnte,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0226" n="221"/>
zurück&#x017F;inken will, &#x017F;etze man ihm gleich eine<lb/>
Stütze. An Mannichfaltigkeit der Mittel darf es<lb/>
daher dem p&#x017F;ychi&#x017F;chen Arzt nicht fehlen. Jeder<lb/>
wiederkehrende Anfall hinterlä&#x017F;st eine neue Zer-<lb/>
rüttung des Gehirns. Wie nieder&#x017F;chlagend i&#x017F;t es<lb/>
daher für den Arzt, &#x017F;ein angefangenes Werk &#x017F;o<lb/>
oft durch Irrthum und Nachlä&#x017F;&#x017F;igkeit anderer wie-<lb/>
der zer&#x017F;tört zu &#x017F;ehn; wie nachtheilig &#x017F;ind die Be-<lb/>
&#x017F;uche bey Privat- Kranken. Das bunte und zweck-<lb/>
lo&#x017F;e Gewä&#x017F;ch entkräftet das Gehirn der&#x017F;elben und<lb/>
eröffnet &#x017F;einer Tendenz zur Anomalie neue<lb/>
Schlupfwege. Wie &#x017F;ehr wäre es zu wün&#x017F;chen, das<lb/>
der Arzt immer um den Kranken &#x017F;eyn könnte und<lb/>
hinlängliche Gehülfen hätte, die mit ihm in ein<lb/>
Ganzes harmoni&#x017F;ch zu&#x017F;ammenfa&#x017F;sten.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 18.</head><lb/>
          <p>Der er&#x017F;te Angriff auf Gei&#x017F;teszerrüttete mu&#x017F;s<lb/>
wahr&#x017F;cheinlich der &#x017F;eyn, <hi rendition="#g">&#x017F;ie vorzubereiten,<lb/>
da&#x017F;s in der Folge mit Vortheil p&#x017F;y-<lb/>
chi&#x017F;ch auf &#x017F;ie gewirkt werden könne</hi>.<lb/>
Es i&#x017F;t hier, wie bey morali&#x017F;chen Gebrechen, mei-<lb/>
&#x017F;tens eine geringe Kun&#x017F;t, ab&#x017F;trakte Hülfen für<lb/>
ab&#x017F;trakte Uebel anzugeben. Manche Gei&#x017F;teszer-<lb/>
rüttungen, die auf Chimären und vorgefa&#x017F;ste<lb/>
Urtheile beruhn, würden auf der Stelle geheilt<lb/>
&#x017F;eyn, wenn der Kranke un&#x017F;ern Vor&#x017F;chlägen Ge-<lb/>
hör lei&#x017F;tete, &#x017F;ich zer&#x017F;treute, &#x017F;eine Grillen bey<lb/>
Seite &#x017F;etzte und ihren Ungrund ern&#x017F;tlich prüfte.<lb/>
Allein eben dann, wenn er dies wollte und könnte,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[221/0226] zurückſinken will, ſetze man ihm gleich eine Stütze. An Mannichfaltigkeit der Mittel darf es daher dem pſychiſchen Arzt nicht fehlen. Jeder wiederkehrende Anfall hinterläſst eine neue Zer- rüttung des Gehirns. Wie niederſchlagend iſt es daher für den Arzt, ſein angefangenes Werk ſo oft durch Irrthum und Nachläſſigkeit anderer wie- der zerſtört zu ſehn; wie nachtheilig ſind die Be- ſuche bey Privat- Kranken. Das bunte und zweck- loſe Gewäſch entkräftet das Gehirn derſelben und eröffnet ſeiner Tendenz zur Anomalie neue Schlupfwege. Wie ſehr wäre es zu wünſchen, das der Arzt immer um den Kranken ſeyn könnte und hinlängliche Gehülfen hätte, die mit ihm in ein Ganzes harmoniſch zuſammenfaſsten. §. 18. Der erſte Angriff auf Geiſteszerrüttete muſs wahrſcheinlich der ſeyn, ſie vorzubereiten, daſs in der Folge mit Vortheil pſy- chiſch auf ſie gewirkt werden könne. Es iſt hier, wie bey moraliſchen Gebrechen, mei- ſtens eine geringe Kunſt, abſtrakte Hülfen für abſtrakte Uebel anzugeben. Manche Geiſteszer- rüttungen, die auf Chimären und vorgefaſste Urtheile beruhn, würden auf der Stelle geheilt ſeyn, wenn der Kranke unſern Vorſchlägen Ge- hör leiſtete, ſich zerſtreute, ſeine Grillen bey Seite ſetzte und ihren Ungrund ernſtlich prüfte. Allein eben dann, wenn er dies wollte und könnte,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/226
Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/226>, abgerufen am 22.12.2024.