Reichardt, Christian: Land- und Garten-Schatzes. Bd. 6. 2. Aufl. Erfurt, 1765.Zweytes Cap. Von Erziehung noch keinen finden können, der diese Operationmit glücklichem Erfolg verrichtet hätte. Wenn man berühmte und erfahrne Kunst-Gärtner dar- über befraget, so wird man gemeiniglich ausge- lacht. Es geschiehet öfters von ohngefehr, daß unter den erzogenen Samen-Blumen an einem Stocke sich welche finden, welche auf einer Helfte anders gesprenget sind, als auf der andern. Ja, ich habe vielmal gesehen, daß auf einem Stocke, welcher rothgestriefte Blumen getragen, einfär- bige, so wohl rothe als weiße Blumen nachgewach- sen sind. Und also siehet man daß die Natur das- jenige von selbsten thut, was wir erstlich durch Kunst zuwege bringen wollen. Und vielleicht hat eben diese seltsame Würkung der Natur Anlaß ge- geben, daß einer sich gerühmet, daß er die Blu- men von verschiedener Farbe durch das Oculiren auf einen Stock gebracht, welches hernach andere mögen geglaubet, und als eine wahrhafte Sache in die Garten-Bücher gebracht haben. §. 12. Was dieNelken Stöcke im Garten vor einen Ort verlangen? Die Scherben sollen billig an einen solchen die
Zweytes Cap. Von Erziehung noch keinen finden koͤnnen, der dieſe Operationmit gluͤcklichem Erfolg verrichtet haͤtte. Wenn man beruͤhmte und erfahrne Kunſt-Gaͤrtner dar- uͤber befraget, ſo wird man gemeiniglich ausge- lacht. Es geſchiehet oͤfters von ohngefehr, daß unter den erzogenen Samen-Blumen an einem Stocke ſich welche finden, welche auf einer Helfte anders geſprenget ſind, als auf der andern. Ja, ich habe vielmal geſehen, daß auf einem Stocke, welcher rothgeſtriefte Blumen getragen, einfaͤr- bige, ſo wohl rothe als weiße Blumen nachgewach- ſen ſind. Und alſo ſiehet man daß die Natur das- jenige von ſelbſten thut, was wir erſtlich durch Kunſt zuwege bringen wollen. Und vielleicht hat eben dieſe ſeltſame Wuͤrkung der Natur Anlaß ge- geben, daß einer ſich geruͤhmet, daß er die Blu- men von verſchiedener Farbe durch das Oculiren auf einen Stock gebracht, welches hernach andere moͤgen geglaubet, und als eine wahrhafte Sache in die Garten-Buͤcher gebracht haben. §. 12. Was dieNelken Stoͤcke im Garten vor einen Ort verlangen? Die Scherben ſollen billig an einen ſolchen die
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0074" n="60"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Zweytes Cap. Von Erziehung</hi></fw><lb/> noch keinen finden koͤnnen, der dieſe Operation<lb/> mit gluͤcklichem Erfolg verrichtet haͤtte. Wenn<lb/> man beruͤhmte und erfahrne Kunſt-Gaͤrtner dar-<lb/> uͤber befraget, ſo wird man gemeiniglich ausge-<lb/> lacht. Es geſchiehet oͤfters von ohngefehr, daß<lb/> unter den erzogenen Samen-Blumen an einem<lb/> Stocke ſich welche finden, welche auf einer Helfte<lb/> anders geſprenget ſind, als auf der andern. Ja,<lb/> ich habe vielmal geſehen, daß auf einem Stocke,<lb/> welcher rothgeſtriefte Blumen getragen, einfaͤr-<lb/> bige, ſo wohl rothe als weiße Blumen nachgewach-<lb/> ſen ſind. Und alſo ſiehet man daß die Natur das-<lb/> jenige von ſelbſten thut, was wir erſtlich durch<lb/> Kunſt zuwege bringen wollen. Und vielleicht hat<lb/> eben dieſe ſeltſame Wuͤrkung der Natur Anlaß ge-<lb/> geben, daß einer ſich geruͤhmet, daß er die Blu-<lb/> men von verſchiedener Farbe durch das Oculiren<lb/> auf einen Stock gebracht, welches hernach andere<lb/> moͤgen geglaubet, und als eine wahrhafte Sache<lb/> in die Garten-Buͤcher gebracht haben.</p> </div><lb/> <div n="2"> <head>§. 12.</head><lb/> <note place="left">Was die<lb/> Nelken<lb/> Stoͤcke im<lb/> Garten vor<lb/> einen Ort<lb/> verlangen?</note> <p>Die Scherben ſollen billig an einen ſolchen<lb/> Ort im Garten geſtellet werden, wo ſie die freye<lb/> Luft und die Morgen-Sonne haben koͤnnen, denn<lb/> die geſunde Vernunft lehret einem jeden, daß ſie<lb/> nicht vor ein Gewaͤchs-Haus, oder vor eine Mauer<lb/> wo die Sonne zu vielen Wiederſchein hat, duͤrfen<lb/> geſetzet werden, indem ſolches den Nelken-Stoͤcken<lb/> hoͤchſt ſchaͤdlich iſt, denn an einem ſolchen Orte<lb/> trocknet die Sonne die Stoͤcke zu ſehre aus, daß<lb/> <fw place="bottom" type="catch">die</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [60/0074]
Zweytes Cap. Von Erziehung
noch keinen finden koͤnnen, der dieſe Operation
mit gluͤcklichem Erfolg verrichtet haͤtte. Wenn
man beruͤhmte und erfahrne Kunſt-Gaͤrtner dar-
uͤber befraget, ſo wird man gemeiniglich ausge-
lacht. Es geſchiehet oͤfters von ohngefehr, daß
unter den erzogenen Samen-Blumen an einem
Stocke ſich welche finden, welche auf einer Helfte
anders geſprenget ſind, als auf der andern. Ja,
ich habe vielmal geſehen, daß auf einem Stocke,
welcher rothgeſtriefte Blumen getragen, einfaͤr-
bige, ſo wohl rothe als weiße Blumen nachgewach-
ſen ſind. Und alſo ſiehet man daß die Natur das-
jenige von ſelbſten thut, was wir erſtlich durch
Kunſt zuwege bringen wollen. Und vielleicht hat
eben dieſe ſeltſame Wuͤrkung der Natur Anlaß ge-
geben, daß einer ſich geruͤhmet, daß er die Blu-
men von verſchiedener Farbe durch das Oculiren
auf einen Stock gebracht, welches hernach andere
moͤgen geglaubet, und als eine wahrhafte Sache
in die Garten-Buͤcher gebracht haben.
§. 12.
Die Scherben ſollen billig an einen ſolchen
Ort im Garten geſtellet werden, wo ſie die freye
Luft und die Morgen-Sonne haben koͤnnen, denn
die geſunde Vernunft lehret einem jeden, daß ſie
nicht vor ein Gewaͤchs-Haus, oder vor eine Mauer
wo die Sonne zu vielen Wiederſchein hat, duͤrfen
geſetzet werden, indem ſolches den Nelken-Stoͤcken
hoͤchſt ſchaͤdlich iſt, denn an einem ſolchen Orte
trocknet die Sonne die Stoͤcke zu ſehre aus, daß
die
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/reichart_landschatz06_1755 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/reichart_landschatz06_1755/74 |
Zitationshilfe: | Reichardt, Christian: Land- und Garten-Schatzes. Bd. 6. 2. Aufl. Erfurt, 1765, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reichart_landschatz06_1755/74>, abgerufen am 21.02.2025. |