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Rapsilber, Maximilian: Das Reichstags-Gebäude. Berlin, 1895.

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in einer überraschenden, ja fast verblüffenden Ideenfülle zu Tage.
Ein kraftgenialisches deutsches Empfinden pulsirt in allen diesen mit
ihrer Zweckbestimmung so wunderbar harmonirenden Gebilden. Mit
dem gedankenlos vertrottelten Formenwust der hergebrachten Typen
ist gründlichst aufgeräumt, das Kunsthandwerk war wieder auf schlichte
und gediegene Einfachheit zurückzuleiten, ein mühevolles Beginnen,
das nur eine so durchgreifende Persönlichkeit wie Wallot zu voll¬
führen im Stande war. In den beiden Erfrischungssälen hat das
unverfälscht süddeutsche Naturell Wallot's den weitesten Spielraum
gefunden, und es lag auf der Hand, dass die ausführenden Künstler
aus München zu citiren waren. So sind die Holzarbeiten der
Restaurationssäle von der Firma Pössenbacher, die Modelle für die
Skulpturen von Vogel und Pruska, die Gewölbemalereien von
Otto Hupp und die freihändigen Stuckornamente von Biehl, sämmt¬
lich in München, geliefert worden. Doch die genialste aller hier zur
Gestaltung gekommenen Ideen ist das erstaunliche Tonnengewölbe,
das die Illusion eines Laubendachs hervorruft und zu einem klassischen
Typus in seiner Art zu werden alle Aussicht hat. Ganz schlicht und
glattflächig spannt sich die riesige Wölbung über die ringsumlaufende
Täfelung. Ein undurchdringliches Gerank einer distelartigen spät¬
gothisch stilisirten Pflanzentype überzieht in kühnen Windungen die
Fläche. Im Gewölbeansatz stehen die prachtvollen mittelalterlichen
Geschlechtswappen der deutschen Regentenhäuser. Das ganze Halb¬
rund über dem Buffet erfüllt das Stammwappen der Hohenzollern.
Im Scheitel der Wölbung dehnt der deutsche Reichsadler sein Riesen¬
gefieder, gleichsam den ganzen Raum überschattend, daher auch der
Sinnspruch: "Sub umbra alarum tuarum protege nos!" Die Reichs¬
insignien zu Füssen und zu Häupten des Adlers schauen gleichfalls
aus der Wölbung herab. Von knorrigen Wurzeln und Stämmen
ausgehend wird das grüne Blätterwerk von einem netzförmigen braunen
Geäst durchsponnen, an dem rothbäckige Aepfel hängen. Fröhliche
Schaaren eines drolligen Puttenvölkleins treiben im Grünen ihr Wesen.
In origineller Art bringt sich hierbei der deutsche Humor zur Geltung.

in einer überraschenden, ja fast verblüffenden Ideenfülle zu Tage.
Ein kraftgenialisches deutsches Empfinden pulsirt in allen diesen mit
ihrer Zweckbestimmung so wunderbar harmonirenden Gebilden. Mit
dem gedankenlos vertrottelten Formenwust der hergebrachten Typen
ist gründlichst aufgeräumt, das Kunsthandwerk war wieder auf schlichte
und gediegene Einfachheit zurückzuleiten, ein mühevolles Beginnen,
das nur eine so durchgreifende Persönlichkeit wie Wallot zu voll¬
führen im Stande war. In den beiden Erfrischungssälen hat das
unverfälscht süddeutsche Naturell Wallot's den weitesten Spielraum
gefunden, und es lag auf der Hand, dass die ausführenden Künstler
aus München zu citiren waren. So sind die Holzarbeiten der
Restaurationssäle von der Firma Pössenbacher, die Modelle für die
Skulpturen von Vogel und Pruska, die Gewölbemalereien von
Otto Hupp und die freihändigen Stuckornamente von Biehl, sämmt¬
lich in München, geliefert worden. Doch die genialste aller hier zur
Gestaltung gekommenen Ideen ist das erstaunliche Tonnengewölbe,
das die Illusion eines Laubendachs hervorruft und zu einem klassischen
Typus in seiner Art zu werden alle Aussicht hat. Ganz schlicht und
glattflächig spannt sich die riesige Wölbung über die ringsumlaufende
Täfelung. Ein undurchdringliches Gerank einer distelartigen spät¬
gothisch stilisirten Pflanzentype überzieht in kühnen Windungen die
Fläche. Im Gewölbeansatz stehen die prachtvollen mittelalterlichen
Geschlechtswappen der deutschen Regentenhäuser. Das ganze Halb¬
rund über dem Buffet erfüllt das Stammwappen der Hohenzollern.
Im Scheitel der Wölbung dehnt der deutsche Reichsadler sein Riesen¬
gefieder, gleichsam den ganzen Raum überschattend, daher auch der
Sinnspruch: „Sub umbra alarum tuarum protege nos!“ Die Reichs¬
insignien zu Füssen und zu Häupten des Adlers schauen gleichfalls
aus der Wölbung herab. Von knorrigen Wurzeln und Stämmen
ausgehend wird das grüne Blätterwerk von einem netzförmigen braunen
Geäst durchsponnen, an dem rothbäckige Aepfel hängen. Fröhliche
Schaaren eines drolligen Puttenvölkleins treiben im Grünen ihr Wesen.
In origineller Art bringt sich hierbei der deutsche Humor zur Geltung.

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[38/0044] in einer überraschenden, ja fast verblüffenden Ideenfülle zu Tage. Ein kraftgenialisches deutsches Empfinden pulsirt in allen diesen mit ihrer Zweckbestimmung so wunderbar harmonirenden Gebilden. Mit dem gedankenlos vertrottelten Formenwust der hergebrachten Typen ist gründlichst aufgeräumt, das Kunsthandwerk war wieder auf schlichte und gediegene Einfachheit zurückzuleiten, ein mühevolles Beginnen, das nur eine so durchgreifende Persönlichkeit wie Wallot zu voll¬ führen im Stande war. In den beiden Erfrischungssälen hat das unverfälscht süddeutsche Naturell Wallot's den weitesten Spielraum gefunden, und es lag auf der Hand, dass die ausführenden Künstler aus München zu citiren waren. So sind die Holzarbeiten der Restaurationssäle von der Firma Pössenbacher, die Modelle für die Skulpturen von Vogel und Pruska, die Gewölbemalereien von Otto Hupp und die freihändigen Stuckornamente von Biehl, sämmt¬ lich in München, geliefert worden. Doch die genialste aller hier zur Gestaltung gekommenen Ideen ist das erstaunliche Tonnengewölbe, das die Illusion eines Laubendachs hervorruft und zu einem klassischen Typus in seiner Art zu werden alle Aussicht hat. Ganz schlicht und glattflächig spannt sich die riesige Wölbung über die ringsumlaufende Täfelung. Ein undurchdringliches Gerank einer distelartigen spät¬ gothisch stilisirten Pflanzentype überzieht in kühnen Windungen die Fläche. Im Gewölbeansatz stehen die prachtvollen mittelalterlichen Geschlechtswappen der deutschen Regentenhäuser. Das ganze Halb¬ rund über dem Buffet erfüllt das Stammwappen der Hohenzollern. Im Scheitel der Wölbung dehnt der deutsche Reichsadler sein Riesen¬ gefieder, gleichsam den ganzen Raum überschattend, daher auch der Sinnspruch: „Sub umbra alarum tuarum protege nos!“ Die Reichs¬ insignien zu Füssen und zu Häupten des Adlers schauen gleichfalls aus der Wölbung herab. Von knorrigen Wurzeln und Stämmen ausgehend wird das grüne Blätterwerk von einem netzförmigen braunen Geäst durchsponnen, an dem rothbäckige Aepfel hängen. Fröhliche Schaaren eines drolligen Puttenvölkleins treiben im Grünen ihr Wesen. In origineller Art bringt sich hierbei der deutsche Humor zur Geltung.

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Zitationshilfe: Rapsilber, Maximilian: Das Reichstags-Gebäude. Berlin, 1895, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rapsilber_reichstagsgebaeude_1895/44>, abgerufen am 26.04.2024.