Man sieht, wie sich alles bedingt, eins das andre hervorruft: die kirchlichen Ansprüche der Fürsten, die welt- lichen des Papstes; der Verfall der kirchlichen Institute die Entwickelung einer neuen geistigen Richtung; bis zuletzt in der öffentlichen Meinung der Grund des Glaubens sel- ber angetastet ist.
Opposition in Deutschland.
Ueberaus merkwürdig finde ich nun das Verhältniß, in welches Deutschland, namentlich zu dieser geistigen Ent- wickelung, trat. Es nahm an ihr Theil, aber auf eine durchaus abweichende Weise.
Wenn es in Italien Poeten, wie Boccaz und Pe- trarca waren, die zu ihrer Zeit dieses Studium beförder- ten und den nationalen Antrieb dazu gaben, so ging es in Deutschland von einer geistlichen Brüderschaft, den Hieronymi- ten des gemeinsamen Lebens, aus, einer Brüderschaft, welche Arbeitsamkeit und Zurückgezogenheit verband. Es war ei- nes ihrer Mitglieder, der tiefsinnige, unschuldige Mystiker Thomas von Kempen, in dessen Schule alle die würdigen Männer gebildet wurden, die von dem in Italien aufge- gangenen Licht der alten Literatur zuerst dahin gezogen, dann zurückkehrten, um es auch in Deutschland auszu- breiten 1).
1) Meiners hat das Verdienst, diese Genealogie aus des Re-
Kap. II.Die Kirche im Anf. d. 16. Jahrh.
Man ſieht, wie ſich alles bedingt, eins das andre hervorruft: die kirchlichen Anſpruͤche der Fuͤrſten, die welt- lichen des Papſtes; der Verfall der kirchlichen Inſtitute die Entwickelung einer neuen geiſtigen Richtung; bis zuletzt in der oͤffentlichen Meinung der Grund des Glaubens ſel- ber angetaſtet iſt.
Oppoſition in Deutſchland.
Ueberaus merkwuͤrdig finde ich nun das Verhaͤltniß, in welches Deutſchland, namentlich zu dieſer geiſtigen Ent- wickelung, trat. Es nahm an ihr Theil, aber auf eine durchaus abweichende Weiſe.
Wenn es in Italien Poeten, wie Boccaz und Pe- trarca waren, die zu ihrer Zeit dieſes Studium befoͤrder- ten und den nationalen Antrieb dazu gaben, ſo ging es in Deutſchland von einer geiſtlichen Bruͤderſchaft, den Hieronymi- ten des gemeinſamen Lebens, aus, einer Bruͤderſchaft, welche Arbeitſamkeit und Zuruͤckgezogenheit verband. Es war ei- nes ihrer Mitglieder, der tiefſinnige, unſchuldige Myſtiker Thomas von Kempen, in deſſen Schule alle die wuͤrdigen Maͤnner gebildet wurden, die von dem in Italien aufge- gangenen Licht der alten Literatur zuerſt dahin gezogen, dann zuruͤckkehrten, um es auch in Deutſchland auszu- breiten 1).
1) Meiners hat das Verdienſt, dieſe Genealogie aus des Re-
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Kap. II. Die Kirche im Anf. d. 16. Jahrh.
Man ſieht, wie ſich alles bedingt, eins das andre
hervorruft: die kirchlichen Anſpruͤche der Fuͤrſten, die welt-
lichen des Papſtes; der Verfall der kirchlichen Inſtitute
die Entwickelung einer neuen geiſtigen Richtung; bis zuletzt
in der oͤffentlichen Meinung der Grund des Glaubens ſel-
ber angetaſtet iſt.
Oppoſition in Deutſchland.
Ueberaus merkwuͤrdig finde ich nun das Verhaͤltniß,
in welches Deutſchland, namentlich zu dieſer geiſtigen Ent-
wickelung, trat. Es nahm an ihr Theil, aber auf eine
durchaus abweichende Weiſe.
Wenn es in Italien Poeten, wie Boccaz und Pe-
trarca waren, die zu ihrer Zeit dieſes Studium befoͤrder-
ten und den nationalen Antrieb dazu gaben, ſo ging es in
Deutſchland von einer geiſtlichen Bruͤderſchaft, den Hieronymi-
ten des gemeinſamen Lebens, aus, einer Bruͤderſchaft, welche
Arbeitſamkeit und Zuruͤckgezogenheit verband. Es war ei-
nes ihrer Mitglieder, der tiefſinnige, unſchuldige Myſtiker
Thomas von Kempen, in deſſen Schule alle die wuͤrdigen
Maͤnner gebildet wurden, die von dem in Italien aufge-
gangenen Licht der alten Literatur zuerſt dahin gezogen,
dann zuruͤckkehrten, um es auch in Deutſchland auszu-
breiten 1).
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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste01_1834/100>, abgerufen am 13.11.2024.
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