Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.Siebentes Kapitel. Denkungsart der Engländer, Deutschen und übrigen Nordländer über Geschlechtsverbindung und Liebe, von der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts an, bis jetzt. Auf die Bigotterie und die Eingezogenheit Cromwells folgte der Unglaube und die Ausgelassenheit Carls des Zweyten in England. In diesen Zeiten zeichnen sich die Sitten der Großen und die Produkte des schönen Genies durch Leichtsinn und selbst durch Schmutz aus. Es ist zu vermuthen, daß dieser Ton nur bey Hofe herrschend gewesen sey. Nach der Revolution, welche Wilhelm den Dritten auf den Thron setzte, gewann die Sittlichkeit auch bey diesem die Oberhand, ohne die französische Höflichkeit, welche Carl der Zweyte mit nach England herübergebracht hatte, zu verbannen. Die Regierungen der Königin Anna, und der Könige aus dem Hause Braunschweig-Lüneburg haben diejenigen Romane hervorgebracht, welche Muster für alle kommende Jahrhunderte in dieser Gattung abgeben werden: die Meisterstücke Richardsons und Fieldings. In einem Staate, dessen Verfassung sich der republikanischen nähert; unter einem Volke, das sich viel mit dem Handel und öffentlichen Angelegenheiten beschäftigt, die jungen Mädchen nicht bis zu ihrer Verheirathung in Klöster eingesperrt, und dabey sehr religiös ist; müssen die Begriffe über den Anstand strenger, der Umgang unter beyden Geschlechtern minder häufig, mithin auch das Betragen gegen das zärtere zurückhaltender Siebentes Kapitel. Denkungsart der Engländer, Deutschen und übrigen Nordländer über Geschlechtsverbindung und Liebe, von der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts an, bis jetzt. Auf die Bigotterie und die Eingezogenheit Cromwells folgte der Unglaube und die Ausgelassenheit Carls des Zweyten in England. In diesen Zeiten zeichnen sich die Sitten der Großen und die Produkte des schönen Genies durch Leichtsinn und selbst durch Schmutz aus. Es ist zu vermuthen, daß dieser Ton nur bey Hofe herrschend gewesen sey. Nach der Revolution, welche Wilhelm den Dritten auf den Thron setzte, gewann die Sittlichkeit auch bey diesem die Oberhand, ohne die französische Höflichkeit, welche Carl der Zweyte mit nach England herübergebracht hatte, zu verbannen. Die Regierungen der Königin Anna, und der Könige aus dem Hause Braunschweig-Lüneburg haben diejenigen Romane hervorgebracht, welche Muster für alle kommende Jahrhunderte in dieser Gattung abgeben werden: die Meisterstücke Richardsons und Fieldings. In einem Staate, dessen Verfassung sich der republikanischen nähert; unter einem Volke, das sich viel mit dem Handel und öffentlichen Angelegenheiten beschäftigt, die jungen Mädchen nicht bis zu ihrer Verheirathung in Klöster eingesperrt, und dabey sehr religiös ist; müssen die Begriffe über den Anstand strenger, der Umgang unter beyden Geschlechtern minder häufig, mithin auch das Betragen gegen das zärtere zurückhaltender <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0316" n="316"/> <div n="2"> <head>Siebentes Kapitel.<lb/></head> <argument> <p>Denkungsart der Engländer, Deutschen und übrigen Nordländer über Geschlechtsverbindung und Liebe, von der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts an, bis jetzt.<lb/></p> </argument> <p>Auf die Bigotterie und die Eingezogenheit Cromwells folgte der Unglaube und die Ausgelassenheit Carls des Zweyten in England. In diesen Zeiten zeichnen sich die Sitten der Großen und die Produkte des schönen Genies durch Leichtsinn und selbst durch Schmutz aus.</p> <p>Es ist zu vermuthen, daß dieser Ton nur bey Hofe herrschend gewesen sey. Nach der Revolution, welche Wilhelm den Dritten auf den Thron setzte, gewann die Sittlichkeit auch bey diesem die Oberhand, ohne die französische Höflichkeit, welche Carl der Zweyte mit nach England herübergebracht hatte, zu verbannen. Die Regierungen der Königin Anna, und der Könige aus dem Hause Braunschweig-Lüneburg haben diejenigen Romane hervorgebracht, welche Muster für alle kommende Jahrhunderte in dieser Gattung abgeben werden: die Meisterstücke Richardsons und Fieldings.</p> <p>In einem Staate, dessen Verfassung sich der republikanischen nähert; unter einem Volke, das sich viel mit dem Handel und öffentlichen Angelegenheiten beschäftigt, die jungen Mädchen nicht bis zu ihrer Verheirathung in Klöster eingesperrt, und dabey sehr religiös ist; müssen die Begriffe über den Anstand strenger, der Umgang unter beyden Geschlechtern minder häufig, mithin auch das Betragen gegen das zärtere zurückhaltender </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [316/0316]
Siebentes Kapitel.
Denkungsart der Engländer, Deutschen und übrigen Nordländer über Geschlechtsverbindung und Liebe, von der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts an, bis jetzt.
Auf die Bigotterie und die Eingezogenheit Cromwells folgte der Unglaube und die Ausgelassenheit Carls des Zweyten in England. In diesen Zeiten zeichnen sich die Sitten der Großen und die Produkte des schönen Genies durch Leichtsinn und selbst durch Schmutz aus.
Es ist zu vermuthen, daß dieser Ton nur bey Hofe herrschend gewesen sey. Nach der Revolution, welche Wilhelm den Dritten auf den Thron setzte, gewann die Sittlichkeit auch bey diesem die Oberhand, ohne die französische Höflichkeit, welche Carl der Zweyte mit nach England herübergebracht hatte, zu verbannen. Die Regierungen der Königin Anna, und der Könige aus dem Hause Braunschweig-Lüneburg haben diejenigen Romane hervorgebracht, welche Muster für alle kommende Jahrhunderte in dieser Gattung abgeben werden: die Meisterstücke Richardsons und Fieldings.
In einem Staate, dessen Verfassung sich der republikanischen nähert; unter einem Volke, das sich viel mit dem Handel und öffentlichen Angelegenheiten beschäftigt, die jungen Mädchen nicht bis zu ihrer Verheirathung in Klöster eingesperrt, und dabey sehr religiös ist; müssen die Begriffe über den Anstand strenger, der Umgang unter beyden Geschlechtern minder häufig, mithin auch das Betragen gegen das zärtere zurückhaltender
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