Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798.Drittes Kapitel. Liebende dürfen sich einander nicht zu gewöhnlich, aber auch nicht ungewohnt werden. Zwey Gefahren drohen dieser warmen Zärtlichkeit. Die Liebenden werden sich leicht einander zu gewöhnlich, oder sie gewöhnen sich zu leicht von einander ab. Jenes geschieht, indem sie sich dem Genuß ihrer Vereinigung zu sehr überlassen: dieß indem sie sich moralisch oder physisch zu weit von einander entfernen. Nichts häufiger als die Erfahrung, daß Menschen, die lange leidenschaftlich nach Vereinigung gestrebt haben, nun, wenn sie sich im ungestörten Besitz ihrer Personen fühlen, Gleichgültigkeit, Haß sogar, an die Stelle der Liebe treten lassen. Sie erschöpfen zu schnell den Genuß, den Sinne, Herz und Geist darbiethen, und übersättigen sich aus Mangel an weiser Mäßigkeit mit den Freuden, die, auf einen längern Zeitraum vertheilt, die höchste dauerndste Wonne ihres Lebens ausmachen würden. Eben so häufig sind die Beyspiele, daß Menschen, denen die Vereinigung zu leicht gelungen ist, sich zu wenig um ihren Genuß und ihre Erhaltung bekümmern. Sie überlassen sich zu sehr den Zerstreuungen der größeren Gesellschaft, sie widmen sich beynahe ausschließend den Geschäften ihres Berufs, gewöhnen sich von einander ab, und lernen sich entbehren. Es giebt noch Gefahren einer dritten Art, die freylich nur edleren Seelen drohen. Diese fehlen durch eine zu große Wachsamkeit über sich selbst, die leicht in Zwang und Steifheit ausartet. Sie wollen sich immer vortheilhaft zeigen, und erwecken den Verdacht einer angenommenen Rolle, oder die Besorgniß, nicht Drittes Kapitel. Liebende dürfen sich einander nicht zu gewöhnlich, aber auch nicht ungewohnt werden. Zwey Gefahren drohen dieser warmen Zärtlichkeit. Die Liebenden werden sich leicht einander zu gewöhnlich, oder sie gewöhnen sich zu leicht von einander ab. Jenes geschieht, indem sie sich dem Genuß ihrer Vereinigung zu sehr überlassen: dieß indem sie sich moralisch oder physisch zu weit von einander entfernen. Nichts häufiger als die Erfahrung, daß Menschen, die lange leidenschaftlich nach Vereinigung gestrebt haben, nun, wenn sie sich im ungestörten Besitz ihrer Personen fühlen, Gleichgültigkeit, Haß sogar, an die Stelle der Liebe treten lassen. Sie erschöpfen zu schnell den Genuß, den Sinne, Herz und Geist darbiethen, und übersättigen sich aus Mangel an weiser Mäßigkeit mit den Freuden, die, auf einen längern Zeitraum vertheilt, die höchste dauerndste Wonne ihres Lebens ausmachen würden. Eben so häufig sind die Beyspiele, daß Menschen, denen die Vereinigung zu leicht gelungen ist, sich zu wenig um ihren Genuß und ihre Erhaltung bekümmern. Sie überlassen sich zu sehr den Zerstreuungen der größeren Gesellschaft, sie widmen sich beynahe ausschließend den Geschäften ihres Berufs, gewöhnen sich von einander ab, und lernen sich entbehren. Es giebt noch Gefahren einer dritten Art, die freylich nur edleren Seelen drohen. Diese fehlen durch eine zu große Wachsamkeit über sich selbst, die leicht in Zwang und Steifheit ausartet. Sie wollen sich immer vortheilhaft zeigen, und erwecken den Verdacht einer angenommenen Rolle, oder die Besorgniß, nicht <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0349" n="349"/> <div n="2"> <head>Drittes Kapitel.<lb/></head> <argument> <p>Liebende dürfen sich einander nicht zu gewöhnlich, aber auch nicht ungewohnt werden.<lb/></p> </argument> <p>Zwey Gefahren drohen dieser warmen Zärtlichkeit. 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Drittes Kapitel.
Liebende dürfen sich einander nicht zu gewöhnlich, aber auch nicht ungewohnt werden.
Zwey Gefahren drohen dieser warmen Zärtlichkeit. Die Liebenden werden sich leicht einander zu gewöhnlich, oder sie gewöhnen sich zu leicht von einander ab. Jenes geschieht, indem sie sich dem Genuß ihrer Vereinigung zu sehr überlassen: dieß indem sie sich moralisch oder physisch zu weit von einander entfernen.
Nichts häufiger als die Erfahrung, daß Menschen, die lange leidenschaftlich nach Vereinigung gestrebt haben, nun, wenn sie sich im ungestörten Besitz ihrer Personen fühlen, Gleichgültigkeit, Haß sogar, an die Stelle der Liebe treten lassen. Sie erschöpfen zu schnell den Genuß, den Sinne, Herz und Geist darbiethen, und übersättigen sich aus Mangel an weiser Mäßigkeit mit den Freuden, die, auf einen längern Zeitraum vertheilt, die höchste dauerndste Wonne ihres Lebens ausmachen würden.
Eben so häufig sind die Beyspiele, daß Menschen, denen die Vereinigung zu leicht gelungen ist, sich zu wenig um ihren Genuß und ihre Erhaltung bekümmern. Sie überlassen sich zu sehr den Zerstreuungen der größeren Gesellschaft, sie widmen sich beynahe ausschließend den Geschäften ihres Berufs, gewöhnen sich von einander ab, und lernen sich entbehren.
Es giebt noch Gefahren einer dritten Art, die freylich nur edleren Seelen drohen. Diese fehlen durch eine zu große Wachsamkeit über sich selbst, die leicht in Zwang und Steifheit ausartet. Sie wollen sich immer vortheilhaft zeigen, und erwecken den Verdacht einer angenommenen Rolle, oder die Besorgniß, nicht
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