Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798.Sechstes Kapitel. Genuß der Liebe durch schriftliche Mittheilung. Die beste Schadloshaltung, welche die Liebe für den Verlust der persönlichen Gegenwart geben kann, ist die schriftliche Mittheilung. Man sagt, die Liebe sey es, welche die Mahlerey erfunden habe. Aber gewiß! früher als Dibutade den Schatten des nahen Geliebten abnahm, hat das Bedürfniß getrennter Liebenden eine Bilder- oder Zeichenschrift erfunden. Ja, es ist unvermeidliches Bedürfniß zu wissen und zu sagen wie wir leben, und dieß hat dem Menschen den ersten Griffel in die Hand gegeben, dieß bindet noch jetzt in jenem an Werken der bildenden Kunst so armen Orient den beredten Blumenstreuß! Ich habe dein Bildniß, Freundin, meine Hand hat es entworfen! Kein Künstler würde es so geliefert haben, ich nahm es aus meinem Herzen! Aber ich selbst mahle dich nicht wie ich dich sehe! Der treueste Abglanz deiner Züge bleibt immer nur ein schwaches Symbol von dem Bilde, das mein Busen von dir in sich schließt! Aber ein Brief! ein Brief nach lang entbehrter Mittheilung, nach langem Harren! Wie ganz anders theuer ist der dem Herzen! Briefe leben, Briefe sprechen! Sie tragen den Ausdruck des Herzens über, sie athmen von unsern feurigen Gefühlen. Sie sagen oft mehr, als der Mund, schüchtern oder gespannt durch die Gegenwart des Geliebten, sagen kann. Sie sind ein dauernderes Monument der Liebe, als gesprochene Worte! Wie findet sich das Herz erleichtert, wenn man nur schreiben kann; oft ohne Hoffnung, daß der geliebte Gegenstand unser Geschriebenes erhalten werde. Aber wenn sie abgegangen Sechstes Kapitel. Genuß der Liebe durch schriftliche Mittheilung. Die beste Schadloshaltung, welche die Liebe für den Verlust der persönlichen Gegenwart geben kann, ist die schriftliche Mittheilung. Man sagt, die Liebe sey es, welche die Mahlerey erfunden habe. Aber gewiß! früher als Dibutade den Schatten des nahen Geliebten abnahm, hat das Bedürfniß getrennter Liebenden eine Bilder- oder Zeichenschrift erfunden. Ja, es ist unvermeidliches Bedürfniß zu wissen und zu sagen wie wir leben, und dieß hat dem Menschen den ersten Griffel in die Hand gegeben, dieß bindet noch jetzt in jenem an Werken der bildenden Kunst so armen Orient den beredten Blumenstreuß! Ich habe dein Bildniß, Freundin, meine Hand hat es entworfen! Kein Künstler würde es so geliefert haben, ich nahm es aus meinem Herzen! Aber ich selbst mahle dich nicht wie ich dich sehe! Der treueste Abglanz deiner Züge bleibt immer nur ein schwaches Symbol von dem Bilde, das mein Busen von dir in sich schließt! Aber ein Brief! ein Brief nach lang entbehrter Mittheilung, nach langem Harren! Wie ganz anders theuer ist der dem Herzen! Briefe leben, Briefe sprechen! Sie tragen den Ausdruck des Herzens über, sie athmen von unsern feurigen Gefühlen. Sie sagen oft mehr, als der Mund, schüchtern oder gespannt durch die Gegenwart des Geliebten, sagen kann. Sie sind ein dauernderes Monument der Liebe, als gesprochene Worte! Wie findet sich das Herz erleichtert, wenn man nur schreiben kann; oft ohne Hoffnung, daß der geliebte Gegenstand unser Geschriebenes erhalten werde. Aber wenn sie abgegangen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0280" n="280"/> <div n="2"> <head>Sechstes Kapitel.<lb/></head> <argument> <p>Genuß der Liebe durch schriftliche Mittheilung.<lb/></p> </argument> <p>Die beste Schadloshaltung, welche die Liebe für den Verlust der persönlichen Gegenwart geben kann, ist die schriftliche Mittheilung. Man sagt, die Liebe sey es, welche die Mahlerey erfunden habe. Aber gewiß! früher als Dibutade den Schatten des nahen Geliebten abnahm, hat das Bedürfniß getrennter Liebenden eine Bilder- oder Zeichenschrift erfunden. 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Sechstes Kapitel.
Genuß der Liebe durch schriftliche Mittheilung.
Die beste Schadloshaltung, welche die Liebe für den Verlust der persönlichen Gegenwart geben kann, ist die schriftliche Mittheilung. Man sagt, die Liebe sey es, welche die Mahlerey erfunden habe. Aber gewiß! früher als Dibutade den Schatten des nahen Geliebten abnahm, hat das Bedürfniß getrennter Liebenden eine Bilder- oder Zeichenschrift erfunden. Ja, es ist unvermeidliches Bedürfniß zu wissen und zu sagen wie wir leben, und dieß hat dem Menschen den ersten Griffel in die Hand gegeben, dieß bindet noch jetzt in jenem an Werken der bildenden Kunst so armen Orient den beredten Blumenstreuß!
Ich habe dein Bildniß, Freundin, meine Hand hat es entworfen! Kein Künstler würde es so geliefert haben, ich nahm es aus meinem Herzen! Aber ich selbst mahle dich nicht wie ich dich sehe! Der treueste Abglanz deiner Züge bleibt immer nur ein schwaches Symbol von dem Bilde, das mein Busen von dir in sich schließt! Aber ein Brief! ein Brief nach lang entbehrter Mittheilung, nach langem Harren! Wie ganz anders theuer ist der dem Herzen! Briefe leben, Briefe sprechen! Sie tragen den Ausdruck des Herzens über, sie athmen von unsern feurigen Gefühlen. Sie sagen oft mehr, als der Mund, schüchtern oder gespannt durch die Gegenwart des Geliebten, sagen kann. Sie sind ein dauernderes Monument der Liebe, als gesprochene Worte! Wie findet sich das Herz erleichtert, wenn man nur schreiben kann; oft ohne Hoffnung, daß der geliebte Gegenstand unser Geschriebenes erhalten werde. Aber wenn sie abgegangen
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