Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Hassende strebt dem Gehaßten das Leben zu nehmen, oder er fristet ihm dieß, um ihn länger zu quälen, oder er raubt es ihm nach vorgängiger Entsagung auf alles Glück in der Zukunft; oder er stürzt sich mit ihm ins Verderben, um des Bewußtseyns willen, ihn unglücklich gemacht zu haben. In allen diesen Fällen sehnen wir uns nach der unentbehrlichen Wonne, den andern entweder ganz zu vertilgen, oder ihm wenigstens alles zu entziehen, was das Gefühl des Bestehens angenehm machen kann.

Beyde, die Leidenschaft der Liebe und des Hasses, kommen darin überein, daß sie eine figierte Wirksamkeit der Phantasie voraussetzen. Dort werden wir von dem Bilde des Ueberganges unsrer Person in eine andere, hier von dem Bilde des Vertilgens einer andern Person durch die unsrige besessen.

Zwanzigstes Kapitel.

Absonderung der Leidenschaft der Liebe von den leidenschaftlichen Bestrebungen der Lüsternheit des Körpers und der Seele.

Wenn es schwer ist, die liebende Anhänglichkeit von der nicht liebenden, aber wohlwollenden und wohlthuenden, abzusondern, so ist es noch schwerer, die Leidenschaft der Liebe von derjenigen, die auf Selbstheit und bloßer Geschlechtssympathie beruht, zu unterscheiden, wenn diese letzten mit Aufopferungen verknüpft sind.

Jede Leidenschaft, selbst die allerniedrigste der allergröbsten Selbstheit, setzt eine Aufopferung vieler Neigungen zum Voraus, welche dem Menschen, dessen Herz

Der Hassende strebt dem Gehaßten das Leben zu nehmen, oder er fristet ihm dieß, um ihn länger zu quälen, oder er raubt es ihm nach vorgängiger Entsagung auf alles Glück in der Zukunft; oder er stürzt sich mit ihm ins Verderben, um des Bewußtseyns willen, ihn unglücklich gemacht zu haben. In allen diesen Fällen sehnen wir uns nach der unentbehrlichen Wonne, den andern entweder ganz zu vertilgen, oder ihm wenigstens alles zu entziehen, was das Gefühl des Bestehens angenehm machen kann.

Beyde, die Leidenschaft der Liebe und des Hasses, kommen darin überein, daß sie eine figierte Wirksamkeit der Phantasie voraussetzen. Dort werden wir von dem Bilde des Ueberganges unsrer Person in eine andere, hier von dem Bilde des Vertilgens einer andern Person durch die unsrige besessen.

Zwanzigstes Kapitel.

Absonderung der Leidenschaft der Liebe von den leidenschaftlichen Bestrebungen der Lüsternheit des Körpers und der Seele.

Wenn es schwer ist, die liebende Anhänglichkeit von der nicht liebenden, aber wohlwollenden und wohlthuenden, abzusondern, so ist es noch schwerer, die Leidenschaft der Liebe von derjenigen, die auf Selbstheit und bloßer Geschlechtssympathie beruht, zu unterscheiden, wenn diese letzten mit Aufopferungen verknüpft sind.

Jede Leidenschaft, selbst die allerniedrigste der allergröbsten Selbstheit, setzt eine Aufopferung vieler Neigungen zum Voraus, welche dem Menschen, dessen Herz

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0320" n="320"/>
          <p>Der Hassende strebt dem Gehaßten das Leben zu nehmen, oder er fristet ihm dieß, um ihn länger zu quälen, oder er raubt es ihm nach vorgängiger Entsagung auf alles Glück in der Zukunft; oder er stürzt sich mit ihm ins Verderben, um des Bewußtseyns willen, ihn unglücklich gemacht zu haben. In allen diesen Fällen sehnen wir uns nach der unentbehrlichen Wonne, den andern entweder ganz zu vertilgen, oder ihm wenigstens alles zu entziehen, was das Gefühl des Bestehens angenehm machen kann.</p>
          <p>Beyde, die Leidenschaft der Liebe und des Hasses, kommen darin überein, daß sie eine figierte Wirksamkeit der Phantasie voraussetzen. Dort werden wir von dem Bilde des Ueberganges unsrer Person in eine andere, hier von dem Bilde des Vertilgens einer andern Person durch die unsrige besessen.</p>
        </div>
        <div n="2">
          <head>Zwanzigstes Kapitel.<lb/></head>
          <argument>
            <p>Absonderung der Leidenschaft der Liebe von den leidenschaftlichen Bestrebungen der Lüsternheit des Körpers und der Seele.<lb/></p>
          </argument>
          <p>Wenn es schwer ist, die liebende Anhänglichkeit von der nicht liebenden, aber wohlwollenden und wohlthuenden, abzusondern, so ist es noch schwerer, die Leidenschaft der Liebe von derjenigen, die auf Selbstheit und bloßer Geschlechtssympathie beruht, zu unterscheiden, wenn diese letzten mit Aufopferungen verknüpft sind.</p>
          <p>Jede Leidenschaft, selbst die allerniedrigste der allergröbsten Selbstheit, setzt eine Aufopferung vieler Neigungen zum Voraus, welche dem Menschen, dessen Herz
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[320/0320] Der Hassende strebt dem Gehaßten das Leben zu nehmen, oder er fristet ihm dieß, um ihn länger zu quälen, oder er raubt es ihm nach vorgängiger Entsagung auf alles Glück in der Zukunft; oder er stürzt sich mit ihm ins Verderben, um des Bewußtseyns willen, ihn unglücklich gemacht zu haben. In allen diesen Fällen sehnen wir uns nach der unentbehrlichen Wonne, den andern entweder ganz zu vertilgen, oder ihm wenigstens alles zu entziehen, was das Gefühl des Bestehens angenehm machen kann. Beyde, die Leidenschaft der Liebe und des Hasses, kommen darin überein, daß sie eine figierte Wirksamkeit der Phantasie voraussetzen. Dort werden wir von dem Bilde des Ueberganges unsrer Person in eine andere, hier von dem Bilde des Vertilgens einer andern Person durch die unsrige besessen. Zwanzigstes Kapitel. Absonderung der Leidenschaft der Liebe von den leidenschaftlichen Bestrebungen der Lüsternheit des Körpers und der Seele. Wenn es schwer ist, die liebende Anhänglichkeit von der nicht liebenden, aber wohlwollenden und wohlthuenden, abzusondern, so ist es noch schwerer, die Leidenschaft der Liebe von derjenigen, die auf Selbstheit und bloßer Geschlechtssympathie beruht, zu unterscheiden, wenn diese letzten mit Aufopferungen verknüpft sind. Jede Leidenschaft, selbst die allerniedrigste der allergröbsten Selbstheit, setzt eine Aufopferung vieler Neigungen zum Voraus, welche dem Menschen, dessen Herz

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus01_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus01_1798/320
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus01_1798/320>, abgerufen am 13.11.2024.