Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798.Wesen ist nicht zur Zärtlichkeit für eine bestimmte Person angewöhnt. Er unterscheidet sich von demjenigen, der Empfindungen der allgemeinen Menschenliebe Raum giebt, nur darin, daß dieser die ganze Gattung, er aber die Art, das Geschlecht, liebt. Er möchte alle Schönen beglücken. Mit der Freundschaft verhält es sich eben so. Wer sie nur empfindet, so lange er den Freund sieht, und ihn leicht mit einem andern vertauscht, der kann auf Zärtlichkeit keinen Anspruch machen. Achtzehntes Kapitel. Absonderung der liebenden Anhänglichkeit vom Partheygeiste. Es ist ein feiner aber höchst wahrer Unterschied zwischen der Liebe in der engsten Bedeutung und dem Partheygeiste, oder der Liebe zum collektiven Ich, welche oft grobe Selbstheit, oft feinere zu seyn scheint. Jene herrschsüchtigen, heftigen Bonzen an der Spitze einer Sekte; jene kalt intriguanten Häupter einer geheimen Verbindung; jene verzärtelten Abgötter einer schwachköpfigen Familie; jene Koquetten, angebetet von einem Haufen eitler Müssiggänger; sagt! sollten die wohl lieben? Ach! laßt euch nicht durch ihre süßen Worte, durch die Herzlichkeit ihrer Geberden, durch die aufopfernde Wuth, mit der sie ihr Häuflein schützen, hintergehen! Ihr Anhang ist Theil ihres Ich's: ein collektives, vermehrtes Ich: sie fühlen nur sich selbst in dieser Mehrheit. Herrschen wollen sie, ihre einzelne Unbedeutung durch Anreihung an einen größern Haufen heben; geliebkoset, Wesen ist nicht zur Zärtlichkeit für eine bestimmte Person angewöhnt. Er unterscheidet sich von demjenigen, der Empfindungen der allgemeinen Menschenliebe Raum giebt, nur darin, daß dieser die ganze Gattung, er aber die Art, das Geschlecht, liebt. Er möchte alle Schönen beglücken. Mit der Freundschaft verhält es sich eben so. Wer sie nur empfindet, so lange er den Freund sieht, und ihn leicht mit einem andern vertauscht, der kann auf Zärtlichkeit keinen Anspruch machen. Achtzehntes Kapitel. Absonderung der liebenden Anhänglichkeit vom Partheygeiste. Es ist ein feiner aber höchst wahrer Unterschied zwischen der Liebe in der engsten Bedeutung und dem Partheygeiste, oder der Liebe zum collektiven Ich, welche oft grobe Selbstheit, oft feinere zu seyn scheint. Jene herrschsüchtigen, heftigen Bonzen an der Spitze einer Sekte; jene kalt intriguanten Häupter einer geheimen Verbindung; jene verzärtelten Abgötter einer schwachköpfigen Familie; jene Koquetten, angebetet von einem Haufen eitler Müssiggänger; sagt! sollten die wohl lieben? Ach! laßt euch nicht durch ihre süßen Worte, durch die Herzlichkeit ihrer Geberden, durch die aufopfernde Wuth, mit der sie ihr Häuflein schützen, hintergehen! Ihr Anhang ist Theil ihres Ich’s: ein collektives, vermehrtes Ich: sie fühlen nur sich selbst in dieser Mehrheit. Herrschen wollen sie, ihre einzelne Unbedeutung durch Anreihung an einen größern Haufen heben; geliebkoset, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0318" n="318"/> Wesen ist nicht zur Zärtlichkeit für eine bestimmte Person angewöhnt. Er unterscheidet sich von demjenigen, der Empfindungen der allgemeinen Menschenliebe Raum giebt, nur darin, daß dieser die ganze Gattung, er aber die Art, das Geschlecht, liebt. Er möchte alle Schönen beglücken.</p> <p>Mit der Freundschaft verhält es sich eben so. Wer sie nur empfindet, so lange er den Freund sieht, und ihn leicht mit einem andern vertauscht, der kann auf Zärtlichkeit keinen Anspruch machen.</p> </div> <div n="2"> <head>Achtzehntes Kapitel.<lb/></head> <argument> <p>Absonderung der liebenden Anhänglichkeit vom Partheygeiste.<lb/></p> </argument> <p>Es ist ein feiner aber höchst wahrer Unterschied zwischen der Liebe in der engsten Bedeutung und dem Partheygeiste, oder der Liebe zum collektiven Ich, welche oft grobe Selbstheit, oft feinere zu seyn scheint.</p> <p>Jene herrschsüchtigen, heftigen Bonzen an der Spitze einer Sekte; jene kalt intriguanten Häupter einer geheimen Verbindung; jene verzärtelten Abgötter einer schwachköpfigen Familie; jene Koquetten, angebetet von einem Haufen eitler Müssiggänger; sagt! sollten die wohl lieben? Ach! laßt euch nicht durch ihre süßen Worte, durch die Herzlichkeit ihrer Geberden, durch die aufopfernde Wuth, mit der sie ihr Häuflein schützen, hintergehen! Ihr Anhang ist Theil ihres Ich’s: ein collektives, vermehrtes Ich: sie fühlen nur sich selbst in dieser Mehrheit. Herrschen wollen sie, ihre einzelne Unbedeutung durch Anreihung an einen größern Haufen heben; geliebkoset, </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [318/0318]
Wesen ist nicht zur Zärtlichkeit für eine bestimmte Person angewöhnt. Er unterscheidet sich von demjenigen, der Empfindungen der allgemeinen Menschenliebe Raum giebt, nur darin, daß dieser die ganze Gattung, er aber die Art, das Geschlecht, liebt. Er möchte alle Schönen beglücken.
Mit der Freundschaft verhält es sich eben so. Wer sie nur empfindet, so lange er den Freund sieht, und ihn leicht mit einem andern vertauscht, der kann auf Zärtlichkeit keinen Anspruch machen.
Achtzehntes Kapitel.
Absonderung der liebenden Anhänglichkeit vom Partheygeiste.
Es ist ein feiner aber höchst wahrer Unterschied zwischen der Liebe in der engsten Bedeutung und dem Partheygeiste, oder der Liebe zum collektiven Ich, welche oft grobe Selbstheit, oft feinere zu seyn scheint.
Jene herrschsüchtigen, heftigen Bonzen an der Spitze einer Sekte; jene kalt intriguanten Häupter einer geheimen Verbindung; jene verzärtelten Abgötter einer schwachköpfigen Familie; jene Koquetten, angebetet von einem Haufen eitler Müssiggänger; sagt! sollten die wohl lieben? Ach! laßt euch nicht durch ihre süßen Worte, durch die Herzlichkeit ihrer Geberden, durch die aufopfernde Wuth, mit der sie ihr Häuflein schützen, hintergehen! Ihr Anhang ist Theil ihres Ich’s: ein collektives, vermehrtes Ich: sie fühlen nur sich selbst in dieser Mehrheit. Herrschen wollen sie, ihre einzelne Unbedeutung durch Anreihung an einen größern Haufen heben; geliebkoset,
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