Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite
II.

Ich vergleiche mit diesem Verhältnisse dasjenige, welches der Gaumen aufsucht. Er zieht den Körper, der ihm wohlschmecken soll, völlig in sich ein. Und mit welcher Thätigkeit, mit welcher Begierde! Nichts reitzt die Nerven so auffallend, als der Genuß der Nahrungsmittel; nichts bringt die Muskeln in eine auffallendere Bewegung, als das Verzehren. Kein körperlicher Trieb wirkt so anhaltend stark, und mit deutlichern Symptomen des Bestrebens, als die Gierigkeit. Der Gaumen eilt, so bald als möglich das Verlangen zu stillen, das mit einer Art von Bedürfniß auf meinen Körper wirkt.

Dieß ist also der erste Charakter des Wohlgeschmacks und der Wollust die er erweckt; mein Körper fühlt sich dabey immer höchst thätig und strebend nach Stillung eines gierigen Verlangens, und der Genuß ist der einer endenden Begierde. Der zweyte ist darin zu suchen, daß der Körper, der dieses Bestreben erweckt, dem meinigen ganz zugeeignet werden muß, wenn er mein Verlangen stillen soll. Er verschwindet für alle meine übrigen Sinne; er wird übergenommen, zermalmt, zerstört, und ein nie wieder zu trennender Theil meines Innern. Davon hängt das Gelingen meiner Begierde, davon hängt meine Wollust ab. Das unversehrte Bestehen des Körpers, der meinen Appetit reitzt, ist unvereinbar mit dessen Befriedigung.

Hier also ein zweytes Verhältniß zwischen meinem Körper und dem Körper außer mir; jener wird während des Wohlgeschmacks im Zustande der endenden Begierde wahrgenommen, dieser verschwindet, und

II.

Ich vergleiche mit diesem Verhältnisse dasjenige, welches der Gaumen aufsucht. Er zieht den Körper, der ihm wohlschmecken soll, völlig in sich ein. Und mit welcher Thätigkeit, mit welcher Begierde! Nichts reitzt die Nerven so auffallend, als der Genuß der Nahrungsmittel; nichts bringt die Muskeln in eine auffallendere Bewegung, als das Verzehren. Kein körperlicher Trieb wirkt so anhaltend stark, und mit deutlichern Symptomen des Bestrebens, als die Gierigkeit. Der Gaumen eilt, so bald als möglich das Verlangen zu stillen, das mit einer Art von Bedürfniß auf meinen Körper wirkt.

Dieß ist also der erste Charakter des Wohlgeschmacks und der Wollust die er erweckt; mein Körper fühlt sich dabey immer höchst thätig und strebend nach Stillung eines gierigen Verlangens, und der Genuß ist der einer endenden Begierde. Der zweyte ist darin zu suchen, daß der Körper, der dieses Bestreben erweckt, dem meinigen ganz zugeeignet werden muß, wenn er mein Verlangen stillen soll. Er verschwindet für alle meine übrigen Sinne; er wird übergenommen, zermalmt, zerstört, und ein nie wieder zu trennender Theil meines Innern. Davon hängt das Gelingen meiner Begierde, davon hängt meine Wollust ab. Das unversehrte Bestehen des Körpers, der meinen Appetit reitzt, ist unvereinbar mit dessen Befriedigung.

Hier also ein zweytes Verhältniß zwischen meinem Körper und dem Körper außer mir; jener wird während des Wohlgeschmacks im Zustande der endenden Begierde wahrgenommen, dieser verschwindet, und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0028" n="28"/>
          <div n="3">
            <head>II.<lb/></head>
            <p>Ich vergleiche mit diesem Verhältnisse dasjenige, welches der Gaumen aufsucht. Er zieht den Körper, der ihm wohlschmecken soll, völlig in sich ein. Und mit welcher Thätigkeit, mit welcher Begierde! Nichts reitzt die Nerven so auffallend, als der Genuß der Nahrungsmittel; nichts bringt die Muskeln in eine auffallendere Bewegung, als das Verzehren. Kein körperlicher Trieb wirkt so anhaltend stark, und mit deutlichern Symptomen des Bestrebens, als die Gierigkeit. Der Gaumen eilt, so bald als möglich das Verlangen zu stillen, das mit einer Art von Bedürfniß auf meinen Körper wirkt.</p>
            <p>Dieß ist also der erste Charakter des Wohlgeschmacks und der Wollust die er erweckt; mein Körper fühlt sich dabey immer höchst thätig und strebend nach Stillung eines gierigen Verlangens, und der Genuß ist der einer endenden Begierde. Der zweyte ist darin zu suchen, daß der Körper, der dieses Bestreben erweckt, dem meinigen ganz zugeeignet werden muß, wenn er mein Verlangen stillen soll. Er verschwindet für alle meine übrigen Sinne; er wird übergenommen, zermalmt, zerstört, und ein nie wieder zu trennender Theil meines Innern. Davon hängt das Gelingen meiner Begierde, davon hängt meine Wollust ab. Das unversehrte Bestehen des Körpers, der meinen Appetit reitzt, ist unvereinbar mit dessen Befriedigung.</p>
            <p>Hier also ein zweytes Verhältniß zwischen meinem Körper und dem Körper außer mir; jener wird während des Wohlgeschmacks im Zustande der endenden Begierde wahrgenommen, dieser verschwindet, und
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[28/0028] II. Ich vergleiche mit diesem Verhältnisse dasjenige, welches der Gaumen aufsucht. Er zieht den Körper, der ihm wohlschmecken soll, völlig in sich ein. Und mit welcher Thätigkeit, mit welcher Begierde! Nichts reitzt die Nerven so auffallend, als der Genuß der Nahrungsmittel; nichts bringt die Muskeln in eine auffallendere Bewegung, als das Verzehren. Kein körperlicher Trieb wirkt so anhaltend stark, und mit deutlichern Symptomen des Bestrebens, als die Gierigkeit. Der Gaumen eilt, so bald als möglich das Verlangen zu stillen, das mit einer Art von Bedürfniß auf meinen Körper wirkt. Dieß ist also der erste Charakter des Wohlgeschmacks und der Wollust die er erweckt; mein Körper fühlt sich dabey immer höchst thätig und strebend nach Stillung eines gierigen Verlangens, und der Genuß ist der einer endenden Begierde. Der zweyte ist darin zu suchen, daß der Körper, der dieses Bestreben erweckt, dem meinigen ganz zugeeignet werden muß, wenn er mein Verlangen stillen soll. Er verschwindet für alle meine übrigen Sinne; er wird übergenommen, zermalmt, zerstört, und ein nie wieder zu trennender Theil meines Innern. Davon hängt das Gelingen meiner Begierde, davon hängt meine Wollust ab. Das unversehrte Bestehen des Körpers, der meinen Appetit reitzt, ist unvereinbar mit dessen Befriedigung. Hier also ein zweytes Verhältniß zwischen meinem Körper und dem Körper außer mir; jener wird während des Wohlgeschmacks im Zustande der endenden Begierde wahrgenommen, dieser verschwindet, und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus01_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus01_1798/28
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus01_1798/28>, abgerufen am 13.11.2024.