Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798.In diesem Sinne unterscheidet sich Liebe nur von der Unlust und von derjenigen Lust, welche die Begünstigung einer schwachen Willensregung mit sich führt. Drittes Kapitel. Liebe und Herz in etwas eingeschränkterer Bedeutung; affektvolles Genügen des fortwährenden Bedürfnisses; affektvolle Zufriedenheit des gestillten; Ausdauern bey dem Genusse überhaupt. Diese affektvolle Lust kann aber aus sehr verschiedenen Ursachen herrühren, und die Symptome des Zustandes, in den wir dadurch gerathen, können sich sehr auffallend von einander unterscheiden. Der unheilbare Kranke kann mit affektvoller Lust die Vorstellung des Todes hegen, der ihn, wenn auch noch so spät, von seinen Qualen befreyen wird. Diese Lust ist wahrlich sehr verschieden von derjenigen, mit der der Kranke die ersten Spuren seiner Besserung bemerkt! Jener findet seine gegenwärtige Lage ganz unerträglich; er hat auch keine Aussicht auf Rückkehr in den gewöhnlichen Ruhestand des Lebens. Er hofft bloß auf Erleichterung seines gegenwärtigen peinlichen Zustandes durch ein geringeres Uebel. Dieser hingegen genießt gegenwärtig, indem er sich in seinen Bedürfnissen vor jetzt schon erleichtert, und die Hoffnung, daß ihnen ganz abgeholfen werde, begünstigt fühlt. Bares Verlangen nach einem geringeren Uebel, das unsern gegenwärtigen Zustand bloß erleichtern wird, bringt keine solche Lust hervor, die wir Liebe nennen. Niemand wird sagen, daß derjenige liebt, der in dem Augenblicke einer unumgänglichen Wahl zwischen zwey In diesem Sinne unterscheidet sich Liebe nur von der Unlust und von derjenigen Lust, welche die Begünstigung einer schwachen Willensregung mit sich führt. Drittes Kapitel. Liebe und Herz in etwas eingeschränkterer Bedeutung; affektvolles Genügen des fortwährenden Bedürfnisses; affektvolle Zufriedenheit des gestillten; Ausdauern bey dem Genusse überhaupt. Diese affektvolle Lust kann aber aus sehr verschiedenen Ursachen herrühren, und die Symptome des Zustandes, in den wir dadurch gerathen, können sich sehr auffallend von einander unterscheiden. Der unheilbare Kranke kann mit affektvoller Lust die Vorstellung des Todes hegen, der ihn, wenn auch noch so spät, von seinen Qualen befreyen wird. Diese Lust ist wahrlich sehr verschieden von derjenigen, mit der der Kranke die ersten Spuren seiner Besserung bemerkt! Jener findet seine gegenwärtige Lage ganz unerträglich; er hat auch keine Aussicht auf Rückkehr in den gewöhnlichen Ruhestand des Lebens. Er hofft bloß auf Erleichterung seines gegenwärtigen peinlichen Zustandes durch ein geringeres Uebel. Dieser hingegen genießt gegenwärtig, indem er sich in seinen Bedürfnissen vor jetzt schon erleichtert, und die Hoffnung, daß ihnen ganz abgeholfen werde, begünstigt fühlt. Bares Verlangen nach einem geringeren Uebel, das unsern gegenwärtigen Zustand bloß erleichtern wird, bringt keine solche Lust hervor, die wir Liebe nennen. Niemand wird sagen, daß derjenige liebt, der in dem Augenblicke einer unumgänglichen Wahl zwischen zwey <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0015" n="15"/> In diesem Sinne unterscheidet sich Liebe nur von der Unlust und von derjenigen Lust, welche die Begünstigung einer schwachen Willensregung mit sich führt.</p> </div> <div n="2"> <head>Drittes Kapitel.<lb/></head> <p> <hi rendition="#fr">Liebe und Herz in etwas eingeschränkterer Bedeutung; affektvolles Genügen des fortwährenden Bedürfnisses; affektvolle Zufriedenheit des gestillten; Ausdauern bey dem Genusse überhaupt.</hi> </p> <p>Diese affektvolle Lust kann aber aus sehr verschiedenen Ursachen herrühren, und die Symptome des Zustandes, in den wir dadurch gerathen, können sich sehr auffallend von einander unterscheiden. Der unheilbare Kranke kann mit affektvoller Lust die Vorstellung des Todes hegen, der ihn, wenn auch noch so spät, von seinen Qualen befreyen wird. Diese Lust ist wahrlich sehr verschieden von derjenigen, mit der der Kranke die ersten Spuren seiner Besserung bemerkt! Jener findet seine gegenwärtige Lage ganz unerträglich; er hat auch keine Aussicht auf Rückkehr in den gewöhnlichen Ruhestand des Lebens. Er hofft bloß auf Erleichterung seines gegenwärtigen peinlichen Zustandes durch ein geringeres Uebel. Dieser hingegen genießt gegenwärtig, indem er sich in seinen Bedürfnissen vor jetzt schon erleichtert, und die Hoffnung, daß ihnen ganz abgeholfen werde, begünstigt fühlt.</p> <p>Bares Verlangen nach einem geringeren Uebel, das unsern gegenwärtigen Zustand bloß erleichtern wird, bringt keine solche Lust hervor, die wir Liebe nennen. Niemand wird sagen, daß derjenige liebt, der in dem Augenblicke einer unumgänglichen Wahl zwischen zwey </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [15/0015]
In diesem Sinne unterscheidet sich Liebe nur von der Unlust und von derjenigen Lust, welche die Begünstigung einer schwachen Willensregung mit sich führt.
Drittes Kapitel.
Liebe und Herz in etwas eingeschränkterer Bedeutung; affektvolles Genügen des fortwährenden Bedürfnisses; affektvolle Zufriedenheit des gestillten; Ausdauern bey dem Genusse überhaupt.
Diese affektvolle Lust kann aber aus sehr verschiedenen Ursachen herrühren, und die Symptome des Zustandes, in den wir dadurch gerathen, können sich sehr auffallend von einander unterscheiden. Der unheilbare Kranke kann mit affektvoller Lust die Vorstellung des Todes hegen, der ihn, wenn auch noch so spät, von seinen Qualen befreyen wird. Diese Lust ist wahrlich sehr verschieden von derjenigen, mit der der Kranke die ersten Spuren seiner Besserung bemerkt! Jener findet seine gegenwärtige Lage ganz unerträglich; er hat auch keine Aussicht auf Rückkehr in den gewöhnlichen Ruhestand des Lebens. Er hofft bloß auf Erleichterung seines gegenwärtigen peinlichen Zustandes durch ein geringeres Uebel. Dieser hingegen genießt gegenwärtig, indem er sich in seinen Bedürfnissen vor jetzt schon erleichtert, und die Hoffnung, daß ihnen ganz abgeholfen werde, begünstigt fühlt.
Bares Verlangen nach einem geringeren Uebel, das unsern gegenwärtigen Zustand bloß erleichtern wird, bringt keine solche Lust hervor, die wir Liebe nennen. Niemand wird sagen, daß derjenige liebt, der in dem Augenblicke einer unumgänglichen Wahl zwischen zwey
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