So nennt man eine sehr verstümmelte Statue aus weißem Marmor. Sie bekam den Nahmen von einem lustigen Schuhflicker, der in der Nähe wohnte, und seine witzigen Einfälle daran anklebte. Wenn Bernini, wie man behauptet, gesagt hat, daß die- ser Sturz das schönste Ueberbleibsel des Alterthums sey, so ist dies wahrscheinlich auch nur ein witziger Einfall im Geschmack des Pasquino, auf die Vor- liebe des M. Angelo zu dem berühmten Torso di Belvedere. Inzwischen Verdienst hat das Stück immer, nur muß die Maaße nicht übertrieben wer- den. Es ist zu sehr beschädigt, um mit Zuverläßig- keit darüber zu urtheilen.
Die Figur scheint eine andere zu tragen. Diese Handlung hat zu mehreren Auslegungen Gelegenheit gegeben. Wahrscheinlich stellt sie einen Krieger vor, der seinen verwundeten Cameraden aus der Schlacht wegbringt, und der verstorbene Abbate Visconti hat darin den Menelaus mit dem Leichnam des Pa- troclus bestimmt wieder erkennen wollen. 4)
Nachtrag
4) S. Fea in der Ital. Uebers. der Winkelmannischen Gesch. der Kunst, T.I. Prefaz. p. 26. n. A.
Ueber einige Kunſtwerke
Paſquino.
So nennt man eine ſehr verſtuͤmmelte Statue aus weißem Marmor. Sie bekam den Nahmen von einem luſtigen Schuhflicker, der in der Naͤhe wohnte, und ſeine witzigen Einfaͤlle daran anklebte. Wenn Bernini, wie man behauptet, geſagt hat, daß die- ſer Sturz das ſchoͤnſte Ueberbleibſel des Alterthums ſey, ſo iſt dies wahrſcheinlich auch nur ein witziger Einfall im Geſchmack des Paſquino, auf die Vor- liebe des M. Angelo zu dem beruͤhmten Torſo di Belvedere. Inzwiſchen Verdienſt hat das Stuͤck immer, nur muß die Maaße nicht uͤbertrieben wer- den. Es iſt zu ſehr beſchaͤdigt, um mit Zuverlaͤßig- keit daruͤber zu urtheilen.
Die Figur ſcheint eine andere zu tragen. Dieſe Handlung hat zu mehreren Auslegungen Gelegenheit gegeben. Wahrſcheinlich ſtellt ſie einen Krieger vor, der ſeinen verwundeten Cameraden aus der Schlacht wegbringt, und der verſtorbene Abbate Visconti hat darin den Menelaus mit dem Leichnam des Pa- troclus beſtimmt wieder erkennen wollen. 4)
Nachtrag
4) S. Fea in der Ital. Ueberſ. der Winkelmanniſchen Geſch. der Kunſt, T.I. Prefaz. p. 26. n. A.
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Ueber einige Kunſtwerke
Paſquino.
So nennt man eine ſehr verſtuͤmmelte Statue aus
weißem Marmor. Sie bekam den Nahmen von
einem luſtigen Schuhflicker, der in der Naͤhe wohnte,
und ſeine witzigen Einfaͤlle daran anklebte. Wenn
Bernini, wie man behauptet, geſagt hat, daß die-
ſer Sturz das ſchoͤnſte Ueberbleibſel des Alterthums
ſey, ſo iſt dies wahrſcheinlich auch nur ein witziger
Einfall im Geſchmack des Paſquino, auf die Vor-
liebe des M. Angelo zu dem beruͤhmten Torſo di
Belvedere. Inzwiſchen Verdienſt hat das Stuͤck
immer, nur muß die Maaße nicht uͤbertrieben wer-
den. Es iſt zu ſehr beſchaͤdigt, um mit Zuverlaͤßig-
keit daruͤber zu urtheilen.
Die Figur ſcheint eine andere zu tragen. Dieſe
Handlung hat zu mehreren Auslegungen Gelegenheit
gegeben. Wahrſcheinlich ſtellt ſie einen Krieger vor,
der ſeinen verwundeten Cameraden aus der Schlacht
wegbringt, und der verſtorbene Abbate Visconti
hat darin den Menelaus mit dem Leichnam des Pa-
troclus beſtimmt wieder erkennen wollen. 4)
Nachtrag
4) S. Fea in der Ital. Ueberſ. der Winkelmanniſchen
Geſch. der Kunſt, T.I. Prefaz. p. 26. n. A.
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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787, S. 368. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei03_1787/392>, abgerufen am 23.02.2025.
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