Jn diesem Sprüchworte liegt der Grund aller geselligen Pflichten, und aller daraus ent- springenden Glückseligkeit der Menschen. Unsere Philosophen mögen gleich ganze Lasten moralischer Qvartanten auf einander häufen, so werden sie doch darinnen weiter nichts sagen können, als was uns dieses einzige Sprüchwort lehrt. Wer dieses in seinem ganzen Umfange kennt, und mit der Vor- sicht eines vernünftigen Mannes ausübt; der kann seines Glücks gewiß seyn. Er wird bey mittel- mäßigen Gaben groß, und, wenn er auch Fehler hat, doch bey jedermann beliebt seyn. Versäumt er aber die große Pflicht, auf die uns dieses Sprüchwort weist; so ist er unvermeidlich verlo- ren. Ohne diese Tugend scheint uns der größte Prinz nur ein verächtlicher Verwalter fremder Güter zu seyn, der auf Rechnung sitzt. Der Staatsmann wird zum Finanzenpachter, der Fi- nanzenpachter zum Pedanten, und der Pedant zum Klotze, wenn er vergißt, daß er auch für an- dere lebt, und daß er nicht glücklich seyn kann, ohne vorher andere glücklich zu machen, oder, mit un- serm Texte zu reden, wenn er vergißt, daß keine Hand sich selbst waschen könne.
Jch gebe mir bey aller Gelegenheit Mühe, zu zeigen, daß wir Menschen so verderbt nicht sind,
als
Eine Hand waͤſcht die andere.
Jn dieſem Spruͤchworte liegt der Grund aller geſelligen Pflichten, und aller daraus ent- ſpringenden Gluͤckſeligkeit der Menſchen. Unſere Philoſophen moͤgen gleich ganze Laſten moraliſcher Qvartanten auf einander haͤufen, ſo werden ſie doch darinnen weiter nichts ſagen koͤnnen, als was uns dieſes einzige Spruͤchwort lehrt. Wer dieſes in ſeinem ganzen Umfange kennt, und mit der Vor- ſicht eines vernuͤnftigen Mannes ausuͤbt; der kann ſeines Gluͤcks gewiß ſeyn. Er wird bey mittel- maͤßigen Gaben groß, und, wenn er auch Fehler hat, doch bey jedermann beliebt ſeyn. Verſaͤumt er aber die große Pflicht, auf die uns dieſes Spruͤchwort weiſt; ſo iſt er unvermeidlich verlo- ren. Ohne dieſe Tugend ſcheint uns der groͤßte Prinz nur ein veraͤchtlicher Verwalter fremder Guͤter zu ſeyn, der auf Rechnung ſitzt. Der Staatsmann wird zum Finanzenpachter, der Fi- nanzenpachter zum Pedanten, und der Pedant zum Klotze, wenn er vergißt, daß er auch fuͤr an- dere lebt, und daß er nicht gluͤcklich ſeyn kann, ohne vorher andere gluͤcklich zu machen, oder, mit un- ſerm Texte zu reden, wenn er vergißt, daß keine Hand ſich ſelbſt waſchen koͤnne.
Jch gebe mir bey aller Gelegenheit Muͤhe, zu zeigen, daß wir Menſchen ſo verderbt nicht ſind,
als
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0142"n="120"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><divn="2"><head><hirendition="#b">Eine Hand waͤſcht die andere.</hi></head><lb/><p><hirendition="#in">J</hi>n dieſem Spruͤchworte liegt der Grund aller<lb/>
geſelligen Pflichten, und aller daraus ent-<lb/>ſpringenden Gluͤckſeligkeit der Menſchen. Unſere<lb/>
Philoſophen moͤgen gleich ganze Laſten moraliſcher<lb/>
Qvartanten auf einander haͤufen, ſo werden ſie<lb/>
doch darinnen weiter nichts ſagen koͤnnen, als was<lb/>
uns dieſes einzige Spruͤchwort lehrt. Wer dieſes<lb/>
in ſeinem ganzen Umfange kennt, und mit der Vor-<lb/>ſicht eines vernuͤnftigen Mannes ausuͤbt; der kann<lb/>ſeines Gluͤcks gewiß ſeyn. Er wird bey mittel-<lb/>
maͤßigen Gaben groß, und, wenn er auch Fehler<lb/>
hat, doch bey jedermann beliebt ſeyn. Verſaͤumt<lb/>
er aber die große Pflicht, auf die uns dieſes<lb/>
Spruͤchwort weiſt; ſo iſt er unvermeidlich verlo-<lb/>
ren. Ohne dieſe Tugend ſcheint uns der groͤßte<lb/>
Prinz nur ein veraͤchtlicher Verwalter fremder<lb/>
Guͤter zu ſeyn, der auf Rechnung ſitzt. Der<lb/>
Staatsmann wird zum Finanzenpachter, der Fi-<lb/>
nanzenpachter zum Pedanten, und der Pedant<lb/>
zum Klotze, wenn er vergißt, daß er auch fuͤr an-<lb/>
dere lebt, und daß er nicht gluͤcklich ſeyn kann, ohne<lb/>
vorher andere gluͤcklich zu machen, oder, mit un-<lb/>ſerm Texte zu reden, wenn er vergißt, daß keine<lb/>
Hand ſich ſelbſt waſchen koͤnne.</p><lb/><p>Jch gebe mir bey aller Gelegenheit Muͤhe, zu<lb/>
zeigen, daß wir Menſchen ſo verderbt nicht ſind,<lb/><fwplace="bottom"type="catch">als</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[120/0142]
Eine Hand waͤſcht die andere.
Jn dieſem Spruͤchworte liegt der Grund aller
geſelligen Pflichten, und aller daraus ent-
ſpringenden Gluͤckſeligkeit der Menſchen. Unſere
Philoſophen moͤgen gleich ganze Laſten moraliſcher
Qvartanten auf einander haͤufen, ſo werden ſie
doch darinnen weiter nichts ſagen koͤnnen, als was
uns dieſes einzige Spruͤchwort lehrt. Wer dieſes
in ſeinem ganzen Umfange kennt, und mit der Vor-
ſicht eines vernuͤnftigen Mannes ausuͤbt; der kann
ſeines Gluͤcks gewiß ſeyn. Er wird bey mittel-
maͤßigen Gaben groß, und, wenn er auch Fehler
hat, doch bey jedermann beliebt ſeyn. Verſaͤumt
er aber die große Pflicht, auf die uns dieſes
Spruͤchwort weiſt; ſo iſt er unvermeidlich verlo-
ren. Ohne dieſe Tugend ſcheint uns der groͤßte
Prinz nur ein veraͤchtlicher Verwalter fremder
Guͤter zu ſeyn, der auf Rechnung ſitzt. Der
Staatsmann wird zum Finanzenpachter, der Fi-
nanzenpachter zum Pedanten, und der Pedant
zum Klotze, wenn er vergißt, daß er auch fuͤr an-
dere lebt, und daß er nicht gluͤcklich ſeyn kann, ohne
vorher andere gluͤcklich zu machen, oder, mit un-
ſerm Texte zu reden, wenn er vergißt, daß keine
Hand ſich ſelbſt waſchen koͤnne.
Jch gebe mir bey aller Gelegenheit Muͤhe, zu
zeigen, daß wir Menſchen ſo verderbt nicht ſind,
als
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/142>, abgerufen am 30.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.