Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752.

Bild:
<< vorherige Seite
Satyrische Briefe.


"Da die Natur allen Thieren den Trieb zu
"lieben eingepflanzt hat: so fühlen ihn auch
"die Pedanten, und oft fühlen diese ihn
"mehr, als vernünftige Geschöpfe, weil man aus
"der Zergliedrungskunst will wahrgenommen ha-
"ben, daß diejenigen Creaturen am brünstigsten
"sind, die am wenigsten denken. Jch will meinen
"Lesern eine Art von dergleichen Schulseufzern mit-
"theilen. Es wäre zu wünschen, daß sie alle so
"beantwortet würden, wie ich diesen beantwortet
"habe. Auf diese Art würde sich das schmutzige
"Geschlecht der Pedanten weniger vermehren."

Hochzuehrende, und Werthgeschätzte
Jungfrau!

Wenn ich Jhnen sage, daß die Sonne zum Er-
wärmen, der Vogel zum Fliegen, und der
Mensch zum Lieben erschaffen ist: so sage ich Jhnen
eine Wahrheit, von der der wilde Scythe so sehr,
als der vernünftig denkende Grieche, überzeugt war.
Amor omnibus idem! Die weise Natur hat dem
Menschen einen Trieb eingepflanzt, welchen er Liebe
nennt, und der auf die Vermehrung seines Ge-
schlechts abzielt. Ohne diesen Trieb würden die
großen Absichten der mütterlichen Natur nicht be-
stehn, und die Welt würde in ihr erstes Chaos
zurück fallen, wenn die Menschen nicht liebten.

Jch,
Satyriſche Briefe.


Da die Natur allen Thieren den Trieb zu
„lieben eingepflanzt hat: ſo fuͤhlen ihn auch
„die Pedanten, und oft fuͤhlen dieſe ihn
„mehr, als vernuͤnftige Geſchoͤpfe, weil man aus
„der Zergliedrungskunſt will wahrgenommen ha-
„ben, daß diejenigen Creaturen am bruͤnſtigſten
„ſind, die am wenigſten denken. Jch will meinen
„Leſern eine Art von dergleichen Schulſeufzern mit-
„theilen. Es waͤre zu wuͤnſchen, daß ſie alle ſo
„beantwortet wuͤrden, wie ich dieſen beantwortet
„habe. Auf dieſe Art wuͤrde ſich das ſchmutzige
„Geſchlecht der Pedanten weniger vermehren.„

Hochzuehrende, und Werthgeſchaͤtzte
Jungfrau!

Wenn ich Jhnen ſage, daß die Sonne zum Er-
waͤrmen, der Vogel zum Fliegen, und der
Menſch zum Lieben erſchaffen iſt: ſo ſage ich Jhnen
eine Wahrheit, von der der wilde Scythe ſo ſehr,
als der vernuͤnftig denkende Grieche, uͤberzeugt war.
Amor omnibus idem! Die weiſe Natur hat dem
Menſchen einen Trieb eingepflanzt, welchen er Liebe
nennt, und der auf die Vermehrung ſeines Ge-
ſchlechts abzielt. Ohne dieſen Trieb wuͤrden die
großen Abſichten der muͤtterlichen Natur nicht be-
ſtehn, und die Welt wuͤrde in ihr erſtes Chaos
zuruͤck fallen, wenn die Menſchen nicht liebten.

Jch,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0390" n="362"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Satyri&#x017F;che Briefe.</hi> </fw><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p>&#x201E;<hi rendition="#in">D</hi>a die Natur allen Thieren den Trieb zu<lb/>
&#x201E;lieben eingepflanzt hat: &#x017F;o fu&#x0364;hlen ihn auch<lb/>
&#x201E;die Pedanten, und oft fu&#x0364;hlen die&#x017F;e ihn<lb/>
&#x201E;mehr, als vernu&#x0364;nftige Ge&#x017F;cho&#x0364;pfe, weil man aus<lb/>
&#x201E;der Zergliedrungskun&#x017F;t will wahrgenommen ha-<lb/>
&#x201E;ben, daß diejenigen Creaturen am bru&#x0364;n&#x017F;tig&#x017F;ten<lb/>
&#x201E;&#x017F;ind, die am wenig&#x017F;ten denken. Jch will meinen<lb/>
&#x201E;Le&#x017F;ern eine Art von dergleichen Schul&#x017F;eufzern mit-<lb/>
&#x201E;theilen. Es wa&#x0364;re zu wu&#x0364;n&#x017F;chen, daß &#x017F;ie alle &#x017F;o<lb/>
&#x201E;beantwortet wu&#x0364;rden, wie ich die&#x017F;en beantwortet<lb/>
&#x201E;habe. Auf die&#x017F;e Art wu&#x0364;rde &#x017F;ich das &#x017F;chmutzige<lb/>
&#x201E;Ge&#x017F;chlecht der Pedanten weniger vermehren.&#x201E;</p><lb/>
        <floatingText>
          <body>
            <div type="letter">
              <salute> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#fr">Hochzuehrende, und Werthge&#x017F;cha&#x0364;tzte<lb/>
Jungfrau!</hi> </hi> </salute><lb/>
              <p><hi rendition="#in">W</hi>enn ich Jhnen &#x017F;age, daß die Sonne zum Er-<lb/>
wa&#x0364;rmen, der Vogel zum Fliegen, und der<lb/>
Men&#x017F;ch zum Lieben er&#x017F;chaffen i&#x017F;t: &#x017F;o &#x017F;age ich Jhnen<lb/>
eine Wahrheit, von der der wilde Scythe &#x017F;o &#x017F;ehr,<lb/>
als der vernu&#x0364;nftig denkende Grieche, u&#x0364;berzeugt war.<lb/><hi rendition="#aq">Amor omnibus idem!</hi> Die wei&#x017F;e Natur hat dem<lb/>
Men&#x017F;chen einen Trieb eingepflanzt, welchen er Liebe<lb/>
nennt, und der auf die Vermehrung &#x017F;eines Ge-<lb/>
&#x017F;chlechts abzielt. Ohne die&#x017F;en Trieb wu&#x0364;rden die<lb/>
großen Ab&#x017F;ichten der mu&#x0364;tterlichen Natur nicht be-<lb/>
&#x017F;tehn, und die Welt wu&#x0364;rde in ihr er&#x017F;tes Chaos<lb/>
zuru&#x0364;ck fallen, wenn die Men&#x017F;chen nicht liebten.</p><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch">Jch,</fw><lb/>
            </div>
          </body>
        </floatingText>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[362/0390] Satyriſche Briefe. „Da die Natur allen Thieren den Trieb zu „lieben eingepflanzt hat: ſo fuͤhlen ihn auch „die Pedanten, und oft fuͤhlen dieſe ihn „mehr, als vernuͤnftige Geſchoͤpfe, weil man aus „der Zergliedrungskunſt will wahrgenommen ha- „ben, daß diejenigen Creaturen am bruͤnſtigſten „ſind, die am wenigſten denken. Jch will meinen „Leſern eine Art von dergleichen Schulſeufzern mit- „theilen. Es waͤre zu wuͤnſchen, daß ſie alle ſo „beantwortet wuͤrden, wie ich dieſen beantwortet „habe. Auf dieſe Art wuͤrde ſich das ſchmutzige „Geſchlecht der Pedanten weniger vermehren.„ Hochzuehrende, und Werthgeſchaͤtzte Jungfrau! Wenn ich Jhnen ſage, daß die Sonne zum Er- waͤrmen, der Vogel zum Fliegen, und der Menſch zum Lieben erſchaffen iſt: ſo ſage ich Jhnen eine Wahrheit, von der der wilde Scythe ſo ſehr, als der vernuͤnftig denkende Grieche, uͤberzeugt war. Amor omnibus idem! Die weiſe Natur hat dem Menſchen einen Trieb eingepflanzt, welchen er Liebe nennt, und der auf die Vermehrung ſeines Ge- ſchlechts abzielt. Ohne dieſen Trieb wuͤrden die großen Abſichten der muͤtterlichen Natur nicht be- ſtehn, und die Welt wuͤrde in ihr erſtes Chaos zuruͤck fallen, wenn die Menſchen nicht liebten. Jch,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/390
Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/390>, abgerufen am 30.12.2024.