Jch werde wohl nicht nöthig haben, dich um eine deutlichere Erklärung deiner Meynung zu bit- ten. Jch glaube, dich zu verstehn. Wenn ich auf weiter nichts sehn wollte, als dich angesehn, und reich in der Welt zu wünschen: so würde ich dir ernstlich anrathen, die Hand des Herrn Cam- merraths anzunehmen. Aber ich will dich auch glücklich in der Welt wissen; und das möchtest du schwerlich bey ihm werden, da du bey deinen Jah- ren eher seine Enkelinn, als seine Frau, seyn könn- test. Was muß der ehrliche Greis gedacht haben, da er dir einen solchen Brief geschrieben hat! Jch sehe sein ganzes Herz darinnen. Er ist ein recht- schaffner Mann; er ist in einen Fehler gefallen, der auch bey rechtschaffnen Leuten eine Uebereilung bleibt. Aber so seyd ihr Mädchen. Jhr ver- führt Jünglinge und Greise; und der Teufel ist euch nicht klug genug, so alt er ist. Jm übrigen verlasse dich auf mich. Du sollst ihn wider deinen Willen nicht zum Manne kriegen. Jch habe die- sen Nachmittag eine nothwendige Reise auf meine Güter zu thun. Jn acht Tagen komme ich zu- rück, und hernach will ich selbst an den alten Cam- merrath schreiben, und ihm meine Meynung ganz treuherzig sagen. Er ist billig, ich vermag etwas über ihn, und ich hoffe die Sache so einzurichten, daß er sich selbst begreifen wird, ohne auf dich einen Widerwillen zu werfen.
Lebe wohl.
Gnä-
T 4
Satyriſche Briefe.
Liebes Fraͤulein,
Jch werde wohl nicht noͤthig haben, dich um eine deutlichere Erklaͤrung deiner Meynung zu bit- ten. Jch glaube, dich zu verſtehn. Wenn ich auf weiter nichts ſehn wollte, als dich angeſehn, und reich in der Welt zu wuͤnſchen: ſo wuͤrde ich dir ernſtlich anrathen, die Hand des Herrn Cam- merraths anzunehmen. Aber ich will dich auch gluͤcklich in der Welt wiſſen; und das moͤchteſt du ſchwerlich bey ihm werden, da du bey deinen Jah- ren eher ſeine Enkelinn, als ſeine Frau, ſeyn koͤnn- teſt. Was muß der ehrliche Greis gedacht haben, da er dir einen ſolchen Brief geſchrieben hat! Jch ſehe ſein ganzes Herz darinnen. Er iſt ein recht- ſchaffner Mann; er iſt in einen Fehler gefallen, der auch bey rechtſchaffnen Leuten eine Uebereilung bleibt. Aber ſo ſeyd ihr Maͤdchen. Jhr ver- fuͤhrt Juͤnglinge und Greiſe; und der Teufel iſt euch nicht klug genug, ſo alt er iſt. Jm uͤbrigen verlaſſe dich auf mich. Du ſollſt ihn wider deinen Willen nicht zum Manne kriegen. Jch habe die- ſen Nachmittag eine nothwendige Reiſe auf meine Guͤter zu thun. Jn acht Tagen komme ich zu- ruͤck, und hernach will ich ſelbſt an den alten Cam- merrath ſchreiben, und ihm meine Meynung ganz treuherzig ſagen. Er iſt billig, ich vermag etwas uͤber ihn, und ich hoffe die Sache ſo einzurichten, daß er ſich ſelbſt begreifen wird, ohne auf dich einen Widerwillen zu werfen.
Lebe wohl.
Gnaͤ-
T 4
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Satyriſche Briefe.
Liebes Fraͤulein,
Jch werde wohl nicht noͤthig haben, dich um eine
deutlichere Erklaͤrung deiner Meynung zu bit-
ten. Jch glaube, dich zu verſtehn. Wenn ich
auf weiter nichts ſehn wollte, als dich angeſehn,
und reich in der Welt zu wuͤnſchen: ſo wuͤrde ich
dir ernſtlich anrathen, die Hand des Herrn Cam-
merraths anzunehmen. Aber ich will dich auch
gluͤcklich in der Welt wiſſen; und das moͤchteſt du
ſchwerlich bey ihm werden, da du bey deinen Jah-
ren eher ſeine Enkelinn, als ſeine Frau, ſeyn koͤnn-
teſt. Was muß der ehrliche Greis gedacht haben,
da er dir einen ſolchen Brief geſchrieben hat! Jch
ſehe ſein ganzes Herz darinnen. Er iſt ein recht-
ſchaffner Mann; er iſt in einen Fehler gefallen, der
auch bey rechtſchaffnen Leuten eine Uebereilung
bleibt. Aber ſo ſeyd ihr Maͤdchen. Jhr ver-
fuͤhrt Juͤnglinge und Greiſe; und der Teufel iſt
euch nicht klug genug, ſo alt er iſt. Jm uͤbrigen
verlaſſe dich auf mich. Du ſollſt ihn wider deinen
Willen nicht zum Manne kriegen. Jch habe die-
ſen Nachmittag eine nothwendige Reiſe auf meine
Guͤter zu thun. Jn acht Tagen komme ich zu-
ruͤck, und hernach will ich ſelbſt an den alten Cam-
merrath ſchreiben, und ihm meine Meynung ganz
treuherzig ſagen. Er iſt billig, ich vermag etwas
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/323>, abgerufen am 20.11.2024.
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