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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752.

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Satyrische Briefe.
den Professor geschrieben hatte. Er war fromm,
und fast ein wenig gar zu fromm. Dieser Schwä-
che wollte ich mich bedienen. Konnte es nicht
möglich seyn, daß mein Brief untergeschoben, und
meine Hand von bösen Leuten nachgemalet war?
Jch wollte den Professor zweifelhaft machen. Hät-
te ich ihn einmal so weit gehabt, daß er angefan-
gen zu glauben, es habe sich die Bosheit neidischer
Leute mit ins Spiel gemischt: so hoffte ich gewon-
nen zu haben, und ihn so weit zu bringen, daß er
an mich schreiben, oder gar zu mir kommen sollte.
Alsdann hätte es mich ein paar kleine Thränen geko-
stet, die zu ihrer Zeit beredter sind, als alle goldne
Sprüche der griechischen und römischen Weisen.
Das war mein Plan. Jm Geiste war ich schon
Frau Professorinn. Jch ward es nicht. Mit dem
nächsten Posttage kam ein Brief; aber was für
einer? Lesen Sie einmal. Wie widrig ist mein
Schicksal!

Mademoiselle,

"Mein Mann, welcher unbaß ist, hat mir auf-
"getragen, Jhnen den richtigen Empfang
"Jhres Briefs vom zehnten dieses zu melden. Er
"läßt Jhnen durch mich aufs heiligste zuschwören,
"daß er noch itzt niemals ohne die größte Hochach-
"tung an Jhren seligen Herrn Vater gedenken
"könne. Aber das ist ihm alles unbegreiflich, was
"Sie von einem Misverständnisse, von verlohren

gegang-
Q 3

Satyriſche Briefe.
den Profeſſor geſchrieben hatte. Er war fromm,
und faſt ein wenig gar zu fromm. Dieſer Schwaͤ-
che wollte ich mich bedienen. Konnte es nicht
moͤglich ſeyn, daß mein Brief untergeſchoben, und
meine Hand von boͤſen Leuten nachgemalet war?
Jch wollte den Profeſſor zweifelhaft machen. Haͤt-
te ich ihn einmal ſo weit gehabt, daß er angefan-
gen zu glauben, es habe ſich die Bosheit neidiſcher
Leute mit ins Spiel gemiſcht: ſo hoffte ich gewon-
nen zu haben, und ihn ſo weit zu bringen, daß er
an mich ſchreiben, oder gar zu mir kommen ſollte.
Alsdann haͤtte es mich ein paar kleine Thraͤnen geko-
ſtet, die zu ihrer Zeit beredter ſind, als alle goldne
Spruͤche der griechiſchen und roͤmiſchen Weiſen.
Das war mein Plan. Jm Geiſte war ich ſchon
Frau Profeſſorinn. Jch ward es nicht. Mit dem
naͤchſten Poſttage kam ein Brief; aber was fuͤr
einer? Leſen Sie einmal. Wie widrig iſt mein
Schickſal!

Mademoiſelle,

Mein Mann, welcher unbaß iſt, hat mir auf-
„getragen, Jhnen den richtigen Empfang
„Jhres Briefs vom zehnten dieſes zu melden. Er
„laͤßt Jhnen durch mich aufs heiligſte zuſchwoͤren,
„daß er noch itzt niemals ohne die groͤßte Hochach-
„tung an Jhren ſeligen Herrn Vater gedenken
„koͤnne. Aber das iſt ihm alles unbegreiflich, was
„Sie von einem Misverſtaͤndniſſe, von verlohren

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[245/0273] Satyriſche Briefe. den Profeſſor geſchrieben hatte. Er war fromm, und faſt ein wenig gar zu fromm. Dieſer Schwaͤ- che wollte ich mich bedienen. Konnte es nicht moͤglich ſeyn, daß mein Brief untergeſchoben, und meine Hand von boͤſen Leuten nachgemalet war? Jch wollte den Profeſſor zweifelhaft machen. Haͤt- te ich ihn einmal ſo weit gehabt, daß er angefan- gen zu glauben, es habe ſich die Bosheit neidiſcher Leute mit ins Spiel gemiſcht: ſo hoffte ich gewon- nen zu haben, und ihn ſo weit zu bringen, daß er an mich ſchreiben, oder gar zu mir kommen ſollte. Alsdann haͤtte es mich ein paar kleine Thraͤnen geko- ſtet, die zu ihrer Zeit beredter ſind, als alle goldne Spruͤche der griechiſchen und roͤmiſchen Weiſen. Das war mein Plan. Jm Geiſte war ich ſchon Frau Profeſſorinn. Jch ward es nicht. Mit dem naͤchſten Poſttage kam ein Brief; aber was fuͤr einer? Leſen Sie einmal. Wie widrig iſt mein Schickſal! Mademoiſelle, „Mein Mann, welcher unbaß iſt, hat mir auf- „getragen, Jhnen den richtigen Empfang „Jhres Briefs vom zehnten dieſes zu melden. Er „laͤßt Jhnen durch mich aufs heiligſte zuſchwoͤren, „daß er noch itzt niemals ohne die groͤßte Hochach- „tung an Jhren ſeligen Herrn Vater gedenken „koͤnne. Aber das iſt ihm alles unbegreiflich, was „Sie von einem Misverſtaͤndniſſe, von verlohren gegang- Q 3

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/273>, abgerufen am 21.12.2024.