Jhr werdet mir verzeihen, daß ich, als ein Deut- scher, mich unterstehe, Euern Namen vor mei- ne Schrift, und zwar vor eine solche Schrift zu setzen, in welcher eine der schwersten Materien, nach der Metaphysik, abgehandelt wird. Die witzigsten Eurer Landsleute wählen sich eine Marquisinn zur Schutzgöttinn ihrer gelehrten Werke, welche sie in die Welt senden, und ich lobe sie darum. Derjenige Leser müßte sehr unbescheiden seyn, der sich an einer Schrift vergreifen könnte, welche ein Frauenzimmer beschützt, oder die, mit der Livrey einer Marqvisinn, sich unter das Volk wagt. Jch bin gar nicht so sehr für mein Vaterland eingenommen, daß ich nicht dieses für einen der wesentlichsten Vorzüge Euers Volks erkennen, und hier öffentlich rühmen sollte. So oft ich ein Buch sehe, es mag in Cölln, oder auf Kosten der Compagnie herausgekommen seyn, so ist eine Marqvisinn allemal das erste, was mir in die Au- gen fällt. Niemals sehe ich dieses, ohne die Glück- seligkeit Euers Volks zu beneiden, und mein Deutsch- land, dieses rauhe und unwitzige Land, zu beklagen, in welchem kein Autor berühmt werden kann, weil er keine Marqvisinn hat. Jhr würdet sehr grausam seyn, Madame, wenn Jhr mir verwehren wolltet, die-
sen
Zueignungsſchrift an die Marquiſinn von L***
Madame,
Jhr werdet mir verzeihen, daß ich, als ein Deut- ſcher, mich unterſtehe, Euern Namen vor mei- ne Schrift, und zwar vor eine ſolche Schrift zu ſetzen, in welcher eine der ſchwerſten Materien, nach der Metaphyſik, abgehandelt wird. Die witzigſten Eurer Landsleute waͤhlen ſich eine Marquiſinn zur Schutzgoͤttinn ihrer gelehrten Werke, welche ſie in die Welt ſenden, und ich lobe ſie darum. Derjenige Leſer muͤßte ſehr unbeſcheiden ſeyn, der ſich an einer Schrift vergreifen koͤnnte, welche ein Frauenzimmer beſchuͤtzt, oder die, mit der Livrey einer Marqviſinn, ſich unter das Volk wagt. Jch bin gar nicht ſo ſehr fuͤr mein Vaterland eingenommen, daß ich nicht dieſes fuͤr einen der weſentlichſten Vorzuͤge Euers Volks erkennen, und hier oͤffentlich ruͤhmen ſollte. So oft ich ein Buch ſehe, es mag in Coͤlln, oder auf Koſten der Compagnie herausgekommen ſeyn, ſo iſt eine Marqviſinn allemal das erſte, was mir in die Au- gen faͤllt. Niemals ſehe ich dieſes, ohne die Gluͤck- ſeligkeit Euers Volks zu beneiden, und mein Deutſch- land, dieſes rauhe und unwitzige Land, zu beklagen, in welchem kein Autor beruͤhmt werden kann, weil er keine Marqviſinn hat. Jhr wuͤrdet ſehr grauſam ſeyn, Madame, wenn Jhr mir verwehren wolltet, die-
ſen
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Zueignungsſchrift
an die Marquiſinn von L***
Madame,
Jhr werdet mir verzeihen, daß ich, als ein Deut-
ſcher, mich unterſtehe, Euern Namen vor mei-
ne Schrift, und zwar vor eine ſolche Schrift
zu ſetzen, in welcher eine der ſchwerſten Materien, nach
der Metaphyſik, abgehandelt wird. Die witzigſten
Eurer Landsleute waͤhlen ſich eine Marquiſinn zur
Schutzgoͤttinn ihrer gelehrten Werke, welche ſie in die
Welt ſenden, und ich lobe ſie darum. Derjenige
Leſer muͤßte ſehr unbeſcheiden ſeyn, der ſich an einer
Schrift vergreifen koͤnnte, welche ein Frauenzimmer
beſchuͤtzt, oder die, mit der Livrey einer Marqviſinn,
ſich unter das Volk wagt. Jch bin gar nicht ſo
ſehr fuͤr mein Vaterland eingenommen, daß ich nicht
dieſes fuͤr einen der weſentlichſten Vorzuͤge Euers
Volks erkennen, und hier oͤffentlich ruͤhmen ſollte.
So oft ich ein Buch ſehe, es mag in Coͤlln, oder auf
Koſten der Compagnie herausgekommen ſeyn, ſo iſt
eine Marqviſinn allemal das erſte, was mir in die Au-
gen faͤllt. Niemals ſehe ich dieſes, ohne die Gluͤck-
ſeligkeit Euers Volks zu beneiden, und mein Deutſch-
land, dieſes rauhe und unwitzige Land, zu beklagen,
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/75>, abgerufen am 22.02.2025.
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