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Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857.

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Die Kälte ist auf's Höchste gestiegen. Wenige Na-
sen werden in der Sperlingsgasse herausgestreckt, und
die es werden, laufen roth und blau an. Welch' ein
Künstler der Winter ist; die Spatzen färbt er gelb und
den freien Deutschen macht er ausrufen: mein Haus
ist meine Burg!

Was kann ein Chronikenschreiber bei so bewandten
Umständen Besseres thun, als sein Haus einzig und
allein zum Gegenstand seiner Aufzeichnungen zu machen
und die große Welt draußen, die allgemeine Gassen-
geschichte, gehen zu lassen wie sie will? --

Im Jahre der Gnade 1619 verbrannten sie zu Rom
einen Gottesleugner, genannt Julius Cäsar Vanini, der
hob, auf seinem Scheiterhaufen stehend, einen Stroh-
halm zwischen den Holzklötzen auf und sagte lächelnd:
"Wenn ich auch das Dasein Gottes leugnen würde, die-
ser Halm würde es beweisen!" -- Die Geschichte eines
Hauses ist die Geschichte seiner Bewohner, die Geschichte
seiner Bewohner ist die Geschichte der Zeit, in welcher
sie lebten und leben, die Geschichte der Zeiten ist die
Geschichte der Menschheit, und die Geschichte der Mensch-
heit ist die Geschichte -- Gottes! Wohin führt uns


Die Kälte iſt auf’s Höchſte geſtiegen. Wenige Na-
ſen werden in der Sperlingsgaſſe herausgeſtreckt, und
die es werden, laufen roth und blau an. Welch’ ein
Künſtler der Winter iſt; die Spatzen färbt er gelb und
den freien Deutſchen macht er ausrufen: mein Haus
iſt meine Burg!

Was kann ein Chronikenſchreiber bei ſo bewandten
Umſtänden Beſſeres thun, als ſein Haus einzig und
allein zum Gegenſtand ſeiner Aufzeichnungen zu machen
und die große Welt draußen, die allgemeine Gaſſen-
geſchichte, gehen zu laſſen wie ſie will? —

Im Jahre der Gnade 1619 verbrannten ſie zu Rom
einen Gottesleugner, genannt Julius Cäſar Vanini, der
hob, auf ſeinem Scheiterhaufen ſtehend, einen Stroh-
halm zwiſchen den Holzklötzen auf und ſagte lächelnd:
„Wenn ich auch das Daſein Gottes leugnen würde, die-
ſer Halm würde es beweiſen!“ — Die Geſchichte eines
Hauſes iſt die Geſchichte ſeiner Bewohner, die Geſchichte
ſeiner Bewohner iſt die Geſchichte der Zeit, in welcher
ſie lebten und leben, die Geſchichte der Zeiten iſt die
Geſchichte der Menſchheit, und die Geſchichte der Menſch-
heit iſt die Geſchichte — Gottes! Wohin führt uns

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[133/0143] Am 25. Januar. — Die Kälte iſt auf’s Höchſte geſtiegen. Wenige Na- ſen werden in der Sperlingsgaſſe herausgeſtreckt, und die es werden, laufen roth und blau an. Welch’ ein Künſtler der Winter iſt; die Spatzen färbt er gelb und den freien Deutſchen macht er ausrufen: mein Haus iſt meine Burg! Was kann ein Chronikenſchreiber bei ſo bewandten Umſtänden Beſſeres thun, als ſein Haus einzig und allein zum Gegenſtand ſeiner Aufzeichnungen zu machen und die große Welt draußen, die allgemeine Gaſſen- geſchichte, gehen zu laſſen wie ſie will? — Im Jahre der Gnade 1619 verbrannten ſie zu Rom einen Gottesleugner, genannt Julius Cäſar Vanini, der hob, auf ſeinem Scheiterhaufen ſtehend, einen Stroh- halm zwiſchen den Holzklötzen auf und ſagte lächelnd: „Wenn ich auch das Daſein Gottes leugnen würde, die- ſer Halm würde es beweiſen!“ — Die Geſchichte eines Hauſes iſt die Geſchichte ſeiner Bewohner, die Geſchichte ſeiner Bewohner iſt die Geſchichte der Zeit, in welcher ſie lebten und leben, die Geſchichte der Zeiten iſt die Geſchichte der Menſchheit, und die Geſchichte der Menſch- heit iſt die Geſchichte — Gottes! Wohin führt uns

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/143>, abgerufen am 21.11.2024.