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Raabe, Wilhelm: Das Odfeld. Leipzig, 1889.

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Er bleibt deshalb doch dießmal unser Held -- unser
Heros, und wir kennen unter unseren lebenden Bekannten
nicht Viele, mit denen wir lieber betäubt, verwirrt, un¬
fähig zu begreifen, uns zu fassen im Kreise taumelten
und -- wieder fest auf die Füße gelangten. Wir greifen
mit ihm nach dem Hut, den ihm, wie im äußersten
Bedürfniß, nichts von ihm in seinem Hof- und Haus¬
bezirk bei sich zu behalten, der Klosteramtmann von
Amelungsborn vermittelst seines bestiefelten Fußes in
der wirklichen Unzurechnungsfähigkeit aus der Thür auf
die Landstraße nachschickt; und wir drücken ihn uns mit
ihm auf die zerzauste Perücke und -- suchen uns mit
dem Magister zu fassen.

Mitten im dicksten Weser- und Weser-Berg-Nebel
und im Schlachtenlärm des Herzogs Ferdinand und des
Herzogs von Broglio auf der ganzen Linie von der Hube
bis zum Hils und vom Hils bis zur Weser!

Die dortige Feldmark von heute ist wohl nicht mit
der vom Jahre 1761 zu vergleichen. Es war damals
noch mehr Baum und Busch sowohl vom Solling wie
vom Weserwald übrig als wie jetzt. Auch die Wege
waren andere und liefen anders. Was man heute Chaussee
nennt, war damals die Heerstraße des siebenjährigen
Krieges, auf der Jedermann marschirte, ritt, fuhr und
stecken blieb, wie die Gelegenheit es gab. So ein Weg
aus jener Zeit nahm oft die zehnfache Breite des jetzigen
Straßenkörpers ein. Weithin über die Felder gingen
die Gleisen und Fußtapfen. Was frei Feld und was

Er bleibt deshalb doch dießmal unſer Held — unſer
Heros, und wir kennen unter unſeren lebenden Bekannten
nicht Viele, mit denen wir lieber betäubt, verwirrt, un¬
fähig zu begreifen, uns zu faſſen im Kreiſe taumelten
und — wieder feſt auf die Füße gelangten. Wir greifen
mit ihm nach dem Hut, den ihm, wie im äußerſten
Bedürfniß, nichts von ihm in ſeinem Hof- und Haus¬
bezirk bei ſich zu behalten, der Kloſteramtmann von
Amelungsborn vermittelſt ſeines beſtiefelten Fußes in
der wirklichen Unzurechnungsfähigkeit aus der Thür auf
die Landſtraße nachſchickt; und wir drücken ihn uns mit
ihm auf die zerzauſte Perücke und — ſuchen uns mit
dem Magiſter zu faſſen.

Mitten im dickſten Weſer- und Weſer-Berg-Nebel
und im Schlachtenlärm des Herzogs Ferdinand und des
Herzogs von Broglio auf der ganzen Linie von der Hube
bis zum Hils und vom Hils bis zur Weſer!

Die dortige Feldmark von heute iſt wohl nicht mit
der vom Jahre 1761 zu vergleichen. Es war damals
noch mehr Baum und Buſch ſowohl vom Solling wie
vom Weſerwald übrig als wie jetzt. Auch die Wege
waren andere und liefen anders. Was man heute Chauſſee
nennt, war damals die Heerſtraße des ſiebenjährigen
Krieges, auf der Jedermann marſchirte, ritt, fuhr und
ſtecken blieb, wie die Gelegenheit es gab. So ein Weg
aus jener Zeit nahm oft die zehnfache Breite des jetzigen
Straßenkörpers ein. Weithin über die Felder gingen
die Gleiſen und Fußtapfen. Was frei Feld und was

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[150/0158] Er bleibt deshalb doch dießmal unſer Held — unſer Heros, und wir kennen unter unſeren lebenden Bekannten nicht Viele, mit denen wir lieber betäubt, verwirrt, un¬ fähig zu begreifen, uns zu faſſen im Kreiſe taumelten und — wieder feſt auf die Füße gelangten. Wir greifen mit ihm nach dem Hut, den ihm, wie im äußerſten Bedürfniß, nichts von ihm in ſeinem Hof- und Haus¬ bezirk bei ſich zu behalten, der Kloſteramtmann von Amelungsborn vermittelſt ſeines beſtiefelten Fußes in der wirklichen Unzurechnungsfähigkeit aus der Thür auf die Landſtraße nachſchickt; und wir drücken ihn uns mit ihm auf die zerzauſte Perücke und — ſuchen uns mit dem Magiſter zu faſſen. Mitten im dickſten Weſer- und Weſer-Berg-Nebel und im Schlachtenlärm des Herzogs Ferdinand und des Herzogs von Broglio auf der ganzen Linie von der Hube bis zum Hils und vom Hils bis zur Weſer! Die dortige Feldmark von heute iſt wohl nicht mit der vom Jahre 1761 zu vergleichen. Es war damals noch mehr Baum und Buſch ſowohl vom Solling wie vom Weſerwald übrig als wie jetzt. Auch die Wege waren andere und liefen anders. Was man heute Chauſſee nennt, war damals die Heerſtraße des ſiebenjährigen Krieges, auf der Jedermann marſchirte, ritt, fuhr und ſtecken blieb, wie die Gelegenheit es gab. So ein Weg aus jener Zeit nahm oft die zehnfache Breite des jetzigen Straßenkörpers ein. Weithin über die Felder gingen die Gleiſen und Fußtapfen. Was frei Feld und was

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Das Odfeld. Leipzig, 1889, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_odfeld_1889/158>, abgerufen am 26.04.2024.