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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

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war. Dazu war Velten doch ein zu guter Freund
von mir und wußte ich zu genau, wie Vieles er
besser wußte als ich, und wie es im Grunde doch
nur die Mathematik gewesen war, die ihm das Bein
gestellt hatte. Konnte er, Velten, dafür, daß er
nach seinem Ausdruck da ein leeres Loch im Gehirn
hatte, wo das meinige nach innen vollgestopft war
und nach außen hin den betreffenden Buckel ge¬
trieben hatte? Es ist zwar eine Thorheit, aber wie
oft griff ich später meinen Jungen nach den Köpfen
und tastete sorgenvoll nach den Höckern und Gruben,
die ihnen die Begabung zum ruhigen Wandel auf
der breiten Straße der goldenen Mittelmäßigkeit ver¬
bürgen sollten! Und am bedenklichsten dann, wenn
meine Gattin einen außergewöhnlich offenen Kopf an
einem der armen Kerle bemerkt haben wollte. --

Ich ging also vor dem Freund aus dem
Vogelsang weg, um nach dem Wunsche oder Willen
meines Vaters selbstverständlich Jurisprudenz zu
studiren; und -- da die Wacht am Rhein und die
am Niemen ebenfalls ihren Anspruch an mich er¬
hoben -- nach einer mitteldeutschen Universität, die
mir Gelegenheit bot, mit möglichst geringen Kosten mich
mit dem römischen Recht und dem damals gültigen
deutschen Schießgewehr bekannt zu machen; wenigstens
in den Grundzügen.

war. Dazu war Velten doch ein zu guter Freund
von mir und wußte ich zu genau, wie Vieles er
beſſer wußte als ich, und wie es im Grunde doch
nur die Mathematik geweſen war, die ihm das Bein
geſtellt hatte. Konnte er, Velten, dafür, daß er
nach ſeinem Ausdruck da ein leeres Loch im Gehirn
hatte, wo das meinige nach innen vollgeſtopft war
und nach außen hin den betreffenden Buckel ge¬
trieben hatte? Es iſt zwar eine Thorheit, aber wie
oft griff ich ſpäter meinen Jungen nach den Köpfen
und taſtete ſorgenvoll nach den Höckern und Gruben,
die ihnen die Begabung zum ruhigen Wandel auf
der breiten Straße der goldenen Mittelmäßigkeit ver¬
bürgen ſollten! Und am bedenklichſten dann, wenn
meine Gattin einen außergewöhnlich offenen Kopf an
einem der armen Kerle bemerkt haben wollte. —

Ich ging alſo vor dem Freund aus dem
Vogelſang weg, um nach dem Wunſche oder Willen
meines Vaters ſelbſtverſtändlich Jurisprudenz zu
ſtudiren; und — da die Wacht am Rhein und die
am Niemen ebenfalls ihren Anſpruch an mich er¬
hoben — nach einer mitteldeutſchen Univerſität, die
mir Gelegenheit bot, mit möglichſt geringen Koſten mich
mit dem römiſchen Recht und dem damals gültigen
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[82/0092] war. Dazu war Velten doch ein zu guter Freund von mir und wußte ich zu genau, wie Vieles er beſſer wußte als ich, und wie es im Grunde doch nur die Mathematik geweſen war, die ihm das Bein geſtellt hatte. Konnte er, Velten, dafür, daß er nach ſeinem Ausdruck da ein leeres Loch im Gehirn hatte, wo das meinige nach innen vollgeſtopft war und nach außen hin den betreffenden Buckel ge¬ trieben hatte? Es iſt zwar eine Thorheit, aber wie oft griff ich ſpäter meinen Jungen nach den Köpfen und taſtete ſorgenvoll nach den Höckern und Gruben, die ihnen die Begabung zum ruhigen Wandel auf der breiten Straße der goldenen Mittelmäßigkeit ver¬ bürgen ſollten! Und am bedenklichſten dann, wenn meine Gattin einen außergewöhnlich offenen Kopf an einem der armen Kerle bemerkt haben wollte. — Ich ging alſo vor dem Freund aus dem Vogelſang weg, um nach dem Wunſche oder Willen meines Vaters ſelbſtverſtändlich Jurisprudenz zu ſtudiren; und — da die Wacht am Rhein und die am Niemen ebenfalls ihren Anſpruch an mich er¬ hoben — nach einer mitteldeutſchen Univerſität, die mir Gelegenheit bot, mit möglichſt geringen Koſten mich mit dem römiſchen Recht und dem damals gültigen deutſchen Schießgewehr bekannt zu machen; wenigſtens in den Grundzügen.

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/92>, abgerufen am 26.04.2024.