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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

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ihre Mütter die Hände stumm im Schooße ringen
oder sie laut schreiend über den Köpfen ausspreizen,
als wollte ihnen nicht bloß das Himmelsgewölbe,
sondern auch die Stubendecke auf die Hauben fallen.

"Das Frauenzimmer ist ja als eine komplette
Närrin heimgekommen!" ächzte meine Mutter.

"Du lieber Himmel, was wird das werden!"
seufzte die Nachbarin Andres.

"Weißt Du, Amalie, wie ich hier sitze?"

Veltens Mutter schüttelte den Kopf.

"Vollständig mit dem Eindruck, als ob wir --
wir Beide hier im Vogelsang Schuld daran seien, daß
Hartlebens Nebenhaus nicht Unter den Linden in
Berlin, oder noch großartiger irgendwo drüben bei
den Amerikanern in New York oder sonstwo liege.
Und mit den hundert Thalern, die der Schlingel
Trotzendorff meinem Mann für die Einrichtung ge¬
schickt hat, hätten wir selbstverständlich unserer hiesigen
Frau Herzogin häusliche Ausstattung drüben bei
Hartlebens beschaffen müssen für diese -- diese, unsere
Mistreß oder Lady oder wie wir sie sonst zu betitu¬
liren haben! Bitt' ich Dich!"

"Die arme Agathe."

"Bedauere sie gar noch! Nimm es mir nicht
übel, hier bin ich doch anders. Ich für mein Theil
werde ihr bei späterer, kommender Gelegenheit meine

ihre Mütter die Hände ſtumm im Schooße ringen
oder ſie laut ſchreiend über den Köpfen ausſpreizen,
als wollte ihnen nicht bloß das Himmelsgewölbe,
ſondern auch die Stubendecke auf die Hauben fallen.

„Das Frauenzimmer iſt ja als eine komplette
Närrin heimgekommen!“ ächzte meine Mutter.

„Du lieber Himmel, was wird das werden!“
ſeufzte die Nachbarin Andres.

„Weißt Du, Amalie, wie ich hier ſitze?“

Veltens Mutter ſchüttelte den Kopf.

„Vollſtändig mit dem Eindruck, als ob wir —
wir Beide hier im Vogelſang Schuld daran ſeien, daß
Hartlebens Nebenhaus nicht Unter den Linden in
Berlin, oder noch großartiger irgendwo drüben bei
den Amerikanern in New York oder ſonſtwo liege.
Und mit den hundert Thalern, die der Schlingel
Trotzendorff meinem Mann für die Einrichtung ge¬
ſchickt hat, hätten wir ſelbſtverſtändlich unſerer hieſigen
Frau Herzogin häusliche Ausſtattung drüben bei
Hartlebens beſchaffen müſſen für dieſe — dieſe, unſere
Miſtreß oder Lady oder wie wir ſie ſonſt zu betitu¬
liren haben! Bitt' ich Dich!“

„Die arme Agathe.“

„Bedauere ſie gar noch! Nimm es mir nicht
übel, hier bin ich doch anders. Ich für mein Theil
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[29/0039] ihre Mütter die Hände ſtumm im Schooße ringen oder ſie laut ſchreiend über den Köpfen ausſpreizen, als wollte ihnen nicht bloß das Himmelsgewölbe, ſondern auch die Stubendecke auf die Hauben fallen. „Das Frauenzimmer iſt ja als eine komplette Närrin heimgekommen!“ ächzte meine Mutter. „Du lieber Himmel, was wird das werden!“ ſeufzte die Nachbarin Andres. „Weißt Du, Amalie, wie ich hier ſitze?“ Veltens Mutter ſchüttelte den Kopf. „Vollſtändig mit dem Eindruck, als ob wir — wir Beide hier im Vogelſang Schuld daran ſeien, daß Hartlebens Nebenhaus nicht Unter den Linden in Berlin, oder noch großartiger irgendwo drüben bei den Amerikanern in New York oder ſonſtwo liege. Und mit den hundert Thalern, die der Schlingel Trotzendorff meinem Mann für die Einrichtung ge¬ ſchickt hat, hätten wir ſelbſtverſtändlich unſerer hieſigen Frau Herzogin häusliche Ausſtattung drüben bei Hartlebens beſchaffen müſſen für dieſe — dieſe, unſere Miſtreß oder Lady oder wie wir ſie ſonſt zu betitu¬ liren haben! Bitt' ich Dich!“ „Die arme Agathe.“ „Bedauere ſie gar noch! Nimm es mir nicht übel, hier bin ich doch anders. Ich für mein Theil werde ihr bei ſpäterer, kommender Gelegenheit meine

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/39>, abgerufen am 26.04.2024.