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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

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Ausschlafenmüssen wie vor den Andern als ein
Scherzwort, und um Fliegen -- wollte ich sagen
Narren abzuwehren, festzuhalten. Nein, nein, die
Sonne ist ihr übergenug verbaut worden; das Licht,
das ihr in ihrem stilltapfern, lieben, schönen Leben
von mir ausgegangen ist, soll ihr nicht ausgehen, so
weit das an mir liegt! Sie soll ihre Freude an mir
behalten!"

Ich konnte dem Mann, über den also wirklich
Niemand etwas Genaueres wußte als ich, nur stumm
die Hand drücken; eine mündliche Erwiderung gab
es hierauf nicht.

Velten lächelte:

"Es war um das Jahr Siebenzehnhundertsieben¬
undsechzig und der größte Egoist der Litteraturge¬
schichte also achtzehn Jahre alt, da er seinem Freunde
Behrisch den Rath zusang:

Sei gefühllos!
Ein leichtbewegtes Herz
Ist ein elend Gut
Auf der wankenden Erde;

und er hat selber sein Leben in Poesie und Prosa
danach eingerichtet und es ist ihm wohl gelungen.
Es war im Salon der Mrs. Trotzendorff als mir
beim zufälligen Blättern in allen möglichen Bilder¬
büchern jenes Wort des frühreifen Lebenshelden in

Ausſchlafenmüſſen wie vor den Andern als ein
Scherzwort, und um Fliegen — wollte ich ſagen
Narren abzuwehren, feſtzuhalten. Nein, nein, die
Sonne iſt ihr übergenug verbaut worden; das Licht,
das ihr in ihrem ſtilltapfern, lieben, ſchönen Leben
von mir ausgegangen iſt, ſoll ihr nicht ausgehen, ſo
weit das an mir liegt! Sie ſoll ihre Freude an mir
behalten!“

Ich konnte dem Mann, über den alſo wirklich
Niemand etwas Genaueres wußte als ich, nur ſtumm
die Hand drücken; eine mündliche Erwiderung gab
es hierauf nicht.

Velten lächelte:

„Es war um das Jahr Siebenzehnhundertſieben¬
undſechzig und der größte Egoiſt der Litteraturge¬
ſchichte alſo achtzehn Jahre alt, da er ſeinem Freunde
Behriſch den Rath zuſang:

Sei gefühllos!
Ein leichtbewegtes Herz
Iſt ein elend Gut
Auf der wankenden Erde;

und er hat ſelber ſein Leben in Poeſie und Proſa
danach eingerichtet und es iſt ihm wohl gelungen.
Es war im Salon der Mrs. Trotzendorff als mir
beim zufälligen Blättern in allen möglichen Bilder¬
büchern jenes Wort des frühreifen Lebenshelden in

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[229/0239] Ausſchlafenmüſſen wie vor den Andern als ein Scherzwort, und um Fliegen — wollte ich ſagen Narren abzuwehren, feſtzuhalten. Nein, nein, die Sonne iſt ihr übergenug verbaut worden; das Licht, das ihr in ihrem ſtilltapfern, lieben, ſchönen Leben von mir ausgegangen iſt, ſoll ihr nicht ausgehen, ſo weit das an mir liegt! Sie ſoll ihre Freude an mir behalten!“ Ich konnte dem Mann, über den alſo wirklich Niemand etwas Genaueres wußte als ich, nur ſtumm die Hand drücken; eine mündliche Erwiderung gab es hierauf nicht. Velten lächelte: „Es war um das Jahr Siebenzehnhundertſieben¬ undſechzig und der größte Egoiſt der Litteraturge¬ ſchichte alſo achtzehn Jahre alt, da er ſeinem Freunde Behriſch den Rath zuſang: Sei gefühllos! Ein leichtbewegtes Herz Iſt ein elend Gut Auf der wankenden Erde; und er hat ſelber ſein Leben in Poeſie und Proſa danach eingerichtet und es iſt ihm wohl gelungen. Es war im Salon der Mrs. Trotzendorff als mir beim zufälligen Blättern in allen möglichen Bilder¬ büchern jenes Wort des frühreifen Lebenshelden in

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/239>, abgerufen am 27.04.2024.