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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

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"Ich hätte auf diesen greulichen Menschen ge¬
wartet und mein Recht an ihn nicht so leicht hinge¬
geben!"

Es war nach dem Begräbnißtage meines Vaters.
Die Kleine sah nach all den schlimmen, wunderlichen
und abenteuerlichen Aufregungen, zwischen der er¬
löschenden Lampe und dem kommenden Tageslicht
übernächtig, abgespannt, ja völlig unglücklich drein,
aber lächeln mußte ich doch über das mir scheu¬
trotzig zugerufene Wort. Sie aber sprang auf aus
ihrer Sofaecke, blies die Lampe aus und rief:

"Ja, es ist mir ganz einerlei, ob Du lachst oder
brummig siehst: Dein Freund Velten Andres gefällt
mir ausnehmend, und ich kann das um so ruhiger
sagen, als ich hier gar nicht für mich spreche."

"Und für wen?"

"Für uns Alle. Jawohl! Und da meine ich
etwa nicht bloß, wie Du mir natürlich abzusehen
glaubst, uns arme, in die Konvenienz gebannte
Frauenzimmer, denen da mal was Neues aufgeht,
sondern euch mit, ja, euch Männer vor Allem! Wir
nehmen doch höchstens ein etwas tieferes Interesse
an solch einem neuen Phänomen an unserem be¬
schränkten Horizont; aber ich glaube, wäre ich ein
Mann, und noch dazu einer aus der hiesigen Stadt
und Gesellschaft, so müßte ich dann und wann neidisch

„Ich hätte auf dieſen greulichen Menſchen ge¬
wartet und mein Recht an ihn nicht ſo leicht hinge¬
geben!“

Es war nach dem Begräbnißtage meines Vaters.
Die Kleine ſah nach all den ſchlimmen, wunderlichen
und abenteuerlichen Aufregungen, zwiſchen der er¬
löſchenden Lampe und dem kommenden Tageslicht
übernächtig, abgeſpannt, ja völlig unglücklich drein,
aber lächeln mußte ich doch über das mir ſcheu¬
trotzig zugerufene Wort. Sie aber ſprang auf aus
ihrer Sofaecke, blies die Lampe aus und rief:

„Ja, es iſt mir ganz einerlei, ob Du lachſt oder
brummig ſiehſt: Dein Freund Velten Andres gefällt
mir ausnehmend, und ich kann das um ſo ruhiger
ſagen, als ich hier gar nicht für mich ſpreche.“

„Und für wen?“

„Für uns Alle. Jawohl! Und da meine ich
etwa nicht bloß, wie Du mir natürlich abzuſehen
glaubſt, uns arme, in die Konvenienz gebannte
Frauenzimmer, denen da mal was Neues aufgeht,
ſondern euch mit, ja, euch Männer vor Allem! Wir
nehmen doch höchſtens ein etwas tieferes Intereſſe
an ſolch einem neuen Phänomen an unſerem be¬
ſchränkten Horizont; aber ich glaube, wäre ich ein
Mann, und noch dazu einer aus der hieſigen Stadt
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[224/0234] „Ich hätte auf dieſen greulichen Menſchen ge¬ wartet und mein Recht an ihn nicht ſo leicht hinge¬ geben!“ Es war nach dem Begräbnißtage meines Vaters. Die Kleine ſah nach all den ſchlimmen, wunderlichen und abenteuerlichen Aufregungen, zwiſchen der er¬ löſchenden Lampe und dem kommenden Tageslicht übernächtig, abgeſpannt, ja völlig unglücklich drein, aber lächeln mußte ich doch über das mir ſcheu¬ trotzig zugerufene Wort. Sie aber ſprang auf aus ihrer Sofaecke, blies die Lampe aus und rief: „Ja, es iſt mir ganz einerlei, ob Du lachſt oder brummig ſiehſt: Dein Freund Velten Andres gefällt mir ausnehmend, und ich kann das um ſo ruhiger ſagen, als ich hier gar nicht für mich ſpreche.“ „Und für wen?“ „Für uns Alle. Jawohl! Und da meine ich etwa nicht bloß, wie Du mir natürlich abzuſehen glaubſt, uns arme, in die Konvenienz gebannte Frauenzimmer, denen da mal was Neues aufgeht, ſondern euch mit, ja, euch Männer vor Allem! Wir nehmen doch höchſtens ein etwas tieferes Intereſſe an ſolch einem neuen Phänomen an unſerem be¬ ſchränkten Horizont; aber ich glaube, wäre ich ein Mann, und noch dazu einer aus der hieſigen Stadt und Geſellſchaft, ſo müßte ich dann und wann neidiſch

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/234>, abgerufen am 26.04.2024.