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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

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frühere Freundschaft auch jetzt noch nach Möglichkeit
gute Nachbarschaft hielt und ihren Grundbesitz im
Grundbuche, wenn auch nicht Hypothekenbuche, fest
zusammen hatte schreiben lassen, konnte er mir die
Überraschung nicht ersparen.

Dicht neben seinem Vater war dem meinigen
die Grube gegraben (Nachbar Hartleben lag nur ein
paar Schritte weiter ab, und der übrige Vogelsang,
hier noch immer im Grün, und mit der Aussicht auf
den Osterberg und Schluderkopf, rundum) und standen
die Schaufeln für die Liebes-, Ehren- und Achtungs¬
gabe des Grabgefolges in die frisch aufgeworfenen
Schollen fruchtbaren Gartenbodens gestoßen.

Und wenn man den gleichgültigsten Kanzleiver¬
wandten, den langweiligsten Klub- und Stammtisch¬
genossen so mit einem dieser Spaten die letzte Achtung
erweist, liegt nicht nur die nächste Umgebung, sondern
die ganze Welt in einer Beleuchtung, die für den
Schreibtisch und den L'hombretisch kaum die rechte
sein würde: begrabe aber Deinen Vater, Deine Mutter,
Dein Kind, und achte dann, in dem Licht, das eben
kein Licht ist, darauf, wer Dir zu dem "Erde zu
Erde" das Werkzeug in die Hand giebt und an wen
Du es weitergiebst! . . .

In die Hand reicht es uns Christenleuten nach
geschriebenem und ungeschriebenem Recht die Kirche,

W. Raabe. Die Akten des Vogelsangs. 14

frühere Freundſchaft auch jetzt noch nach Möglichkeit
gute Nachbarſchaft hielt und ihren Grundbeſitz im
Grundbuche, wenn auch nicht Hypothekenbuche, feſt
zuſammen hatte ſchreiben laſſen, konnte er mir die
Überraſchung nicht erſparen.

Dicht neben ſeinem Vater war dem meinigen
die Grube gegraben (Nachbar Hartleben lag nur ein
paar Schritte weiter ab, und der übrige Vogelſang,
hier noch immer im Grün, und mit der Ausſicht auf
den Oſterberg und Schluderkopf, rundum) und ſtanden
die Schaufeln für die Liebes-, Ehren- und Achtungs¬
gabe des Grabgefolges in die friſch aufgeworfenen
Schollen fruchtbaren Gartenbodens geſtoßen.

Und wenn man den gleichgültigſten Kanzleiver¬
wandten, den langweiligſten Klub- und Stammtiſch¬
genoſſen ſo mit einem dieſer Spaten die letzte Achtung
erweiſt, liegt nicht nur die nächſte Umgebung, ſondern
die ganze Welt in einer Beleuchtung, die für den
Schreibtiſch und den L'hombretiſch kaum die rechte
ſein würde: begrabe aber Deinen Vater, Deine Mutter,
Dein Kind, und achte dann, in dem Licht, das eben
kein Licht iſt, darauf, wer Dir zu dem „Erde zu
Erde“ das Werkzeug in die Hand giebt und an wen
Du es weitergiebſt! . . .

In die Hand reicht es uns Chriſtenleuten nach
geſchriebenem und ungeſchriebenem Recht die Kirche,

W. Raabe. Die Akten des Vogelſangs. 14
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[209/0219] frühere Freundſchaft auch jetzt noch nach Möglichkeit gute Nachbarſchaft hielt und ihren Grundbeſitz im Grundbuche, wenn auch nicht Hypothekenbuche, feſt zuſammen hatte ſchreiben laſſen, konnte er mir die Überraſchung nicht erſparen. Dicht neben ſeinem Vater war dem meinigen die Grube gegraben (Nachbar Hartleben lag nur ein paar Schritte weiter ab, und der übrige Vogelſang, hier noch immer im Grün, und mit der Ausſicht auf den Oſterberg und Schluderkopf, rundum) und ſtanden die Schaufeln für die Liebes-, Ehren- und Achtungs¬ gabe des Grabgefolges in die friſch aufgeworfenen Schollen fruchtbaren Gartenbodens geſtoßen. Und wenn man den gleichgültigſten Kanzleiver¬ wandten, den langweiligſten Klub- und Stammtiſch¬ genoſſen ſo mit einem dieſer Spaten die letzte Achtung erweiſt, liegt nicht nur die nächſte Umgebung, ſondern die ganze Welt in einer Beleuchtung, die für den Schreibtiſch und den L'hombretiſch kaum die rechte ſein würde: begrabe aber Deinen Vater, Deine Mutter, Dein Kind, und achte dann, in dem Licht, das eben kein Licht iſt, darauf, wer Dir zu dem „Erde zu Erde“ das Werkzeug in die Hand giebt und an wen Du es weitergiebſt! . . . In die Hand reicht es uns Chriſtenleuten nach geſchriebenem und ungeſchriebenem Recht die Kirche, W. Raabe. Die Akten des Vogelſangs. 14

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/219>, abgerufen am 26.04.2024.