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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

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seines Lebens Höhe, als etwas sehr Wünschenswerthes,
sehr Erstrebenswerthes erschienen sein mag. Wie oft
hat er von dem Fenster unseres Wohnzimmers aus
die Kutschen gezählt, die bei solchen Gelegenheiten
die Theilnahme der Besten im Volke leer, aber würdig
zur Darstellung bringen! . . . Und nicht, daß ich nun
von einem erhabeneren Standpunkt hierüber wegge¬
sehen hatte: o, als der rechte Sohn meines Vaters
habe ich sehr genau darauf geachtet, wer ihm und mir
die gebührende Ehre gab und wer nicht. --

Aber wo war das Fenster im Vogelsang, an
dem die Krumhardts seit Generationen von Vater
zu Sohn ihre statistischen Bemerkungen in dieser
Hinsicht gemacht hatten, bis -- sie selber für einen
Andern in gleiche hineinfielen? Ein vierstöckiges Haus
hatte Arnemann auf das alte Familiengrundstück ge¬
setzt, und vom Erdstock bis zum Dache kamen Dutzende
von Gesichtern jeder Art an die neuen Fenster, um
das "schöne Begräbniß" zu sehen. Und was sonst
ein lieber, zum Übrigen, Gleichen gehöriger Schmuck
der Feld- und Gartengasse gewesen war, das Stück
grüne Hecke der Frau Doktor Andres, das war nun¬
mehr ein Etwas, das seine Zeit ganz und gar über¬
lebt hatte und durch sein Nochvorhandensein nur
kümmerlich-lächerlich wirkte.

Und wie an dem betrübten Tage, in dem

ſeines Lebens Höhe, als etwas ſehr Wünſchenswerthes,
ſehr Erſtrebenswerthes erſchienen ſein mag. Wie oft
hat er von dem Fenſter unſeres Wohnzimmers aus
die Kutſchen gezählt, die bei ſolchen Gelegenheiten
die Theilnahme der Beſten im Volke leer, aber würdig
zur Darſtellung bringen! . . . Und nicht, daß ich nun
von einem erhabeneren Standpunkt hierüber wegge¬
ſehen hatte: o, als der rechte Sohn meines Vaters
habe ich ſehr genau darauf geachtet, wer ihm und mir
die gebührende Ehre gab und wer nicht. —

Aber wo war das Fenſter im Vogelſang, an
dem die Krumhardts ſeit Generationen von Vater
zu Sohn ihre ſtatiſtiſchen Bemerkungen in dieſer
Hinſicht gemacht hatten, bis — ſie ſelber für einen
Andern in gleiche hineinfielen? Ein vierſtöckiges Haus
hatte Arnemann auf das alte Familiengrundſtück ge¬
ſetzt, und vom Erdſtock bis zum Dache kamen Dutzende
von Geſichtern jeder Art an die neuen Fenſter, um
das „ſchöne Begräbniß“ zu ſehen. Und was ſonſt
ein lieber, zum Übrigen, Gleichen gehöriger Schmuck
der Feld- und Gartengaſſe geweſen war, das Stück
grüne Hecke der Frau Doktor Andres, das war nun¬
mehr ein Etwas, das ſeine Zeit ganz und gar über¬
lebt hatte und durch ſein Nochvorhandenſein nur
kümmerlich-lächerlich wirkte.

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[207/0217] ſeines Lebens Höhe, als etwas ſehr Wünſchenswerthes, ſehr Erſtrebenswerthes erſchienen ſein mag. Wie oft hat er von dem Fenſter unſeres Wohnzimmers aus die Kutſchen gezählt, die bei ſolchen Gelegenheiten die Theilnahme der Beſten im Volke leer, aber würdig zur Darſtellung bringen! . . . Und nicht, daß ich nun von einem erhabeneren Standpunkt hierüber wegge¬ ſehen hatte: o, als der rechte Sohn meines Vaters habe ich ſehr genau darauf geachtet, wer ihm und mir die gebührende Ehre gab und wer nicht. — Aber wo war das Fenſter im Vogelſang, an dem die Krumhardts ſeit Generationen von Vater zu Sohn ihre ſtatiſtiſchen Bemerkungen in dieſer Hinſicht gemacht hatten, bis — ſie ſelber für einen Andern in gleiche hineinfielen? Ein vierſtöckiges Haus hatte Arnemann auf das alte Familiengrundſtück ge¬ ſetzt, und vom Erdſtock bis zum Dache kamen Dutzende von Geſichtern jeder Art an die neuen Fenſter, um das „ſchöne Begräbniß“ zu ſehen. Und was ſonſt ein lieber, zum Übrigen, Gleichen gehöriger Schmuck der Feld- und Gartengaſſe geweſen war, das Stück grüne Hecke der Frau Doktor Andres, das war nun¬ mehr ein Etwas, das ſeine Zeit ganz und gar über¬ lebt hatte und durch ſein Nochvorhandenſein nur kümmerlich-lächerlich wirkte. Und wie an dem betrübten Tage, in dem

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/217>, abgerufen am 26.04.2024.