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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

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und, wenn möglich, Trost zuzusprechen. Ich aber
habe mich gegen Abend noch einmal durch das Schlupf¬
loch aus unserer Kinderzeit, das wunderreiche, damals
freilich längst wieder zugewachsene Schlupfloch in der
lebendigen Hecke zwischen den Nachbargärten gezwängt
und die alte Thürklinke, deren Griff Einem seit
Menschengedenken so häufig in der Hand blieb, von
Neuem aufgedrückt, um hier, bei der Frau Doktorin,
wo die Welt sich doch eigentlich am meisten verändert
hatte, mich an das sonnig unverwüstlich Bleibende
im Wechsel der Witterung des Erdentages zu halten.
Ich fand die Frau Doktorin allein im Vogelsang
über ihrem Brief aus den Vereinigten Staaten.


Die Abendsonne schien der Nachbarin in das
Fenster, als ich mit sorgendem schwerem Herzen zu ihr
kam, und sie hatte auch geweint, die Frau Nachbarin
Andres. Die elegante Karte, die mein Vater bei
Seligmacher und Söhne gefunden hatte, und auf
welcher Mr. and Mrs. Mungo sich allen Freunden
und Bekannten in den Vereinigten Staaten als mit¬
einander für Glück und Unglück, für Gesundheit und
Krankheit, für Leben und Tod Verbundene empfahlen,

und, wenn möglich, Troſt zuzuſprechen. Ich aber
habe mich gegen Abend noch einmal durch das Schlupf¬
loch aus unſerer Kinderzeit, das wunderreiche, damals
freilich längſt wieder zugewachſene Schlupfloch in der
lebendigen Hecke zwiſchen den Nachbargärten gezwängt
und die alte Thürklinke, deren Griff Einem ſeit
Menſchengedenken ſo häufig in der Hand blieb, von
Neuem aufgedrückt, um hier, bei der Frau Doktorin,
wo die Welt ſich doch eigentlich am meiſten verändert
hatte, mich an das ſonnig unverwüſtlich Bleibende
im Wechſel der Witterung des Erdentages zu halten.
Ich fand die Frau Doktorin allein im Vogelſang
über ihrem Brief aus den Vereinigten Staaten.


Die Abendſonne ſchien der Nachbarin in das
Fenſter, als ich mit ſorgendem ſchwerem Herzen zu ihr
kam, und ſie hatte auch geweint, die Frau Nachbarin
Andres. Die elegante Karte, die mein Vater bei
Seligmacher und Söhne gefunden hatte, und auf
welcher Mr. and Mrs. Mungo ſich allen Freunden
und Bekannten in den Vereinigten Staaten als mit¬
einander für Glück und Unglück, für Geſundheit und
Krankheit, für Leben und Tod Verbundene empfahlen,

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[181/0191] und, wenn möglich, Troſt zuzuſprechen. Ich aber habe mich gegen Abend noch einmal durch das Schlupf¬ loch aus unſerer Kinderzeit, das wunderreiche, damals freilich längſt wieder zugewachſene Schlupfloch in der lebendigen Hecke zwiſchen den Nachbargärten gezwängt und die alte Thürklinke, deren Griff Einem ſeit Menſchengedenken ſo häufig in der Hand blieb, von Neuem aufgedrückt, um hier, bei der Frau Doktorin, wo die Welt ſich doch eigentlich am meiſten verändert hatte, mich an das ſonnig unverwüſtlich Bleibende im Wechſel der Witterung des Erdentages zu halten. Ich fand die Frau Doktorin allein im Vogelſang über ihrem Brief aus den Vereinigten Staaten. Die Abendſonne ſchien der Nachbarin in das Fenſter, als ich mit ſorgendem ſchwerem Herzen zu ihr kam, und ſie hatte auch geweint, die Frau Nachbarin Andres. Die elegante Karte, die mein Vater bei Seligmacher und Söhne gefunden hatte, und auf welcher Mr. and Mrs. Mungo ſich allen Freunden und Bekannten in den Vereinigten Staaten als mit¬ einander für Glück und Unglück, für Geſundheit und Krankheit, für Leben und Tod Verbundene empfahlen,

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/191>, abgerufen am 26.04.2024.