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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

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ihm gethan haben und es ihnen noch in ihrem Grabe
gedenken."

Nun hätte ich noch einmal hiergegen ein¬
reden können, um die Sache in die rechte Be¬
leuchtung zu rücken; aber was würde es geholfen
haben? Wahrhaftig, ich bin es nicht gewesen, der
die zwei treuen, wackeren Seelen mit ihren Wurzeln
aus dem Boden hob und sie so in ihren greisen
Tagen in ein fremdes Erdreich versetzte! Ihre liebe
menschliche Thorheit war's, die da Pflicht, Pflichten,
Vorzug, Gewinn, Ehre, Lob, Ruhm und Glück sah,
wo die übrigen Millionen unserer Brüder und
Schwestern im Erdenleben -- ebendasselbe sahen.
Sie hatten ihren Kopf darauf gesetzt, daß der Vogel¬
sang nicht mehr zu ihnen "passe", und sie nicht zu
dem Vogelsang.

"Aufgesetzt ist der Kontrakt, Frau," sagte mein
Vater, "und wenn es Dir recht ist, kann Arnemann
heute noch zur Ausfertigung und Unterschrift kommen,
zu einem ruhigen Schlaf kommen wir jetzt doch nicht
anders mehr."

Meine Mutter ist also an diesem Tage nicht
mehr bei der Nachbarin Andres gewesen, um das
Genauere über das Privatschreiben aus Amerika an
Seligmacher und Söhne und Velten und Helene
Trotzendorff zu hören, ihre Theilnahme zu beweisen

ihm gethan haben und es ihnen noch in ihrem Grabe
gedenken.“

Nun hätte ich noch einmal hiergegen ein¬
reden können, um die Sache in die rechte Be¬
leuchtung zu rücken; aber was würde es geholfen
haben? Wahrhaftig, ich bin es nicht geweſen, der
die zwei treuen, wackeren Seelen mit ihren Wurzeln
aus dem Boden hob und ſie ſo in ihren greiſen
Tagen in ein fremdes Erdreich verſetzte! Ihre liebe
menſchliche Thorheit war's, die da Pflicht, Pflichten,
Vorzug, Gewinn, Ehre, Lob, Ruhm und Glück ſah,
wo die übrigen Millionen unſerer Brüder und
Schweſtern im Erdenleben — ebendasſelbe ſahen.
Sie hatten ihren Kopf darauf geſetzt, daß der Vogel¬
ſang nicht mehr zu ihnen „paſſe“, und ſie nicht zu
dem Vogelſang.

„Aufgeſetzt iſt der Kontrakt, Frau,“ ſagte mein
Vater, „und wenn es Dir recht iſt, kann Arnemann
heute noch zur Ausfertigung und Unterſchrift kommen,
zu einem ruhigen Schlaf kommen wir jetzt doch nicht
anders mehr.“

Meine Mutter iſt alſo an dieſem Tage nicht
mehr bei der Nachbarin Andres geweſen, um das
Genauere über das Privatſchreiben aus Amerika an
Seligmacher und Söhne und Velten und Helene
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[180/0190] ihm gethan haben und es ihnen noch in ihrem Grabe gedenken.“ Nun hätte ich noch einmal hiergegen ein¬ reden können, um die Sache in die rechte Be¬ leuchtung zu rücken; aber was würde es geholfen haben? Wahrhaftig, ich bin es nicht geweſen, der die zwei treuen, wackeren Seelen mit ihren Wurzeln aus dem Boden hob und ſie ſo in ihren greiſen Tagen in ein fremdes Erdreich verſetzte! Ihre liebe menſchliche Thorheit war's, die da Pflicht, Pflichten, Vorzug, Gewinn, Ehre, Lob, Ruhm und Glück ſah, wo die übrigen Millionen unſerer Brüder und Schweſtern im Erdenleben — ebendasſelbe ſahen. Sie hatten ihren Kopf darauf geſetzt, daß der Vogel¬ ſang nicht mehr zu ihnen „paſſe“, und ſie nicht zu dem Vogelſang. „Aufgeſetzt iſt der Kontrakt, Frau,“ ſagte mein Vater, „und wenn es Dir recht iſt, kann Arnemann heute noch zur Ausfertigung und Unterſchrift kommen, zu einem ruhigen Schlaf kommen wir jetzt doch nicht anders mehr.“ Meine Mutter iſt alſo an dieſem Tage nicht mehr bei der Nachbarin Andres geweſen, um das Genauere über das Privatſchreiben aus Amerika an Seligmacher und Söhne und Velten und Helene Trotzendorff zu hören, ihre Theilnahme zu beweiſen

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/190>, abgerufen am 26.04.2024.