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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

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Wir sahen ihn abfahren, wie damals Helene
Trotzendorff. Es war eben ein anderer Zug, ein
Vergnügungszug, angelangt und ein Gewühl aufge¬
regten und dem Anschein nach sehr vergnügten Volkes,
das unserer Stadt und ihrer hübschen landschaftlichen
Umgebung seinen Besuch zugedacht hatte, quoll uns
daraus entgegen. Der Morgen war schön, die Sonne
schien, ein fröhlicher Schenktisch war von einem sorg¬
lichen Komitee errichtet worden, die fremden Lieder¬
genossen oder Sangesbrüder kamen nicht nur mit
ihrem musikalischen Hoch, sondern auch mit viel Durst
bei uns an und eine einheimische Blechmusikbande
brach mit schmetterndem Hall zum Willkommen los:
die Stadt und Residenz hatte sich sehr vergrößert und
verschönert seit dem Tage, an welchem Mr. Charles
Trotzendorff sein Weib und sein Kind aus ihr weg
und zu sich holte, und der jetzige Bahnhof, von
welchem ich nun die Frau Nachbarin, die Mutter des
Freundes, nach Hause führte, stand damals auch erst
auf dem Papier und lag noch auf den Tischen der
fürstlichen Landesbaudirektion. --

Die "Frau Doktorin" hatte ihren Arm in den
meinigen gelegt, und sie, die bis in ihr höchstes
Alter hinein einen leichten, schwebenden Schritt ge¬
habt hat, bedurfte auf diesem Heimwege doch einer

Wir ſahen ihn abfahren, wie damals Helene
Trotzendorff. Es war eben ein anderer Zug, ein
Vergnügungszug, angelangt und ein Gewühl aufge¬
regten und dem Anſchein nach ſehr vergnügten Volkes,
das unſerer Stadt und ihrer hübſchen landſchaftlichen
Umgebung ſeinen Beſuch zugedacht hatte, quoll uns
daraus entgegen. Der Morgen war ſchön, die Sonne
ſchien, ein fröhlicher Schenktiſch war von einem ſorg¬
lichen Komitee errichtet worden, die fremden Lieder¬
genoſſen oder Sangesbrüder kamen nicht nur mit
ihrem muſikaliſchen Hoch, ſondern auch mit viel Durſt
bei uns an und eine einheimiſche Blechmuſikbande
brach mit ſchmetterndem Hall zum Willkommen los:
die Stadt und Reſidenz hatte ſich ſehr vergrößert und
verſchönert ſeit dem Tage, an welchem Mr. Charles
Trotzendorff ſein Weib und ſein Kind aus ihr weg
und zu ſich holte, und der jetzige Bahnhof, von
welchem ich nun die Frau Nachbarin, die Mutter des
Freundes, nach Hauſe führte, ſtand damals auch erſt
auf dem Papier und lag noch auf den Tiſchen der
fürſtlichen Landesbaudirektion. —

Die „Frau Doktorin“ hatte ihren Arm in den
meinigen gelegt, und ſie, die bis in ihr höchſtes
Alter hinein einen leichten, ſchwebenden Schritt ge¬
habt hat, bedurfte auf dieſem Heimwege doch einer

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[164/0174] Wir ſahen ihn abfahren, wie damals Helene Trotzendorff. Es war eben ein anderer Zug, ein Vergnügungszug, angelangt und ein Gewühl aufge¬ regten und dem Anſchein nach ſehr vergnügten Volkes, das unſerer Stadt und ihrer hübſchen landſchaftlichen Umgebung ſeinen Beſuch zugedacht hatte, quoll uns daraus entgegen. Der Morgen war ſchön, die Sonne ſchien, ein fröhlicher Schenktiſch war von einem ſorg¬ lichen Komitee errichtet worden, die fremden Lieder¬ genoſſen oder Sangesbrüder kamen nicht nur mit ihrem muſikaliſchen Hoch, ſondern auch mit viel Durſt bei uns an und eine einheimiſche Blechmuſikbande brach mit ſchmetterndem Hall zum Willkommen los: die Stadt und Reſidenz hatte ſich ſehr vergrößert und verſchönert ſeit dem Tage, an welchem Mr. Charles Trotzendorff ſein Weib und ſein Kind aus ihr weg und zu ſich holte, und der jetzige Bahnhof, von welchem ich nun die Frau Nachbarin, die Mutter des Freundes, nach Hauſe führte, ſtand damals auch erſt auf dem Papier und lag noch auf den Tiſchen der fürſtlichen Landesbaudirektion. — Die „Frau Doktorin“ hatte ihren Arm in den meinigen gelegt, und ſie, die bis in ihr höchſtes Alter hinein einen leichten, ſchwebenden Schritt ge¬ habt hat, bedurfte auf dieſem Heimwege doch einer

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/174>, abgerufen am 26.04.2024.