Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752.Einleitung. andere, welche weit weniger mit Worten davon pralen. Hat man esvielleicht endlich noch durch eine gute Anweisung dahin gebracht, daß man einigen Beyfall verdienet; so rechnet man sich sogleich unter die Anzahl der Virtuosen; und glaubet schon die erste Stufe des Parnasses überstiegen zu haben. Man schämet sich dahero eines fernern Unterrichts; oder hält denselben für unnöthig. Man verläßt den Meister in der besten Zeit, oder in der Blüte des Wachsthums. Man suchet nicht das Ur- theil erfahrner Leute sich zu Nutzen zu machen: sondern man bleibt lieber in der Unwissenheit stecken, als daß man sich ein wenig herablaßen wollte, um noch Lehren anzunehmen. Und wenn man auch allenfalls noch jemanden um diesen oder jenen Zweifel befraget: so geschieht es doch oft mehr in der Absicht gelobet zu werden, als die Wahrheit zu hö- ren. Wer wollte endlich alle das Unheil erzählen, welches eine ver- kehrte Eigenliebe anrichten kann. Es sey mir genug, dargethan zu ha- ben, daß sie, ob sie auch gleich eine falsche Zufriedenheit wirket, den- noch eine der größten Hindernisse am Wachsthum in der Musik sey. 21. §. Zum Beschluße muß ich noch einigen, die sich durch das Vorur- und C 3
Einleitung. andere, welche weit weniger mit Worten davon pralen. Hat man esvielleicht endlich noch durch eine gute Anweiſung dahin gebracht, daß man einigen Beyfall verdienet; ſo rechnet man ſich ſogleich unter die Anzahl der Virtuoſen; und glaubet ſchon die erſte Stufe des Parnaſſes uͤberſtiegen zu haben. Man ſchaͤmet ſich dahero eines fernern Unterrichts; oder haͤlt denſelben fuͤr unnoͤthig. Man verlaͤßt den Meiſter in der beſten Zeit, oder in der Bluͤte des Wachsthums. Man ſuchet nicht das Ur- theil erfahrner Leute ſich zu Nutzen zu machen: ſondern man bleibt lieber in der Unwiſſenheit ſtecken, als daß man ſich ein wenig herablaßen wollte, um noch Lehren anzunehmen. Und wenn man auch allenfalls noch jemanden um dieſen oder jenen Zweifel befraget: ſo geſchieht es doch oft mehr in der Abſicht gelobet zu werden, als die Wahrheit zu hoͤ- ren. Wer wollte endlich alle das Unheil erzaͤhlen, welches eine ver- kehrte Eigenliebe anrichten kann. Es ſey mir genug, dargethan zu ha- ben, daß ſie, ob ſie auch gleich eine falſche Zufriedenheit wirket, den- noch eine der groͤßten Hinderniſſe am Wachsthum in der Muſik ſey. 21. §. Zum Beſchluße muß ich noch einigen, die ſich durch das Vorur- und C 3
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Einleitung.
andere, welche weit weniger mit Worten davon pralen. Hat man es
vielleicht endlich noch durch eine gute Anweiſung dahin gebracht, daß
man einigen Beyfall verdienet; ſo rechnet man ſich ſogleich unter die
Anzahl der Virtuoſen; und glaubet ſchon die erſte Stufe des Parnaſſes
uͤberſtiegen zu haben. Man ſchaͤmet ſich dahero eines fernern Unterrichts;
oder haͤlt denſelben fuͤr unnoͤthig. Man verlaͤßt den Meiſter in der beſten
Zeit, oder in der Bluͤte des Wachsthums. Man ſuchet nicht das Ur-
theil erfahrner Leute ſich zu Nutzen zu machen: ſondern man bleibt
lieber in der Unwiſſenheit ſtecken, als daß man ſich ein wenig herablaßen
wollte, um noch Lehren anzunehmen. Und wenn man auch allenfalls
noch jemanden um dieſen oder jenen Zweifel befraget: ſo geſchieht es
doch oft mehr in der Abſicht gelobet zu werden, als die Wahrheit zu hoͤ-
ren. Wer wollte endlich alle das Unheil erzaͤhlen, welches eine ver-
kehrte Eigenliebe anrichten kann. Es ſey mir genug, dargethan zu ha-
ben, daß ſie, ob ſie auch gleich eine falſche Zufriedenheit wirket, den-
noch eine der groͤßten Hinderniſſe am Wachsthum in der Muſik ſey.
21. §.
Zum Beſchluße muß ich noch einigen, die ſich durch das Vorur-
theil, als ob das Blaſen auf der Floͤte der Bruſt oder Lunge ſchaͤdlich
ſey, zur Nachricht ſagen: daß ſolches nicht nur nicht ſchaͤdlich, ſondern
vielmehr zutraͤglich und vortheilhaft ſey. Die Bruſt wird dadurch mehr
und mehr eroͤfnet und ſtaͤrker gemachet. Jch koͤnnte, wenn es noͤthig
waͤre, mit Exempeln beweiſen, daß einige junge Leute, die einen ſehr
kurzen Athem hatten, und kaum faͤhig waren ein paar Tacte in einem
Athem zu ſpielen, es endlich durch das Blaſen der Floͤte, in einigen Jah-
ren, dahin gebracht haben, daß ſie mehr als zwanzig Tacte in einem
Athem zu ſpielen vermoͤgend worden. Es iſt alſo daraus zu ſchließen,
daß das Blaſen auf der Floͤte der Lunge eben ſo wenig ſchade, als das
Reuten, Fechten, Tanzen und Laufen. Man muß es nur nicht mis-
brauchen; und weder bald nach der Mahlzeit blaſen, noch ſogleich aufs
Blaſen, wenn die Lunge noch in einer ſtarken Bewegung iſt, einen kal-
ten Trunk thun. Daß die Trompete eine ſtaͤrkere Lunge, und noch weit
mehr Kraͤfte des Leibes erfordere, als die Floͤte; wird niemand in Abrede
ſeyn. Dem ungeachtet zeiget die Erfahrung, daß Leute, ſo ſich mit der
Trompete abgeben, mehrentheis ein ſehr hohes Alter erreichen. Jch
weis mich ſelbſt, von meiner Jugend an, zu erinnern, daß ein junger
Menſch, von ſehr ſchwacher Leibesbeſchaffenheit, ein Trompeter worden;
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