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Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752.

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Das XVIII. Hauptstück. Wie ein Musikus

Jhr Adagio hatte mehr eine natürliche Harmonie, als gute Melo-
die. Sie mache[t]en darinne auch wenig Manieren; außer daß sie dann
und wann die springenden Jntervalle mit laufenden Noten ausfülleten.
Die Schlüsse ihrer langsamen Stücke waren einfältig. Anstatt daß man
itziger Zeit, wenn man z. E. im Cschließen will, den Triller auf dem D oder
H schlägt: so schlugen sie denselben auf dem C, welchem sie die Zeit einer pun-
ctirten Note gaben, und ließen das H als eine kurze Note nur simpel hören;
der Endigungsnote C aber wurde noch eine, um einen Ton höher ste-
hende Note, als ein besonderer Zierrath angeschleifet. Jhre Cadenzen
waren ohngefähr in der Ausführung so beschaffen, wie Tab. XXIII. Fig.
15. mit Noten ausdrücket zu sehen ist. Von vorhaltenden Noten, wel-
che den Gesang an einander zu binden, und, auf eine angenehme Art,
die Consonanzen in Dissonanzen zu verwandeln dienen, wußten sie wenig
oder gar nichts: weswegen ihre Art zu spielen nicht rührend noch reizend,
sondern platt und trocken war.

Vielerley Jnstrumente, von denen man itzo kaum noch die Namen
weis, waren bey ihnen üblich. Es ist daher zu vermuthen, daß man,
wegen Vielheit derselben, mehr Ursach gehabt habe ihren Fleiß, als
ihre Geschiklichkeit im Spielen, zu bewundern.

82. §.

So schlecht es aber in den vorigen Zeiten, bey aller gründlichen Einsicht
der deutschen Componisten in die Harmonie, mit ihrem, und der deut-
schen Sänger und Jnstrumentisten ihrem Geschmacke ausgesehen haben
mag: so ein anderes Ansehen hat es doch nunmehr nach und nach damit
gewonnen. Denn wenn man auch von den Deutschen nicht eben sagen
kann, daß sie einen eigenthümlichen, und von den andern Nationalmu-
siken sich ganz unterscheidenden Geschmack hervor gebracht hätten: so
sind sie hingegen desto fähiger, einen andern, welchen sie nur wollen, an-
zunehmen; und wissen sich das Gute von allen Arten der ausländischen
Musik zu Nutzen zu machen.

83. §.

Es fiengen schon im vorigen Jahrhunderte, seit der Mitte desselben,
einige berühmte Männer, welche theils Jtalien oder Frankreich selbst be-
suchet, und darinne profitiret hatten, theils aber auch die Arbeiten und den
Geschmack der verdienten Ausländer zu Mustern nahmen, an, die Aus-
besserung des musikalischen Geschmackes zu bearbeiten. Die Orgel- und
Clavierspieler, unter den letztern vornehmlich Froberger, und nach ihm

Pach-
Das XVIII. Hauptſtuͤck. Wie ein Muſikus

Jhr Adagio hatte mehr eine natuͤrliche Harmonie, als gute Melo-
die. Sie mache[t]en darinne auch wenig Manieren; außer daß ſie dann
und wann die ſpringenden Jntervalle mit laufenden Noten ausfuͤlleten.
Die Schluͤſſe ihrer langſamen Stuͤcke waren einfaͤltig. Anſtatt daß man
itziger Zeit, wenn man z. E. im Cſchließen will, den Triller auf dem D oder
H ſchlaͤgt: ſo ſchlugen ſie denſelben auf dem C, welchem ſie die Zeit einer pun-
ctirten Note gaben, und ließen das H als eine kurze Note nur ſimpel hoͤren;
der Endigungsnote C aber wurde noch eine, um einen Ton hoͤher ſte-
hende Note, als ein beſonderer Zierrath angeſchleifet. Jhre Cadenzen
waren ohngefaͤhr in der Ausfuͤhrung ſo beſchaffen, wie Tab. XXIII. Fig.
15. mit Noten ausdruͤcket zu ſehen iſt. Von vorhaltenden Noten, wel-
che den Geſang an einander zu binden, und, auf eine angenehme Art,
die Conſonanzen in Diſſonanzen zu verwandeln dienen, wußten ſie wenig
oder gar nichts: weswegen ihre Art zu ſpielen nicht ruͤhrend noch reizend,
ſondern platt und trocken war.

Vielerley Jnſtrumente, von denen man itzo kaum noch die Namen
weis, waren bey ihnen uͤblich. Es iſt daher zu vermuthen, daß man,
wegen Vielheit derſelben, mehr Urſach gehabt habe ihren Fleiß, als
ihre Geſchiklichkeit im Spielen, zu bewundern.

82. §.

So ſchlecht es aber in den vorigen Zeiten, bey aller gruͤndlichen Einſicht
der deutſchen Componiſten in die Harmonie, mit ihrem, und der deut-
ſchen Saͤnger und Jnſtrumentiſten ihrem Geſchmacke ausgeſehen haben
mag: ſo ein anderes Anſehen hat es doch nunmehr nach und nach damit
gewonnen. Denn wenn man auch von den Deutſchen nicht eben ſagen
kann, daß ſie einen eigenthuͤmlichen, und von den andern Nationalmu-
ſiken ſich ganz unterſcheidenden Geſchmack hervor gebracht haͤtten: ſo
ſind ſie hingegen deſto faͤhiger, einen andern, welchen ſie nur wollen, an-
zunehmen; und wiſſen ſich das Gute von allen Arten der auslaͤndiſchen
Muſik zu Nutzen zu machen.

83. §.

Es fiengen ſchon im vorigen Jahrhunderte, ſeit der Mitte deſſelben,
einige beruͤhmte Maͤnner, welche theils Jtalien oder Frankreich ſelbſt be-
ſuchet, und darinne profitiret hatten, theils aber auch die Arbeiten und den
Geſchmack der verdienten Auslaͤnder zu Muſtern nahmen, an, die Aus-
beſſerung des muſikaliſchen Geſchmackes zu bearbeiten. Die Orgel- und
Clavierſpieler, unter den letztern vornehmlich Froberger, und nach ihm

Pach-
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[328/0346] Das XVIII. Hauptſtuͤck. Wie ein Muſikus Jhr Adagio hatte mehr eine natuͤrliche Harmonie, als gute Melo- die. Sie macheten darinne auch wenig Manieren; außer daß ſie dann und wann die ſpringenden Jntervalle mit laufenden Noten ausfuͤlleten. Die Schluͤſſe ihrer langſamen Stuͤcke waren einfaͤltig. Anſtatt daß man itziger Zeit, wenn man z. E. im Cſchließen will, den Triller auf dem D oder H ſchlaͤgt: ſo ſchlugen ſie denſelben auf dem C, welchem ſie die Zeit einer pun- ctirten Note gaben, und ließen das H als eine kurze Note nur ſimpel hoͤren; der Endigungsnote C aber wurde noch eine, um einen Ton hoͤher ſte- hende Note, als ein beſonderer Zierrath angeſchleifet. Jhre Cadenzen waren ohngefaͤhr in der Ausfuͤhrung ſo beſchaffen, wie Tab. XXIII. Fig. 15. mit Noten ausdruͤcket zu ſehen iſt. Von vorhaltenden Noten, wel- che den Geſang an einander zu binden, und, auf eine angenehme Art, die Conſonanzen in Diſſonanzen zu verwandeln dienen, wußten ſie wenig oder gar nichts: weswegen ihre Art zu ſpielen nicht ruͤhrend noch reizend, ſondern platt und trocken war. Vielerley Jnſtrumente, von denen man itzo kaum noch die Namen weis, waren bey ihnen uͤblich. Es iſt daher zu vermuthen, daß man, wegen Vielheit derſelben, mehr Urſach gehabt habe ihren Fleiß, als ihre Geſchiklichkeit im Spielen, zu bewundern. 82. §. So ſchlecht es aber in den vorigen Zeiten, bey aller gruͤndlichen Einſicht der deutſchen Componiſten in die Harmonie, mit ihrem, und der deut- ſchen Saͤnger und Jnſtrumentiſten ihrem Geſchmacke ausgeſehen haben mag: ſo ein anderes Anſehen hat es doch nunmehr nach und nach damit gewonnen. Denn wenn man auch von den Deutſchen nicht eben ſagen kann, daß ſie einen eigenthuͤmlichen, und von den andern Nationalmu- ſiken ſich ganz unterſcheidenden Geſchmack hervor gebracht haͤtten: ſo ſind ſie hingegen deſto faͤhiger, einen andern, welchen ſie nur wollen, an- zunehmen; und wiſſen ſich das Gute von allen Arten der auslaͤndiſchen Muſik zu Nutzen zu machen. 83. §. Es fiengen ſchon im vorigen Jahrhunderte, ſeit der Mitte deſſelben, einige beruͤhmte Maͤnner, welche theils Jtalien oder Frankreich ſelbſt be- ſuchet, und darinne profitiret hatten, theils aber auch die Arbeiten und den Geſchmack der verdienten Auslaͤnder zu Muſtern nahmen, an, die Aus- beſſerung des muſikaliſchen Geſchmackes zu bearbeiten. Die Orgel- und Clavierſpieler, unter den letztern vornehmlich Froberger, und nach ihm Pach-

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Zitationshilfe: Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuch_1752/346>, abgerufen am 03.12.2024.