DasXVI.Hauptstück. Was ein Flötenist zu beob. hat,
4. §.
Zu einem Stücke aus dem Es oder As kann er die Flöte ein wenig tiefer, als zu allen andern Tönen stimmen: weil die Töne mit dem b um ein Komma höher sind, als die mit dem Kreuze.
5. §.
An einem großen Orte, es sey in einem Opernhause, in einem Saale, oder wo zwey, drey, oder mehr eröfnete Zimmer nach einander folgen, muß er die Flöte niemals von Weitem, zu der von ihm entfer- neten Musik einstimmen; sondern allezeit in der Nähe. Denn der Klang der Töne erniedriget sich in der Ferne, ie weiter, ie mehr. Wenn er in der Ferne recht rein zu stimmen glaubete; so würde er dennoch, in der Nähe, gegen die andern zu tief seyn.
6. §.
Bey kalter Witterung muß er die Flöte in gleicher Wärme zu erhal- ten suchen: sonst wird er bald tief, bald hoch stimmen.
7. §.
Sollten, zufälliger Weise, die Violinen höher gestimmet seyn, als der Clavicymbal; welches leicht geschehen kann, wenn ihre Quinten nicht, wie bey dem Claviere in Obacht genommen werden muß, unter sich, son- dern vielmehr über sich schwebend gestimmet worden: so daß dadurch bey vier Seyten, die in Quinten gestimmet werden, ein merklicher Unterschied sich äussert: so muß sich der Flötenist, weil die übrigen Jnstrumente mehr, als der Flügel gehöret werden, aus Noth, mit der Flöte nach den Vio- linen richten. Es thut dieses aber freylich, wenn man wechselsweise, bald vom Claviere, bald von den Violinen begleitet wird, eine üble Wir- kung: und wäre zu wünschen, daß ein jeder sein Jnstrument, so wohl in sich selbst rein stimmen, als auch mit dem Clavicymbal gleichlautend ma- chen möchte; um das Vergnügen der Zuhörer nicht zu verringern. Es versteht sich aber, ohne mein Erinnern, daß dieser Fehler nicht leicht von vernünftigen und erfahrnen Tonkünftlern, welche die Musik so lieben wie sie sollen, begangen wird; sondern vielmehr nur von solchen, welche ihre Kunst als ein Handwerk, und als ein Muß, mit Widerwilleu treiben.
8. §.
Jst das Accompagnement sehr zahlreich: so kann der Flötenist die Flöte zum Allegro ein wenig tiefer stimmen, sie etwas mehr auswärts dre- hen, und folglich stärker blasen; damit er von dem Accompagnement, wenn es etwan unbescheiden seyn sollte, nicht unterdrücket werde.
Bey
DasXVI.Hauptſtuͤck. Was ein Floͤteniſt zu beob. hat,
4. §.
Zu einem Stuͤcke aus dem Es oder As kann er die Floͤte ein wenig tiefer, als zu allen andern Toͤnen ſtimmen: weil die Toͤne mit dem b um ein Komma hoͤher ſind, als die mit dem Kreuze.
5. §.
An einem großen Orte, es ſey in einem Opernhauſe, in einem Saale, oder wo zwey, drey, oder mehr eroͤfnete Zimmer nach einander folgen, muß er die Floͤte niemals von Weitem, zu der von ihm entfer- neten Muſik einſtimmen; ſondern allezeit in der Naͤhe. Denn der Klang der Toͤne erniedriget ſich in der Ferne, ie weiter, ie mehr. Wenn er in der Ferne recht rein zu ſtimmen glaubete; ſo wuͤrde er dennoch, in der Naͤhe, gegen die andern zu tief ſeyn.
6. §.
Bey kalter Witterung muß er die Floͤte in gleicher Waͤrme zu erhal- ten ſuchen: ſonſt wird er bald tief, bald hoch ſtimmen.
7. §.
Sollten, zufaͤlliger Weiſe, die Violinen hoͤher geſtimmet ſeyn, als der Clavicymbal; welches leicht geſchehen kann, wenn ihre Quinten nicht, wie bey dem Claviere in Obacht genommen werden muß, unter ſich, ſon- dern vielmehr uͤber ſich ſchwebend geſtimmet worden: ſo daß dadurch bey vier Seyten, die in Quinten geſtimmet werden, ein merklicher Unterſchied ſich aͤuſſert: ſo muß ſich der Floͤteniſt, weil die uͤbrigen Jnſtrumente mehr, als der Fluͤgel gehoͤret werden, aus Noth, mit der Floͤte nach den Vio- linen richten. Es thut dieſes aber freylich, wenn man wechſelsweiſe, bald vom Claviere, bald von den Violinen begleitet wird, eine uͤble Wir- kung: und waͤre zu wuͤnſchen, daß ein jeder ſein Jnſtrument, ſo wohl in ſich ſelbſt rein ſtimmen, als auch mit dem Clavicymbal gleichlautend ma- chen moͤchte; um das Vergnuͤgen der Zuhoͤrer nicht zu verringern. Es verſteht ſich aber, ohne mein Erinnern, daß dieſer Fehler nicht leicht von vernuͤnftigen und erfahrnen Tonkuͤnftlern, welche die Muſik ſo lieben wie ſie ſollen, begangen wird; ſondern vielmehr nur von ſolchen, welche ihre Kunſt als ein Handwerk, und als ein Muß, mit Widerwilleu treiben.
8. §.
Jſt das Accompagnement ſehr zahlreich: ſo kann der Floͤteniſt die Floͤte zum Allegro ein wenig tiefer ſtimmen, ſie etwas mehr auswaͤrts dre- hen, und folglich ſtaͤrker blaſen; damit er von dem Accompagnement, wenn es etwan unbeſcheiden ſeyn ſollte, nicht unterdruͤcket werde.
Bey
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Das XVI. Hauptſtuͤck. Was ein Floͤteniſt zu beob. hat,
4. §.
Zu einem Stuͤcke aus dem Es oder As kann er die Floͤte ein wenig
tiefer, als zu allen andern Toͤnen ſtimmen: weil die Toͤne mit dem b um
ein Komma hoͤher ſind, als die mit dem Kreuze.
5. §.
An einem großen Orte, es ſey in einem Opernhauſe, in einem
Saale, oder wo zwey, drey, oder mehr eroͤfnete Zimmer nach einander
folgen, muß er die Floͤte niemals von Weitem, zu der von ihm entfer-
neten Muſik einſtimmen; ſondern allezeit in der Naͤhe. Denn der Klang
der Toͤne erniedriget ſich in der Ferne, ie weiter, ie mehr. Wenn er
in der Ferne recht rein zu ſtimmen glaubete; ſo wuͤrde er dennoch, in der
Naͤhe, gegen die andern zu tief ſeyn.
6. §.
Bey kalter Witterung muß er die Floͤte in gleicher Waͤrme zu erhal-
ten ſuchen: ſonſt wird er bald tief, bald hoch ſtimmen.
7. §.
Sollten, zufaͤlliger Weiſe, die Violinen hoͤher geſtimmet ſeyn, als
der Clavicymbal; welches leicht geſchehen kann, wenn ihre Quinten nicht,
wie bey dem Claviere in Obacht genommen werden muß, unter ſich, ſon-
dern vielmehr uͤber ſich ſchwebend geſtimmet worden: ſo daß dadurch bey
vier Seyten, die in Quinten geſtimmet werden, ein merklicher Unterſchied
ſich aͤuſſert: ſo muß ſich der Floͤteniſt, weil die uͤbrigen Jnſtrumente mehr,
als der Fluͤgel gehoͤret werden, aus Noth, mit der Floͤte nach den Vio-
linen richten. Es thut dieſes aber freylich, wenn man wechſelsweiſe,
bald vom Claviere, bald von den Violinen begleitet wird, eine uͤble Wir-
kung: und waͤre zu wuͤnſchen, daß ein jeder ſein Jnſtrument, ſo wohl in
ſich ſelbſt rein ſtimmen, als auch mit dem Clavicymbal gleichlautend ma-
chen moͤchte; um das Vergnuͤgen der Zuhoͤrer nicht zu verringern. Es
verſteht ſich aber, ohne mein Erinnern, daß dieſer Fehler nicht leicht von
vernuͤnftigen und erfahrnen Tonkuͤnftlern, welche die Muſik ſo lieben wie
ſie ſollen, begangen wird; ſondern vielmehr nur von ſolchen, welche ihre
Kunſt als ein Handwerk, und als ein Muß, mit Widerwilleu treiben.
8. §.
Jſt das Accompagnement ſehr zahlreich: ſo kann der Floͤteniſt die
Floͤte zum Allegro ein wenig tiefer ſtimmen, ſie etwas mehr auswaͤrts dre-
hen, und folglich ſtaͤrker blaſen; damit er von dem Accompagnement,
wenn es etwan unbeſcheiden ſeyn ſollte, nicht unterdruͤcket werde.
Bey
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Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuch_1752/184>, abgerufen am 22.07.2024.
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