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Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752.

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Das XIV. Hauptstück.
5. §.

Um nun ein Adagio gut zu spielen, muß man sich, so viel als mög-
lich ist, in einen gelassenen und fast traurigen Affect setzen, damit man
dasjenige, so man zu spielen hat, in eben solcher Gemüthsverfassung vor-
trage, in welcher es der Componist gesetzet hat. Ein wahres Adagio
muß einer schmeichelnden Bittschrift ähnlich seyn. Denn so wenig als einer,
der von jemanden, welchem er eine besondere Ehrfurcht schuldig ist, mit
frechen und unverschämten Geberden etwas erbitten wollte, zu seinem
Zwecke kommen würde: eben so wenig wird man hier mit einer frechen
und bizarren Art zu spielen den Zuhörer einnehmen, erweichen, und
zärtlich machen. Denn was nicht vom Herzen kömmt, geht auch nicht
leichtlich wieder zum Herzen.

6. §.

Die Arten der langsamen Stücke sind unterschieden. Einige sind
sehr langsam und traurig: andere aber etwas lebhafter, und deswegen
mehr gefällig und angenehm. Zu beyden Arten trägt die Tonart, in wel-
cher sie gesetzet sind, sehr viel bey. A moll, C moll, Dis dur, und
F moll, drücken den traurigen Affect viel mehr aus, als andere Moll-
töne: weswegen sich denn auch die Componisten mehrentheils, zu dieser
Absicht, gedachter Tonarten zu bedienen pflegen. Hingegen werden die
übrigen Moll- und Durtöne, zu den gefälligen, singenden, und ariosen
Stücken gebrauchet.


Stück
Wegen der, gewissen Tonarten, sie mögen Dur oder Moll seyn, besonders eigenen
Wirkungen, ist man nicht einig. Die Alten waren der Meynung, daß eine
jede Tonart ihre besondere Eigenschaft, und ihren besondern Ausdruck der Affecten
hätte. Weil die Tonleitern ihrer Tonarten nicht alle einander gleich waren, da
nämlich zum Exempel die Dorische und Phrygische, als zwo Tonarten mit der
kleinen Terze, sich dergestalt unterschieden, daß jene die große Secunde und große
Sexte, diese aber die kleine Secunde und kleine Sexte in ihrem Bezirke hatte;
weil folglich fast jede Tonart ihre besondern Arten zu cadenziren hatte: so war
diese Meynung hinlänglich gegründet. Jn den neuern Zeiten aber, da die Ton-
leitern aller großen, und die Tonleitern aller kleinen Tonarten einander ähnlich
sind, ist die Frage, ob es sich mit den Eigenschaften der Tonarten noch so ver-
halte. Einige pflichten der Meynung der Alten noch bey: andere hingegen ver-
werfen dieselbe; und wollen behaupten, daß jede Leidenschaft in einer Tonart so
gut als in der andern ausgedrücket werden könnte, wenn nur der Componist die
Fähigkeit dazu besäße. Es ist wahr, man hat Exempel davon aufzuweisen; man
hat Proben, daß mancher eine Leidenschaft, in einer Tonart, die eben nicht die
bequemste dazu scheint, sehr gut ausgedrücket hat. Allein wer weis, ob dasselbe
Das XIV. Hauptſtuͤck.
5. §.

Um nun ein Adagio gut zu ſpielen, muß man ſich, ſo viel als moͤg-
lich iſt, in einen gelaſſenen und faſt traurigen Affect ſetzen, damit man
dasjenige, ſo man zu ſpielen hat, in eben ſolcher Gemuͤthsverfaſſung vor-
trage, in welcher es der Componiſt geſetzet hat. Ein wahres Adagio
muß einer ſchmeichelnden Bittſchrift aͤhnlich ſeyn. Denn ſo wenig als einer,
der von jemanden, welchem er eine beſondere Ehrfurcht ſchuldig iſt, mit
frechen und unverſchaͤmten Geberden etwas erbitten wollte, zu ſeinem
Zwecke kommen wuͤrde: eben ſo wenig wird man hier mit einer frechen
und bizarren Art zu ſpielen den Zuhoͤrer einnehmen, erweichen, und
zaͤrtlich machen. Denn was nicht vom Herzen koͤmmt, geht auch nicht
leichtlich wieder zum Herzen.

6. §.

Die Arten der langſamen Stuͤcke ſind unterſchieden. Einige ſind
ſehr langſam und traurig: andere aber etwas lebhafter, und deswegen
mehr gefaͤllig und angenehm. Zu beyden Arten traͤgt die Tonart, in wel-
cher ſie geſetzet ſind, ſehr viel bey. A moll, C moll, Dis dur, und
F moll, druͤcken den traurigen Affect viel mehr aus, als andere Moll-
toͤne: weswegen ſich denn auch die Componiſten mehrentheils, zu dieſer
Abſicht, gedachter Tonarten zu bedienen pflegen. Hingegen werden die
uͤbrigen Moll- und Durtoͤne, zu den gefaͤlligen, ſingenden, und arioſen
Stuͤcken gebrauchet.


Stuͤck
Wegen der, gewiſſen Tonarten, ſie moͤgen Dur oder Moll ſeyn, beſonders eigenen
Wirkungen, iſt man nicht einig. Die Alten waren der Meynung, daß eine
jede Tonart ihre beſondere Eigenſchaft, und ihren beſondern Ausdruck der Affecten
haͤtte. Weil die Tonleitern ihrer Tonarten nicht alle einander gleich waren, da
naͤmlich zum Exempel die Doriſche und Phrygiſche, als zwo Tonarten mit der
kleinen Terze, ſich dergeſtalt unterſchieden, daß jene die große Secunde und große
Sexte, dieſe aber die kleine Secunde und kleine Sexte in ihrem Bezirke hatte;
weil folglich faſt jede Tonart ihre beſondern Arten zu cadenziren hatte: ſo war
dieſe Meynung hinlaͤnglich gegruͤndet. Jn den neuern Zeiten aber, da die Ton-
leitern aller großen, und die Tonleitern aller kleinen Tonarten einander aͤhnlich
ſind, iſt die Frage, ob es ſich mit den Eigenſchaften der Tonarten noch ſo ver-
halte. Einige pflichten der Meynung der Alten noch bey: andere hingegen ver-
werfen dieſelbe; und wollen behaupten, daß jede Leidenſchaft in einer Tonart ſo
gut als in der andern ausgedruͤcket werden koͤnnte, wenn nur der Componiſt die
Faͤhigkeit dazu beſaͤße. Es iſt wahr, man hat Exempel davon aufzuweiſen; man
hat Proben, daß mancher eine Leidenſchaft, in einer Tonart, die eben nicht die
bequemſte dazu ſcheint, ſehr gut ausgedruͤcket hat. Allein wer weis, ob daſſelbe
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[138/0156] Das XIV. Hauptſtuͤck. 5. §. Um nun ein Adagio gut zu ſpielen, muß man ſich, ſo viel als moͤg- lich iſt, in einen gelaſſenen und faſt traurigen Affect ſetzen, damit man dasjenige, ſo man zu ſpielen hat, in eben ſolcher Gemuͤthsverfaſſung vor- trage, in welcher es der Componiſt geſetzet hat. Ein wahres Adagio muß einer ſchmeichelnden Bittſchrift aͤhnlich ſeyn. Denn ſo wenig als einer, der von jemanden, welchem er eine beſondere Ehrfurcht ſchuldig iſt, mit frechen und unverſchaͤmten Geberden etwas erbitten wollte, zu ſeinem Zwecke kommen wuͤrde: eben ſo wenig wird man hier mit einer frechen und bizarren Art zu ſpielen den Zuhoͤrer einnehmen, erweichen, und zaͤrtlich machen. Denn was nicht vom Herzen koͤmmt, geht auch nicht leichtlich wieder zum Herzen. 6. §. Die Arten der langſamen Stuͤcke ſind unterſchieden. Einige ſind ſehr langſam und traurig: andere aber etwas lebhafter, und deswegen mehr gefaͤllig und angenehm. Zu beyden Arten traͤgt die Tonart, in wel- cher ſie geſetzet ſind, ſehr viel bey. A moll, C moll, Dis dur, und F moll, druͤcken den traurigen Affect viel mehr aus, als andere Moll- toͤne: weswegen ſich denn auch die Componiſten mehrentheils, zu dieſer Abſicht, gedachter Tonarten zu bedienen pflegen. Hingegen werden die uͤbrigen Moll- und Durtoͤne, zu den gefaͤlligen, ſingenden, und arioſen Stuͤcken gebrauchet. Stuͤck Wegen der, gewiſſen Tonarten, ſie moͤgen Dur oder Moll ſeyn, beſonders eigenen Wirkungen, iſt man nicht einig. Die Alten waren der Meynung, daß eine jede Tonart ihre beſondere Eigenſchaft, und ihren beſondern Ausdruck der Affecten haͤtte. Weil die Tonleitern ihrer Tonarten nicht alle einander gleich waren, da naͤmlich zum Exempel die Doriſche und Phrygiſche, als zwo Tonarten mit der kleinen Terze, ſich dergeſtalt unterſchieden, daß jene die große Secunde und große Sexte, dieſe aber die kleine Secunde und kleine Sexte in ihrem Bezirke hatte; weil folglich faſt jede Tonart ihre beſondern Arten zu cadenziren hatte: ſo war dieſe Meynung hinlaͤnglich gegruͤndet. Jn den neuern Zeiten aber, da die Ton- leitern aller großen, und die Tonleitern aller kleinen Tonarten einander aͤhnlich ſind, iſt die Frage, ob es ſich mit den Eigenſchaften der Tonarten noch ſo ver- halte. Einige pflichten der Meynung der Alten noch bey: andere hingegen ver- werfen dieſelbe; und wollen behaupten, daß jede Leidenſchaft in einer Tonart ſo gut als in der andern ausgedruͤcket werden koͤnnte, wenn nur der Componiſt die Faͤhigkeit dazu beſaͤße. Es iſt wahr, man hat Exempel davon aufzuweiſen; man hat Proben, daß mancher eine Leidenſchaft, in einer Tonart, die eben nicht die bequemſte dazu ſcheint, ſehr gut ausgedruͤcket hat. Allein wer weis, ob daſſelbe

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Zitationshilfe: Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuch_1752/156>, abgerufen am 13.11.2024.