Der gute Vortrag muß endlich: ausdrückend, und jeder vor- kommenden Leidenschaft gemäß seyn. Jm Allegro, und allen dahin gehörigen muntern Stücken muß Lebhaftigkeit; im Adagio, und denen ihm gleichenden Stücken aber, Zärtlichkeit, und ein angenehmes Ziehen oder Tragen der Stimme herrschen. Der Ausführer eines Stü- ckes muß sich selbst in die Haupt- und Nebenleidenschaften, die er aus- drücken soll, zu versetzen suchen. Und weil in den meisten Stücken immer eine Leidenschaft mit der andern abwechselt; so muß auch der Ausführer jeden Gedanken zu beurtheilen wissen, was für eine Leidenschaft er in sich enthalte, und seinen Vortrag immer derselben gleichförmig machen. Auf diese Art nur wird er den Absichten des Componisten, und den Vorstellun- gen so sich dieser bey Verfertigung des Stückes gemacht hat, eine Gnüge leisten. Es giebt selbst verschiedene Grade der Lebhaftigkeit oder der Traurigkeit. Z. E. Wo ein wütender Affect herrschet, da muß der Vor- trag weit mehr Feuer haben, als bey scherzenden Stücken, ob er gleich bey beyden lebhaft seyn muß: und so auch bey dem Gegentheile. Man muß sich auch mit dem Zusatze der Auszierungen, mit denen man den vor- geschriebenen Gesang, oder eine simple Melodie, zu bereichern, und noch mehr zu erheben suchet, darnach richten. Diese Auszierungen, sie mögen nothwendig oder willkührlich seyn, müssen niemals dem in der Hauptme- lodie herrschenden Affecte widersprechen; und folglich muß das Unterhal- tene und Gezogene, mit dem Tändelnden, Gefälligen, Halblustigen und Lebhaften, das Freche mit dem Schmeichelnden, u. s. w. nicht verwirret werden. Die Vorschläge machen die Melodie an einander hangend, und vermehren die Harmonie; die Triller und übrigen kleinen Auszierungen, als: halbe Triller, Mordanten, Doppelschläge und battemens, mun- tern auf. Das abwechselnde Piano und Forte aber, erhebt theils einige Noten, theils erreget es Zärtlichkeit. Schmeichelnde Gänge im Adagio dürfen im Spielen mit dem Zungenstoße und Bogenstriche nicht zu hart; und hingegen im Allegro, lustige und erhabene Gedanken, nicht schlep- pend, schleifend, oder zu weich angestoßen werden.
16. §.
Jch will einige Kennzeichen angeben, aus denen zusammen genom- men, man, wo nicht allezeit, doch meistentheils wird abnehmen können, was für ein Affect herrsche, und wie folglich der Vortrag beschaffen seyn, ob er schmeichelnd, traurig, zärtlich, lustig, frech, ernsthaft, u. s. w.
seyn
O 2
im Singen und Spielen uͤberhaupt.
15. §.
Der gute Vortrag muß endlich: ausdruͤckend, und jeder vor- kommenden Leidenſchaft gemaͤß ſeyn. Jm Allegro, und allen dahin gehoͤrigen muntern Stuͤcken muß Lebhaftigkeit; im Adagio, und denen ihm gleichenden Stuͤcken aber, Zaͤrtlichkeit, und ein angenehmes Ziehen oder Tragen der Stimme herrſchen. Der Ausfuͤhrer eines Stuͤ- ckes muß ſich ſelbſt in die Haupt- und Nebenleidenſchaften, die er aus- druͤcken ſoll, zu verſetzen ſuchen. Und weil in den meiſten Stuͤcken immer eine Leidenſchaft mit der andern abwechſelt; ſo muß auch der Ausfuͤhrer jeden Gedanken zu beurtheilen wiſſen, was fuͤr eine Leidenſchaft er in ſich enthalte, und ſeinen Vortrag immer derſelben gleichfoͤrmig machen. Auf dieſe Art nur wird er den Abſichten des Componiſten, und den Vorſtellun- gen ſo ſich dieſer bey Verfertigung des Stuͤckes gemacht hat, eine Gnuͤge leiſten. Es giebt ſelbſt verſchiedene Grade der Lebhaftigkeit oder der Traurigkeit. Z. E. Wo ein wuͤtender Affect herrſchet, da muß der Vor- trag weit mehr Feuer haben, als bey ſcherzenden Stuͤcken, ob er gleich bey beyden lebhaft ſeyn muß: und ſo auch bey dem Gegentheile. Man muß ſich auch mit dem Zuſatze der Auszierungen, mit denen man den vor- geſchriebenen Geſang, oder eine ſimple Melodie, zu bereichern, und noch mehr zu erheben ſuchet, darnach richten. Dieſe Auszierungen, ſie moͤgen nothwendig oder willkuͤhrlich ſeyn, muͤſſen niemals dem in der Hauptme- lodie herrſchenden Affecte widerſprechen; und folglich muß das Unterhal- tene und Gezogene, mit dem Taͤndelnden, Gefaͤlligen, Halbluſtigen und Lebhaften, das Freche mit dem Schmeichelnden, u. ſ. w. nicht verwirret werden. Die Vorſchlaͤge machen die Melodie an einander hangend, und vermehren die Harmonie; die Triller und uͤbrigen kleinen Auszierungen, als: halbe Triller, Mordanten, Doppelſchlaͤge und battemens, mun- tern auf. Das abwechſelnde Piano und Forte aber, erhebt theils einige Noten, theils erreget es Zaͤrtlichkeit. Schmeichelnde Gaͤnge im Adagio duͤrfen im Spielen mit dem Zungenſtoße und Bogenſtriche nicht zu hart; und hingegen im Allegro, luſtige und erhabene Gedanken, nicht ſchlep- pend, ſchleifend, oder zu weich angeſtoßen werden.
16. §.
Jch will einige Kennzeichen angeben, aus denen zuſammen genom- men, man, wo nicht allezeit, doch meiſtentheils wird abnehmen koͤnnen, was fuͤr ein Affect herrſche, und wie folglich der Vortrag beſchaffen ſeyn, ob er ſchmeichelnd, traurig, zaͤrtlich, luſtig, frech, ernſthaft, u. ſ. w.
ſeyn
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im Singen und Spielen uͤberhaupt.
15. §.
Der gute Vortrag muß endlich: ausdruͤckend, und jeder vor-
kommenden Leidenſchaft gemaͤß ſeyn. Jm Allegro, und allen
dahin gehoͤrigen muntern Stuͤcken muß Lebhaftigkeit; im Adagio, und
denen ihm gleichenden Stuͤcken aber, Zaͤrtlichkeit, und ein angenehmes
Ziehen oder Tragen der Stimme herrſchen. Der Ausfuͤhrer eines Stuͤ-
ckes muß ſich ſelbſt in die Haupt- und Nebenleidenſchaften, die er aus-
druͤcken ſoll, zu verſetzen ſuchen. Und weil in den meiſten Stuͤcken immer
eine Leidenſchaft mit der andern abwechſelt; ſo muß auch der Ausfuͤhrer
jeden Gedanken zu beurtheilen wiſſen, was fuͤr eine Leidenſchaft er in ſich
enthalte, und ſeinen Vortrag immer derſelben gleichfoͤrmig machen. Auf
dieſe Art nur wird er den Abſichten des Componiſten, und den Vorſtellun-
gen ſo ſich dieſer bey Verfertigung des Stuͤckes gemacht hat, eine Gnuͤge
leiſten. Es giebt ſelbſt verſchiedene Grade der Lebhaftigkeit oder der
Traurigkeit. Z. E. Wo ein wuͤtender Affect herrſchet, da muß der Vor-
trag weit mehr Feuer haben, als bey ſcherzenden Stuͤcken, ob er gleich
bey beyden lebhaft ſeyn muß: und ſo auch bey dem Gegentheile. Man
muß ſich auch mit dem Zuſatze der Auszierungen, mit denen man den vor-
geſchriebenen Geſang, oder eine ſimple Melodie, zu bereichern, und noch
mehr zu erheben ſuchet, darnach richten. Dieſe Auszierungen, ſie moͤgen
nothwendig oder willkuͤhrlich ſeyn, muͤſſen niemals dem in der Hauptme-
lodie herrſchenden Affecte widerſprechen; und folglich muß das Unterhal-
tene und Gezogene, mit dem Taͤndelnden, Gefaͤlligen, Halbluſtigen und
Lebhaften, das Freche mit dem Schmeichelnden, u. ſ. w. nicht verwirret
werden. Die Vorſchlaͤge machen die Melodie an einander hangend, und
vermehren die Harmonie; die Triller und uͤbrigen kleinen Auszierungen,
als: halbe Triller, Mordanten, Doppelſchlaͤge und battemens, mun-
tern auf. Das abwechſelnde Piano und Forte aber, erhebt theils einige
Noten, theils erreget es Zaͤrtlichkeit. Schmeichelnde Gaͤnge im Adagio
duͤrfen im Spielen mit dem Zungenſtoße und Bogenſtriche nicht zu hart;
und hingegen im Allegro, luſtige und erhabene Gedanken, nicht ſchlep-
pend, ſchleifend, oder zu weich angeſtoßen werden.
16. §.
Jch will einige Kennzeichen angeben, aus denen zuſammen genom-
men, man, wo nicht allezeit, doch meiſtentheils wird abnehmen koͤnnen,
was fuͤr ein Affect herrſche, und wie folglich der Vortrag beſchaffen ſeyn,
ob er ſchmeichelnd, traurig, zaͤrtlich, luſtig, frech, ernſthaft, u. ſ. w.
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Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuch_1752/125>, abgerufen am 22.07.2024.
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