den die Ripienisten insbesondere zu beobachten haben, findet man im XVII. Hauptstücke dieser Anweisug weitläuftig erkläret.
9. §.
Der Vortrag ist fast bey keinem Menschen wie bey dem andern, son- dern bey den meisten unterschieden. Nicht allezeit die Unterweisung in der Musik, sondern vielmehr auch zugleich die Gemüthsbeschaffenheit ei- nes jeden, wodurch sich immer einer von dem andern unterscheidet, sind die Ursachen davon. Jch setze den Fall, es hätten ihrer viele bey einem Meister, zu gleicher Zeit, und durch einerley Grundsätze die Musik erlernet; sie spieleten auch in den ersten drey oder vier Jahren in einerley Art. Man wird dennoch nachher erfahren, daß wenn sie etliche Jahre ihren Meister nicht mehr gehöret haben, ein jeder einen besondern Vortrag, seinem ei- genen Naturelle gemäß, annehmen werde; so fern sie nicht pure Copeyen ihres Meisters bleiben wollen. Einer wird immer auf eine bessere Art des Vortrages verfallen als der andere.
10. §.
Wir wollen nunmehr die vornehmsten Eigenschaften des guten Vor- trages überhaupt untersuchen. Ein guter Vortrag muß zum ersten: rein und deutlich seyn. Man muß nicht nur jede Note hören lassen, sondern auch jede Note in ihrer reinen Jntonation angeben; damit sie dem Zuhörer alle verständlich werden. Keine einzige darf man auslassen. Man muß suchen den Klang so schön als möglich herauszubringen. Vor dem Falschgreifen muß man sich mit besonderm Fleiße hüten. Was hier- zu der Ansatz und der Zungenstoß auf der Flöte beytragen kann, ist oben gelehret worden. Man muß sich hüten, die Noten zu schleifen, welche gestoßen werden sollen; und die zu stoßen, welche man schleifen soll. Es darf nicht scheinen als wenn die Noten zusammen klebeten. Den Zun- genstoß auf Blasinstrumenten, und den Bogenstrich auf Bogeninstru- menten, muß man jederzeit, der Absicht, und der vermittelst der Bogen und Striche geschehenen Anweisung des Componisten gemäß, brauchen: denn hierdurch bekommen die Noten ihre Lebhaftigkeit. Sie unterschei- den sich dadurch von der Art der Sackpfeife, welche ohne Zungenstoß ge- spielet wird. Die Finger, sie mögen sich auch so ordentlich und munter bewegen, als sie immer wollen, können die musikalische Aussprache für sich allein nicht ausdrücken, wo nicht die Zunge oder der Bogen, durch gehörige, und zu der vorzutragenden Sache geschikte Bewegungen, das ihrige, und zwar das meiste darzu beytragen. Gedanken welche an einander
hangen
Das XI. Hauptſtuͤck. Vom guten Vortrage
den die Ripieniſten insbeſondere zu beobachten haben, findet man im XVII. Hauptſtuͤcke dieſer Anweiſug weitlaͤuftig erklaͤret.
9. §.
Der Vortrag iſt faſt bey keinem Menſchen wie bey dem andern, ſon- dern bey den meiſten unterſchieden. Nicht allezeit die Unterweiſung in der Muſik, ſondern vielmehr auch zugleich die Gemuͤthsbeſchaffenheit ei- nes jeden, wodurch ſich immer einer von dem andern unterſcheidet, ſind die Urſachen davon. Jch ſetze den Fall, es haͤtten ihrer viele bey einem Meiſter, zu gleicher Zeit, und durch einerley Grundſaͤtze die Muſik erlernet; ſie ſpieleten auch in den erſten drey oder vier Jahren in einerley Art. Man wird dennoch nachher erfahren, daß wenn ſie etliche Jahre ihren Meiſter nicht mehr gehoͤret haben, ein jeder einen beſondern Vortrag, ſeinem ei- genen Naturelle gemaͤß, annehmen werde; ſo fern ſie nicht pure Copeyen ihres Meiſters bleiben wollen. Einer wird immer auf eine beſſere Art des Vortrages verfallen als der andere.
10. §.
Wir wollen nunmehr die vornehmſten Eigenſchaften des guten Vor- trages uͤberhaupt unterſuchen. Ein guter Vortrag muß zum erſten: rein und deutlich ſeyn. Man muß nicht nur jede Note hoͤren laſſen, ſondern auch jede Note in ihrer reinen Jntonation angeben; damit ſie dem Zuhoͤrer alle verſtaͤndlich werden. Keine einzige darf man auslaſſen. Man muß ſuchen den Klang ſo ſchoͤn als moͤglich herauszubringen. Vor dem Falſchgreifen muß man ſich mit beſonderm Fleiße huͤten. Was hier- zu der Anſatz und der Zungenſtoß auf der Floͤte beytragen kann, iſt oben gelehret worden. Man muß ſich huͤten, die Noten zu ſchleifen, welche geſtoßen werden ſollen; und die zu ſtoßen, welche man ſchleifen ſoll. Es darf nicht ſcheinen als wenn die Noten zuſammen klebeten. Den Zun- genſtoß auf Blasinſtrumenten, und den Bogenſtrich auf Bogeninſtru- menten, muß man jederzeit, der Abſicht, und der vermittelſt der Bogen und Striche geſchehenen Anweiſung des Componiſten gemaͤß, brauchen: denn hierdurch bekommen die Noten ihre Lebhaftigkeit. Sie unterſchei- den ſich dadurch von der Art der Sackpfeife, welche ohne Zungenſtoß ge- ſpielet wird. Die Finger, ſie moͤgen ſich auch ſo ordentlich und munter bewegen, als ſie immer wollen, koͤnnen die muſikaliſche Ausſprache fuͤr ſich allein nicht ausdruͤcken, wo nicht die Zunge oder der Bogen, durch gehoͤrige, und zu der vorzutragenden Sache geſchikte Bewegungen, das ihrige, und zwar das meiſte darzu beytragen. Gedanken welche an einander
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Das XI. Hauptſtuͤck. Vom guten Vortrage
den die Ripieniſten insbeſondere zu beobachten haben, findet man im
XVII. Hauptſtuͤcke dieſer Anweiſug weitlaͤuftig erklaͤret.
9. §.
Der Vortrag iſt faſt bey keinem Menſchen wie bey dem andern, ſon-
dern bey den meiſten unterſchieden. Nicht allezeit die Unterweiſung in
der Muſik, ſondern vielmehr auch zugleich die Gemuͤthsbeſchaffenheit ei-
nes jeden, wodurch ſich immer einer von dem andern unterſcheidet, ſind die
Urſachen davon. Jch ſetze den Fall, es haͤtten ihrer viele bey einem Meiſter,
zu gleicher Zeit, und durch einerley Grundſaͤtze die Muſik erlernet; ſie
ſpieleten auch in den erſten drey oder vier Jahren in einerley Art. Man
wird dennoch nachher erfahren, daß wenn ſie etliche Jahre ihren Meiſter
nicht mehr gehoͤret haben, ein jeder einen beſondern Vortrag, ſeinem ei-
genen Naturelle gemaͤß, annehmen werde; ſo fern ſie nicht pure Copeyen
ihres Meiſters bleiben wollen. Einer wird immer auf eine beſſere Art des
Vortrages verfallen als der andere.
10. §.
Wir wollen nunmehr die vornehmſten Eigenſchaften des guten Vor-
trages uͤberhaupt unterſuchen. Ein guter Vortrag muß zum erſten:
rein und deutlich ſeyn. Man muß nicht nur jede Note hoͤren laſſen,
ſondern auch jede Note in ihrer reinen Jntonation angeben; damit ſie
dem Zuhoͤrer alle verſtaͤndlich werden. Keine einzige darf man auslaſſen.
Man muß ſuchen den Klang ſo ſchoͤn als moͤglich herauszubringen. Vor
dem Falſchgreifen muß man ſich mit beſonderm Fleiße huͤten. Was hier-
zu der Anſatz und der Zungenſtoß auf der Floͤte beytragen kann, iſt oben
gelehret worden. Man muß ſich huͤten, die Noten zu ſchleifen, welche
geſtoßen werden ſollen; und die zu ſtoßen, welche man ſchleifen ſoll. Es
darf nicht ſcheinen als wenn die Noten zuſammen klebeten. Den Zun-
genſtoß auf Blasinſtrumenten, und den Bogenſtrich auf Bogeninſtru-
menten, muß man jederzeit, der Abſicht, und der vermittelſt der Bogen
und Striche geſchehenen Anweiſung des Componiſten gemaͤß, brauchen:
denn hierdurch bekommen die Noten ihre Lebhaftigkeit. Sie unterſchei-
den ſich dadurch von der Art der Sackpfeife, welche ohne Zungenſtoß ge-
ſpielet wird. Die Finger, ſie moͤgen ſich auch ſo ordentlich und munter
bewegen, als ſie immer wollen, koͤnnen die muſikaliſche Ausſprache fuͤr
ſich allein nicht ausdruͤcken, wo nicht die Zunge oder der Bogen, durch
gehoͤrige, und zu der vorzutragenden Sache geſchikte Bewegungen, das
ihrige, und zwar das meiſte darzu beytragen. Gedanken welche an einander
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Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuch_1752/122>, abgerufen am 22.07.2024.
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