theilung unternehmen. Denn hiervon hängt ein ansehnlicher Theil des guten Vortrages ab.
19. §.
Einige begehen, so wie mit den willkührlichen Auszierungen, also auch mit den hier beschriebenen Vorschlägen, und übrigen wesentlichen Manieren, viel Misbrauch. Sie lassen, so zu sagen, fast keine Note, wo es nur irgend die Zeit, oder ihre Finger gestatten, ohne Zusatz hören. Sie machen den Gesang entweder durch überhäufte Vorschläge und Ab- züge zu matt; oder durch einen Ueberfluß von ganzen und halben Trillern, Mordanten, Doppelschlägen, battemens, u. d. gl. zu bunt. Sie bringen dieselben öfters bey Noten an, wobey doch ein nur halb gesundes musikali- sches Gehör begreift, daß sie sich nicht hinschicken. Hat etwan ein be- rühmter Sänger, in einem Lande, eine mehr als gemeine Annehmlichkeit bey Anbringung der Vorschläge: Gleich fängt die Hälfte der Sänger sei- ner Nation an zu heulen; und auch den lebhaftesten Stücken, durch ihr abgeschmacktes Wehklagen, das Feuer zu benehmen: und hierdurch glau- ben sie den Verdiensten jenes berühmten Sängers nahe zu kommen, wo nicht gar, sie zu übertreffen. Es ist wahr, die oben beschriebenen Zierra- then sind zum guten Vortrage höchstnöthig. Dessen ungeachtet muß man doch sparsam mit ihnen umgehen; wenn man des Guten nicht zu viel thun will. Die rareste und schmackhafteste Speise machet uns Ekel, wenn wir ihrer zu viel genießen müssen. Eben so geht es mit den Auszierun- gen in der Musik; wenn man mit denselben zu verschwenderisch umgeht, und das Gehör zu überschütten suchet. Ein prächtiger, erhabener und lebhafter Gesang, kann durch übel angebrachte Vorschläge niedrig und einfältig; ein trauriger und zärtlicher Gesang hingegen, durch überhäufte Triller und andere kleine Manieren zu lustig und zu frech gemachet, und die vernünftige Denkart des Componisten verstümmelt werden. Hieraus nun ist zu ersehen, daß die Auszierungen sowohl ein Stück, wo es nöthig ist, verbessern, als auch, wenn sie zur Unzeit kommen, verschlimmern kön- nen. Diejenigen, welche sich den guten Geschmack zwar wünschen, ihn aber nicht besitzen, fallen am leichtesten in dieses Versehen. Aus Man- gel der zärtlichen Empfindung, wissen sie mit dem simpeln Gesange nicht umzugehen. Ueber der edlen Einfalt wird ihnen, so zu sagen, die Zeit zu lang. Wer nun dergleichen Fehler nicht begehen will; der gewöhne sich bey Zeiten, weder zu simpel, noch zu bunt, zu singen oder zu spielen; sondern das Simple mit dem Brillanten immer zu vermischen. Mit den
kleinen
Das VIII. Hauptſtuͤck. Von den Vorſchlaͤgen,
theilung unternehmen. Denn hiervon haͤngt ein anſehnlicher Theil des guten Vortrages ab.
19. §.
Einige begehen, ſo wie mit den willkuͤhrlichen Auszierungen, alſo auch mit den hier beſchriebenen Vorſchlaͤgen, und uͤbrigen weſentlichen Manieren, viel Misbrauch. Sie laſſen, ſo zu ſagen, faſt keine Note, wo es nur irgend die Zeit, oder ihre Finger geſtatten, ohne Zuſatz hoͤren. Sie machen den Geſang entweder durch uͤberhaͤufte Vorſchlaͤge und Ab- zuͤge zu matt; oder durch einen Ueberfluß von ganzen und halben Trillern, Mordanten, Doppelſchlaͤgen, battemens, u. d. gl. zu bunt. Sie bringen dieſelben oͤfters bey Noten an, wobey doch ein nur halb geſundes muſikali- ſches Gehoͤr begreift, daß ſie ſich nicht hinſchicken. Hat etwan ein be- ruͤhmter Saͤnger, in einem Lande, eine mehr als gemeine Annehmlichkeit bey Anbringung der Vorſchlaͤge: Gleich faͤngt die Haͤlfte der Saͤnger ſei- ner Nation an zu heulen; und auch den lebhafteſten Stuͤcken, durch ihr abgeſchmacktes Wehklagen, das Feuer zu benehmen: und hierdurch glau- ben ſie den Verdienſten jenes beruͤhmten Saͤngers nahe zu kommen, wo nicht gar, ſie zu uͤbertreffen. Es iſt wahr, die oben beſchriebenen Zierra- then ſind zum guten Vortrage hoͤchſtnoͤthig. Deſſen ungeachtet muß man doch ſparſam mit ihnen umgehen; wenn man des Guten nicht zu viel thun will. Die rareſte und ſchmackhafteſte Speiſe machet uns Ekel, wenn wir ihrer zu viel genießen muͤſſen. Eben ſo geht es mit den Auszierun- gen in der Muſik; wenn man mit denſelben zu verſchwenderiſch umgeht, und das Gehoͤr zu uͤberſchuͤtten ſuchet. Ein praͤchtiger, erhabener und lebhafter Geſang, kann durch uͤbel angebrachte Vorſchlaͤge niedrig und einfaͤltig; ein trauriger und zaͤrtlicher Geſang hingegen, durch uͤberhaͤufte Triller und andere kleine Manieren zu luſtig und zu frech gemachet, und die vernuͤnftige Denkart des Componiſten verſtuͤmmelt werden. Hieraus nun iſt zu erſehen, daß die Auszierungen ſowohl ein Stuͤck, wo es noͤthig iſt, verbeſſern, als auch, wenn ſie zur Unzeit kommen, verſchlimmern koͤn- nen. Diejenigen, welche ſich den guten Geſchmack zwar wuͤnſchen, ihn aber nicht beſitzen, fallen am leichteſten in dieſes Verſehen. Aus Man- gel der zaͤrtlichen Empfindung, wiſſen ſie mit dem ſimpeln Geſange nicht umzugehen. Ueber der edlen Einfalt wird ihnen, ſo zu ſagen, die Zeit zu lang. Wer nun dergleichen Fehler nicht begehen will; der gewoͤhne ſich bey Zeiten, weder zu ſimpel, noch zu bunt, zu ſingen oder zu ſpielen; ſondern das Simple mit dem Brillanten immer zu vermiſchen. Mit den
kleinen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0100"n="82"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Das <hirendition="#aq">VIII.</hi> Hauptſtuͤck. Von den Vorſchlaͤgen,</hi></fw><lb/>
theilung unternehmen. Denn hiervon haͤngt ein anſehnlicher Theil des<lb/>
guten Vortrages ab.</p></div><lb/><divn="3"><head>19. §.</head><lb/><p>Einige begehen, ſo wie mit den willkuͤhrlichen Auszierungen, alſo<lb/>
auch mit den hier beſchriebenen Vorſchlaͤgen, und uͤbrigen weſentlichen<lb/>
Manieren, viel Misbrauch. Sie laſſen, ſo zu ſagen, faſt keine Note,<lb/>
wo es nur irgend die Zeit, oder ihre Finger geſtatten, ohne Zuſatz hoͤren.<lb/>
Sie machen den Geſang entweder durch uͤberhaͤufte Vorſchlaͤge und Ab-<lb/>
zuͤge zu matt; oder durch einen Ueberfluß von ganzen und halben Trillern,<lb/>
Mordanten, Doppelſchlaͤgen, <hirendition="#aq">battemens,</hi> u. d. gl. zu bunt. Sie bringen<lb/>
dieſelben oͤfters bey Noten an, wobey doch ein nur halb geſundes muſikali-<lb/>ſches Gehoͤr begreift, daß ſie ſich nicht hinſchicken. Hat etwan ein be-<lb/>
ruͤhmter Saͤnger, in einem Lande, eine mehr als gemeine Annehmlichkeit<lb/>
bey Anbringung der Vorſchlaͤge: Gleich faͤngt die Haͤlfte der Saͤnger ſei-<lb/>
ner Nation an zu heulen; und auch den lebhafteſten Stuͤcken, durch ihr<lb/>
abgeſchmacktes Wehklagen, das Feuer zu benehmen: und hierdurch glau-<lb/>
ben ſie den Verdienſten jenes beruͤhmten Saͤngers nahe zu kommen, wo<lb/>
nicht gar, ſie zu uͤbertreffen. Es iſt wahr, die oben beſchriebenen Zierra-<lb/>
then ſind zum guten Vortrage hoͤchſtnoͤthig. Deſſen ungeachtet muß<lb/>
man doch ſparſam mit ihnen umgehen; wenn man des Guten nicht zu viel<lb/>
thun will. Die rareſte und ſchmackhafteſte Speiſe machet uns Ekel, wenn<lb/>
wir ihrer zu viel genießen muͤſſen. Eben ſo geht es mit den Auszierun-<lb/>
gen in der Muſik; wenn man mit denſelben zu verſchwenderiſch umgeht,<lb/>
und das Gehoͤr zu uͤberſchuͤtten ſuchet. Ein praͤchtiger, erhabener und<lb/>
lebhafter Geſang, kann durch uͤbel angebrachte Vorſchlaͤge niedrig und<lb/>
einfaͤltig; ein trauriger und zaͤrtlicher Geſang hingegen, durch uͤberhaͤufte<lb/>
Triller und andere kleine Manieren zu luſtig und zu frech gemachet, und<lb/>
die vernuͤnftige Denkart des Componiſten verſtuͤmmelt werden. Hieraus<lb/>
nun iſt zu erſehen, daß die Auszierungen ſowohl ein Stuͤck, wo es noͤthig<lb/>
iſt, verbeſſern, als auch, wenn ſie zur Unzeit kommen, verſchlimmern koͤn-<lb/>
nen. Diejenigen, welche ſich den guten Geſchmack zwar wuͤnſchen, ihn<lb/>
aber nicht beſitzen, fallen am leichteſten in dieſes Verſehen. Aus Man-<lb/>
gel der zaͤrtlichen Empfindung, wiſſen ſie mit dem ſimpeln Geſange nicht<lb/>
umzugehen. Ueber der edlen Einfalt wird ihnen, ſo zu ſagen, die Zeit zu<lb/>
lang. Wer nun dergleichen Fehler nicht begehen will; der gewoͤhne ſich<lb/>
bey Zeiten, weder zu ſimpel, noch zu bunt, zu ſingen oder zu ſpielen;<lb/>ſondern das Simple mit dem Brillanten immer zu vermiſchen. Mit den<lb/><fwplace="bottom"type="catch">kleinen</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[82/0100]
Das VIII. Hauptſtuͤck. Von den Vorſchlaͤgen,
theilung unternehmen. Denn hiervon haͤngt ein anſehnlicher Theil des
guten Vortrages ab.
19. §.
Einige begehen, ſo wie mit den willkuͤhrlichen Auszierungen, alſo
auch mit den hier beſchriebenen Vorſchlaͤgen, und uͤbrigen weſentlichen
Manieren, viel Misbrauch. Sie laſſen, ſo zu ſagen, faſt keine Note,
wo es nur irgend die Zeit, oder ihre Finger geſtatten, ohne Zuſatz hoͤren.
Sie machen den Geſang entweder durch uͤberhaͤufte Vorſchlaͤge und Ab-
zuͤge zu matt; oder durch einen Ueberfluß von ganzen und halben Trillern,
Mordanten, Doppelſchlaͤgen, battemens, u. d. gl. zu bunt. Sie bringen
dieſelben oͤfters bey Noten an, wobey doch ein nur halb geſundes muſikali-
ſches Gehoͤr begreift, daß ſie ſich nicht hinſchicken. Hat etwan ein be-
ruͤhmter Saͤnger, in einem Lande, eine mehr als gemeine Annehmlichkeit
bey Anbringung der Vorſchlaͤge: Gleich faͤngt die Haͤlfte der Saͤnger ſei-
ner Nation an zu heulen; und auch den lebhafteſten Stuͤcken, durch ihr
abgeſchmacktes Wehklagen, das Feuer zu benehmen: und hierdurch glau-
ben ſie den Verdienſten jenes beruͤhmten Saͤngers nahe zu kommen, wo
nicht gar, ſie zu uͤbertreffen. Es iſt wahr, die oben beſchriebenen Zierra-
then ſind zum guten Vortrage hoͤchſtnoͤthig. Deſſen ungeachtet muß
man doch ſparſam mit ihnen umgehen; wenn man des Guten nicht zu viel
thun will. Die rareſte und ſchmackhafteſte Speiſe machet uns Ekel, wenn
wir ihrer zu viel genießen muͤſſen. Eben ſo geht es mit den Auszierun-
gen in der Muſik; wenn man mit denſelben zu verſchwenderiſch umgeht,
und das Gehoͤr zu uͤberſchuͤtten ſuchet. Ein praͤchtiger, erhabener und
lebhafter Geſang, kann durch uͤbel angebrachte Vorſchlaͤge niedrig und
einfaͤltig; ein trauriger und zaͤrtlicher Geſang hingegen, durch uͤberhaͤufte
Triller und andere kleine Manieren zu luſtig und zu frech gemachet, und
die vernuͤnftige Denkart des Componiſten verſtuͤmmelt werden. Hieraus
nun iſt zu erſehen, daß die Auszierungen ſowohl ein Stuͤck, wo es noͤthig
iſt, verbeſſern, als auch, wenn ſie zur Unzeit kommen, verſchlimmern koͤn-
nen. Diejenigen, welche ſich den guten Geſchmack zwar wuͤnſchen, ihn
aber nicht beſitzen, fallen am leichteſten in dieſes Verſehen. Aus Man-
gel der zaͤrtlichen Empfindung, wiſſen ſie mit dem ſimpeln Geſange nicht
umzugehen. Ueber der edlen Einfalt wird ihnen, ſo zu ſagen, die Zeit zu
lang. Wer nun dergleichen Fehler nicht begehen will; der gewoͤhne ſich
bey Zeiten, weder zu ſimpel, noch zu bunt, zu ſingen oder zu ſpielen;
ſondern das Simple mit dem Brillanten immer zu vermiſchen. Mit den
kleinen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuch_1752/100>, abgerufen am 22.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.