Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Purtscheller, Ludwig: Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus und der alpinen Technik in den Deutschen und Oesterreichischen Alpen. In: Zeitschrift des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins. Band XXV. Berlin, 1894, S. 95-176.

Bild:
<< vorherige Seite

Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus.
hinein dringt der Pfiff der Lokomotive wie der Weckruf
einer neuen Zeit. 1854 fuhr der erste Eisenbahnzug über den
Semmering, 1860 wurde die Bahn Wien-Salzburg-München und
1867 die Brennerbahn eröffnet, 1871 und 1872 folgten die Puster-
thaler- und Rudolfsbahn, 1875 die Giselabahn und 1884 die
Arlbergbahn. Von grosser Bedeutung erwies sich auch die Anlage
von Kunststrassen, von denen - ausser der schon seit 1825 be-
stehenden Stilfserjochstrasse - die Iselbergstrasse, die Strasse
durch das Ennebergthal, die Eggenthalstrasse, die Mendelstrasse,
die Suldenerstrasse und die im Bau befindliche Strasse Kaprun-
Moserboden die wichtigsten sind.

Eine sehr grosse Erleichterung und Bequemlichkeit erwuchs
den Alpenreisenden, insbesondere den Hochtouristen, durch die
zahlreichen Weg- und Hüttenbauten der alpinen Vereine. Die in
das Gebiet der Ost-Alpen fallenden Arbeiten und Errichtungen
dieser Art gehören zu den besten und mustergültigsten in der
ganzen Alpenwelt.



II.

Die Freude an den Bergen, die Lust an den Herrlichkeiten,
die das Hochgebirge hinter seinen Wällen eifersüchtig verwahrt
hält, erfüllen nicht nur das Herz des Hochländers, der dort
daheim ist. An der Erschliessung der Gebirgswelt betheiligten
sich die Bewohner des Flachlandes in fast noch grösserer Zahl,
als die Gebirgsbewohner selbst. Die Berichte der ersten Alpen-
pioniere erzählten dem verweichlichten Volke der Städte von den
Wundern des hohen Eises, von der Grösse und Pracht der
Gesichtskreise, von der Vorwelt hehren Gestalten. Aus den Bildern
der Künstler ahnte der Bewohner der Ebene, dass es schön und
herrlich sein müsse, hoch oben auf den weitausblickenden Gipfeln,
in der Kühlung der Wasserstürze.

Der Weck- und Wanderruf, der immer stärker, immer ein-
dringlicher durch die deutschen Gaue erscholl, fand freudigen
Widerhall im Herzen unserer Volksgenossen. Aus den Wogen-
gefilden des Baltischen Meeres und der Nordsee, von dem tannen-
frohen Thüringen und dem sonnigen, poesieverklärten Schwaben,
von den rebenbekränzten Ufern des Rheins, von der Elbe und
Oder, vom nachbarlichen Bayerlande kamen sie in dichten Schaaren
herbei: um Geist und Körper an dem Urquell alles Schönen zu

8*

Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus.
hinein dringt der Pfiff der Lokomotive wie der Weckruf
einer neuen Zeit. 1854 fuhr der erste Eisenbahnzug über den
Semmering, 1860 wurde die Bahn Wien-Salzburg-München und
1867 die Brennerbahn eröffnet, 1871 und 1872 folgten die Puster-
thaler- und Rudolfsbahn, 1875 die Giselabahn und 1884 die
Arlbergbahn. Von grosser Bedeutung erwies sich auch die Anlage
von Kunststrassen, von denen – ausser der schon seit 1825 be-
stehenden Stilfserjochstrasse – die Iselbergstrasse, die Strasse
durch das Ennebergthal, die Eggenthalstrasse, die Mendelstrasse,
die Suldenerstrasse und die im Bau befindliche Strasse Kaprun-
Moserboden die wichtigsten sind.

Eine sehr grosse Erleichterung und Bequemlichkeit erwuchs
den Alpenreisenden, insbesondere den Hochtouristen, durch die
zahlreichen Weg- und Hüttenbauten der alpinen Vereine. Die in
das Gebiet der Ost-Alpen fallenden Arbeiten und Errichtungen
dieser Art gehören zu den besten und mustergültigsten in der
ganzen Alpenwelt.



II.

Die Freude an den Bergen, die Lust an den Herrlichkeiten,
die das Hochgebirge hinter seinen Wällen eifersüchtig verwahrt
hält, erfüllen nicht nur das Herz des Hochländers, der dort
daheim ist. An der Erschliessung der Gebirgswelt betheiligten
sich die Bewohner des Flachlandes in fast noch grösserer Zahl,
als die Gebirgsbewohner selbst. Die Berichte der ersten Alpen-
pioniere erzählten dem verweichlichten Volke der Städte von den
Wundern des hohen Eises, von der Grösse und Pracht der
Gesichtskreise, von der Vorwelt hehren Gestalten. Aus den Bildern
der Künstler ahnte der Bewohner der Ebene, dass es schön und
herrlich sein müsse, hoch oben auf den weitausblickenden Gipfeln,
in der Kühlung der Wasserstürze.

Der Weck- und Wanderruf, der immer stärker, immer ein-
dringlicher durch die deutschen Gaue erscholl, fand freudigen
Widerhall im Herzen unserer Volksgenossen. Aus den Wogen-
gefilden des Baltischen Meeres und der Nordsee, von dem tannen-
frohen Thüringen und dem sonnigen, poesieverklärten Schwaben,
von den rebenbekränzten Ufern des Rheins, von der Elbe und
Oder, vom nachbarlichen Bayerlande kamen sie in dichten Schaaren
herbei: um Geist und Körper an dem Urquell alles Schönen zu

8*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0021" n="115"/><fw place="top" type="header">Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus.<lb/></fw>hinein
 dringt der Pfiff der Lokomotive wie der Weckruf<lb/>
einer neuen Zeit. 1854 fuhr der erste
 Eisenbahnzug über den<lb/>
Semmering, 1860 wurde die Bahn Wien-Salzburg-München und<lb/>
1867 die
 Brennerbahn eröffnet, 1871 und 1872 folgten die Puster-<lb/>
thaler- und Rudolfsbahn, 1875 die
 Giselabahn und 1884 die<lb/>
Arlbergbahn. Von grosser Bedeutung erwies sich auch die Anlage<lb/>
von
 Kunststrassen, von denen &#x2013; ausser der schon seit 1825 be-<lb/>
stehenden Stilfserjochstrasse &#x2013; die
 Iselbergstrasse, die Strasse<lb/>
durch das Ennebergthal, die Eggenthalstrasse, die
 Mendelstrasse,<lb/>
die Suldenerstrasse und die im Bau befindliche Strasse Kaprun-<lb/>
Moserboden die
 wichtigsten sind.</p><lb/>
          <p>Eine sehr grosse Erleichterung und Bequemlichkeit erwuchs<lb/>
den Alpenreisenden, insbesondere
 den Hochtouristen, durch die<lb/>
zahlreichen Weg- und Hüttenbauten der alpinen Vereine. Die
 in<lb/>
das Gebiet der Ost-Alpen fallenden Arbeiten und Errichtungen<lb/>
dieser Art gehören zu den
 besten und mustergültigsten in der<lb/>
ganzen Alpenwelt.</p><lb/>
        </div>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">II.</hi> </head><lb/>
          <p>Die Freude an den Bergen, die Lust an den Herrlichkeiten,<lb/>
die das Hochgebirge hinter seinen
 Wällen eifersüchtig verwahrt<lb/>
hält, erfüllen nicht nur das Herz des Hochländers, der
 dort<lb/>
daheim ist. An der Erschliessung der Gebirgswelt betheiligten<lb/>
sich die Bewohner des
 Flachlandes in fast noch grösserer Zahl,<lb/>
als die Gebirgsbewohner selbst. Die Berichte der ersten
 Alpen-<lb/>
pioniere erzählten dem verweichlichten Volke der Städte von den<lb/>
Wundern des hohen
 Eises, von der Grösse und Pracht der<lb/>
Gesichtskreise, von der Vorwelt hehren Gestalten. Aus den
 Bildern<lb/>
der Künstler ahnte der Bewohner der Ebene, dass es schön und<lb/>
herrlich sein müsse,
 hoch oben auf den weitausblickenden Gipfeln,<lb/>
in der Kühlung der Wasserstürze.</p><lb/>
          <p>Der Weck- und Wanderruf, der immer stärker, immer ein-<lb/>
dringlicher durch die deutschen Gaue
 erscholl, fand freudigen<lb/>
Widerhall im Herzen unserer Volksgenossen. Aus den Wogen-<lb/>
gefilden
 des Baltischen Meeres und der Nordsee, von dem tannen-<lb/>
frohen Thüringen und dem sonnigen,
 poesieverklärten Schwaben,<lb/>
von den rebenbekränzten Ufern des Rheins, von der Elbe und<lb/>
Oder,
 vom nachbarlichen Bayerlande kamen sie in dichten Schaaren<lb/>
herbei: um Geist und Körper an dem
 Urquell alles Schönen zu<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">8*</fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[115/0021] Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus. hinein dringt der Pfiff der Lokomotive wie der Weckruf einer neuen Zeit. 1854 fuhr der erste Eisenbahnzug über den Semmering, 1860 wurde die Bahn Wien-Salzburg-München und 1867 die Brennerbahn eröffnet, 1871 und 1872 folgten die Puster- thaler- und Rudolfsbahn, 1875 die Giselabahn und 1884 die Arlbergbahn. Von grosser Bedeutung erwies sich auch die Anlage von Kunststrassen, von denen – ausser der schon seit 1825 be- stehenden Stilfserjochstrasse – die Iselbergstrasse, die Strasse durch das Ennebergthal, die Eggenthalstrasse, die Mendelstrasse, die Suldenerstrasse und die im Bau befindliche Strasse Kaprun- Moserboden die wichtigsten sind. Eine sehr grosse Erleichterung und Bequemlichkeit erwuchs den Alpenreisenden, insbesondere den Hochtouristen, durch die zahlreichen Weg- und Hüttenbauten der alpinen Vereine. Die in das Gebiet der Ost-Alpen fallenden Arbeiten und Errichtungen dieser Art gehören zu den besten und mustergültigsten in der ganzen Alpenwelt. II. Die Freude an den Bergen, die Lust an den Herrlichkeiten, die das Hochgebirge hinter seinen Wällen eifersüchtig verwahrt hält, erfüllen nicht nur das Herz des Hochländers, der dort daheim ist. An der Erschliessung der Gebirgswelt betheiligten sich die Bewohner des Flachlandes in fast noch grösserer Zahl, als die Gebirgsbewohner selbst. Die Berichte der ersten Alpen- pioniere erzählten dem verweichlichten Volke der Städte von den Wundern des hohen Eises, von der Grösse und Pracht der Gesichtskreise, von der Vorwelt hehren Gestalten. Aus den Bildern der Künstler ahnte der Bewohner der Ebene, dass es schön und herrlich sein müsse, hoch oben auf den weitausblickenden Gipfeln, in der Kühlung der Wasserstürze. Der Weck- und Wanderruf, der immer stärker, immer ein- dringlicher durch die deutschen Gaue erscholl, fand freudigen Widerhall im Herzen unserer Volksgenossen. Aus den Wogen- gefilden des Baltischen Meeres und der Nordsee, von dem tannen- frohen Thüringen und dem sonnigen, poesieverklärten Schwaben, von den rebenbekränzten Ufern des Rheins, von der Elbe und Oder, vom nachbarlichen Bayerlande kamen sie in dichten Schaaren herbei: um Geist und Körper an dem Urquell alles Schönen zu 8*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Gloning, Heike Müller, Bastian Schmidt, Sonja Bayer: Texterfassung und Korrekturen (2013-05-07T06:54:31Z)
Hannah Sophia Glaum: Konversion nach XML (2013-05-07T06:54:31Z)
Melanie Henss: Nachkorrekturen (2013-05-07T06:54:31Z)
ANNO – Historische österreichische Zeitungen und Zeitschriften: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-05-07T06:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Seiten- und Zeilenumbrüche markiert. Silbentrennung entsprechend Vorlage.
  • Bogensignaturen/Kustoden und Kolumnentitel ausgezeichnet, Hervorhebungen ebenso.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/purtscheller_alpinismus_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/purtscheller_alpinismus_1894/21
Zitationshilfe: Purtscheller, Ludwig: Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus und der alpinen Technik in den Deutschen und Oesterreichischen Alpen. In: Zeitschrift des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins. Band XXV. Berlin, 1894, S. 95-176, hier S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/purtscheller_alpinismus_1894/21>, abgerufen am 22.12.2024.