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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

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gefesselt, das eine Pferd, welches die wüthendsten
Versuche machte, aufzukommen, und fortwährend mit
den Hinterfüßen gegen den zerbrochnen Deichselschaft
schlug, welcher auf diese Art mein alleiniger Retter
wurde, indem er die Schläge auffing, welche sonst
meinen Kopf zehnmal zerschmettert hätten. Fast eine
Viertelstunde hatte es gedauert, ehe man im Stande
war, mich und das Pferd loszumachen.

Seit dieser Zeit begegne ich nicht gern Leichenzügen.

Als Nachschrift zu dieser Erinnerung aus meinem
vergangnen Leben muß ich noch ein komisches Ele-
ment hinzufügen. Der überfahrne Knabe genaß völlig,
und sechs Wochen nach seiner und meiner Catastrophe
brachte mir ihn die Mutter rosig und im Sonntags-
staat ins Haus. Während ich ihn küßte, und der
Mutter ein letztes Geschenk einhändigte, rief diese
arme Frau unter Thränen der Freude: Ach Gott,
wenn mein Sohn doch täglich so überfahren würde!



Lange hatte ich die City, in der ich, wie Du weißt,
manchmal einen Tag zubringe, wie der Gourmand
zuweilen den Appetit mit einfacher Hausmannskost
erfrischt, nicht besucht, und widmete ihr daher den
gestrigen Tag.

Da ich (als deutscher Ritter) auch ein Bierbrauer
bin, so lenkte ich mein Cabriolet zuerst nach jener,

Briefe eines Verstorbenen IV. 8

gefeſſelt, das eine Pferd, welches die wüthendſten
Verſuche machte, aufzukommen, und fortwährend mit
den Hinterfüßen gegen den zerbrochnen Deichſelſchaft
ſchlug, welcher auf dieſe Art mein alleiniger Retter
wurde, indem er die Schläge auffing, welche ſonſt
meinen Kopf zehnmal zerſchmettert hätten. Faſt eine
Viertelſtunde hatte es gedauert, ehe man im Stande
war, mich und das Pferd loszumachen.

Seit dieſer Zeit begegne ich nicht gern Leichenzügen.

Als Nachſchrift zu dieſer Erinnerung aus meinem
vergangnen Leben muß ich noch ein komiſches Ele-
ment hinzufügen. Der überfahrne Knabe genaß völlig,
und ſechs Wochen nach ſeiner und meiner Cataſtrophe
brachte mir ihn die Mutter roſig und im Sonntags-
ſtaat ins Haus. Während ich ihn küßte, und der
Mutter ein letztes Geſchenk einhändigte, rief dieſe
arme Frau unter Thränen der Freude: Ach Gott,
wenn mein Sohn doch täglich ſo überfahren würde!



Lange hatte ich die City, in der ich, wie Du weißt,
manchmal einen Tag zubringe, wie der Gourmand
zuweilen den Appetit mit einfacher Hausmannskoſt
erfriſcht, nicht beſucht, und widmete ihr daher den
geſtrigen Tag.

Da ich (als deutſcher Ritter) auch ein Bierbrauer
bin, ſo lenkte ich mein Cabriolet zuerſt nach jener,

Briefe eines Verſtorbenen IV. 8
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[113/0129] gefeſſelt, das eine Pferd, welches die wüthendſten Verſuche machte, aufzukommen, und fortwährend mit den Hinterfüßen gegen den zerbrochnen Deichſelſchaft ſchlug, welcher auf dieſe Art mein alleiniger Retter wurde, indem er die Schläge auffing, welche ſonſt meinen Kopf zehnmal zerſchmettert hätten. Faſt eine Viertelſtunde hatte es gedauert, ehe man im Stande war, mich und das Pferd loszumachen. Seit dieſer Zeit begegne ich nicht gern Leichenzügen. Als Nachſchrift zu dieſer Erinnerung aus meinem vergangnen Leben muß ich noch ein komiſches Ele- ment hinzufügen. Der überfahrne Knabe genaß völlig, und ſechs Wochen nach ſeiner und meiner Cataſtrophe brachte mir ihn die Mutter roſig und im Sonntags- ſtaat ins Haus. Während ich ihn küßte, und der Mutter ein letztes Geſchenk einhändigte, rief dieſe arme Frau unter Thränen der Freude: Ach Gott, wenn mein Sohn doch täglich ſo überfahren würde! Den 28ſten. Lange hatte ich die City, in der ich, wie Du weißt, manchmal einen Tag zubringe, wie der Gourmand zuweilen den Appetit mit einfacher Hausmannskoſt erfriſcht, nicht beſucht, und widmete ihr daher den geſtrigen Tag. Da ich (als deutſcher Ritter) auch ein Bierbrauer bin, ſo lenkte ich mein Cabriolet zuerſt nach jener, Briefe eines Verſtorbenen IV. 8

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/129>, abgerufen am 23.11.2024.