Diesen Abend stattete ich Göthe meinen Besuch ab. Er empfing mich in einer dämmernd erleuchteten Stu- be, deren clair obscur nicht ohne einige künstlerische Coquetterie arrangirt war. Auch nahm sich der schöne Greis mit seinem Jupiters-Antlitz gar stattlich darin aus. Das Alter hat ihn nur verändert, kaum ge- schwächt, er ist vielleicht weniger lebhaft als sonst, aber desto gleicher und milder, und seine Unterhal- tung mehr von erhabener Ruhe als jenem blitzenden Feuer durchdrungen, das ihn ehemals, bei aller Grandezza, wohl zuweilen überraschte. Ich freute mich herzlich über seine gute Gesundheit, und äußerte scherzend, wie froh es mich mache, unsern Geister- König immer gleich majestätisch und wohlauf zu fin- den. "O, Sie sind zu gnädig," sagte er mit seiner immer noch nicht verwischten süddeutschen Weise, und lächelte norddeutsch, satyrisch dazu, "mir einen solchen Namen zu geben." "Nein," erwiederte ich, "wahrlich aus vollem Herzen, "nicht nur König, sondern sogar Despot, denn Sie reißen ja ganz Europa gewaltsam mit sich fort. Er verbeugte sich höflich, und befrug mich nun über einige Dinge, die meinen früheren Aufenthalt in Weimar betrafen, sagte mir dann auch viel Gütiges über M. und mein dortiges Streben, mild außernd, wie verdienstlich er es überall finde, den Schönheitssinn zu erwecken, es sey auf welche Art es wolle, wie aus dem Schönen dann immer auch das Gute und alles Edle sich mannichfach von
Den 14ten.
Dieſen Abend ſtattete ich Göthe meinen Beſuch ab. Er empfing mich in einer dämmernd erleuchteten Stu- be, deren clair obscur nicht ohne einige künſtleriſche Coquetterie arrangirt war. Auch nahm ſich der ſchöne Greis mit ſeinem Jupiters-Antlitz gar ſtattlich darin aus. Das Alter hat ihn nur verändert, kaum ge- ſchwächt, er iſt vielleicht weniger lebhaft als ſonſt, aber deſto gleicher und milder, und ſeine Unterhal- tung mehr von erhabener Ruhe als jenem blitzenden Feuer durchdrungen, das ihn ehemals, bei aller Grandezza, wohl zuweilen überraſchte. Ich freute mich herzlich über ſeine gute Geſundheit, und äußerte ſcherzend, wie froh es mich mache, unſern Geiſter- König immer gleich majeſtätiſch und wohlauf zu fin- den. „O, Sie ſind zu gnädig,“ ſagte er mit ſeiner immer noch nicht verwiſchten ſüddeutſchen Weiſe, und lächelte norddeutſch, ſatyriſch dazu, „mir einen ſolchen Namen zu geben.“ „Nein,“ erwiederte ich, „wahrlich aus vollem Herzen, „nicht nur König, ſondern ſogar Deſpot, denn Sie reißen ja ganz Europa gewaltſam mit ſich fort. Er verbeugte ſich höflich, und befrug mich nun über einige Dinge, die meinen früheren Aufenthalt in Weimar betrafen, ſagte mir dann auch viel Gütiges über M. und mein dortiges Streben, mild außernd, wie verdienſtlich er es überall finde, den Schönheitsſinn zu erwecken, es ſey auf welche Art es wolle, wie aus dem Schönen dann immer auch das Gute und alles Edle ſich mannichfach von
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0053"n="13"/><divn="2"><opener><dateline><hirendition="#et">Den 14ten.</hi></dateline></opener><lb/><p>Dieſen Abend ſtattete ich Göthe meinen Beſuch ab.<lb/>
Er empfing mich in einer dämmernd erleuchteten Stu-<lb/>
be, deren <hirendition="#aq">clair obscur</hi> nicht ohne einige künſtleriſche<lb/>
Coquetterie arrangirt war. Auch nahm ſich der ſchöne<lb/>
Greis mit ſeinem Jupiters-Antlitz gar ſtattlich darin<lb/>
aus. Das Alter hat ihn nur verändert, kaum ge-<lb/>ſchwächt, er iſt vielleicht weniger lebhaft als ſonſt,<lb/>
aber deſto gleicher und milder, und ſeine Unterhal-<lb/>
tung mehr von erhabener Ruhe als jenem blitzenden<lb/>
Feuer durchdrungen, das ihn ehemals, bei aller<lb/>
Grandezza, wohl zuweilen überraſchte. Ich freute<lb/>
mich herzlich über ſeine gute Geſundheit, und äußerte<lb/>ſcherzend, wie froh es mich mache, unſern Geiſter-<lb/>
König immer gleich majeſtätiſch und wohlauf zu fin-<lb/>
den. „O, Sie ſind zu <hirendition="#g">gnädig</hi>,“ſagte er mit ſeiner<lb/>
immer noch nicht verwiſchten ſüddeutſchen Weiſe, und<lb/>
lächelte norddeutſch, ſatyriſch dazu, „mir einen ſolchen<lb/>
Namen zu geben.“„Nein,“ erwiederte ich, „wahrlich<lb/>
aus vollem Herzen, „nicht nur König, ſondern ſogar<lb/>
Deſpot, denn Sie reißen ja ganz Europa gewaltſam<lb/>
mit ſich fort. Er verbeugte ſich höflich, und befrug<lb/>
mich nun über einige Dinge, die meinen früheren<lb/>
Aufenthalt in Weimar betrafen, ſagte mir dann auch<lb/>
viel Gütiges über M. und mein dortiges Streben,<lb/>
mild außernd, wie verdienſtlich er es überall finde,<lb/>
den Schönheitsſinn zu erwecken, es ſey auf welche<lb/>
Art es wolle, wie aus dem Schönen dann immer<lb/>
auch das Gute und alles Edle ſich mannichfach von<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[13/0053]
Den 14ten.
Dieſen Abend ſtattete ich Göthe meinen Beſuch ab.
Er empfing mich in einer dämmernd erleuchteten Stu-
be, deren clair obscur nicht ohne einige künſtleriſche
Coquetterie arrangirt war. Auch nahm ſich der ſchöne
Greis mit ſeinem Jupiters-Antlitz gar ſtattlich darin
aus. Das Alter hat ihn nur verändert, kaum ge-
ſchwächt, er iſt vielleicht weniger lebhaft als ſonſt,
aber deſto gleicher und milder, und ſeine Unterhal-
tung mehr von erhabener Ruhe als jenem blitzenden
Feuer durchdrungen, das ihn ehemals, bei aller
Grandezza, wohl zuweilen überraſchte. Ich freute
mich herzlich über ſeine gute Geſundheit, und äußerte
ſcherzend, wie froh es mich mache, unſern Geiſter-
König immer gleich majeſtätiſch und wohlauf zu fin-
den. „O, Sie ſind zu gnädig,“ ſagte er mit ſeiner
immer noch nicht verwiſchten ſüddeutſchen Weiſe, und
lächelte norddeutſch, ſatyriſch dazu, „mir einen ſolchen
Namen zu geben.“ „Nein,“ erwiederte ich, „wahrlich
aus vollem Herzen, „nicht nur König, ſondern ſogar
Deſpot, denn Sie reißen ja ganz Europa gewaltſam
mit ſich fort. Er verbeugte ſich höflich, und befrug
mich nun über einige Dinge, die meinen früheren
Aufenthalt in Weimar betrafen, ſagte mir dann auch
viel Gütiges über M. und mein dortiges Streben,
mild außernd, wie verdienſtlich er es überall finde,
den Schönheitsſinn zu erwecken, es ſey auf welche
Art es wolle, wie aus dem Schönen dann immer
auch das Gute und alles Edle ſich mannichfach von
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/53>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.