ungeheuren, gar nicht mehr zu erschwingenden Sum- men die Aufführung solcher Werke von Grund aus heut zu Tage kosten würden. Die arbeitenden Klas- sen, und zum Theil die Künstler, haben offenbar in unserer Zeit über die Verzehrenden den Vorsprung ge- wonnen, und ihre Arbeit ist daher so theuer gewor- den, daß etwas wirklich Großes in der Kunst nach diesem Maaßstabe kaum mehr bezahlt werden könnte, denn für die Summe, welche ehemals ein Götter- werk Raphaels erkaufte, kann man heute (selbst ver- hältnißmäßig in Hinsicht auf den geringern Geld- werth) kein Portrait von Thomas Lawrence mehr erstehen. Der botanische Garten schloß unsre Prome- nade, enthält aber nichts, das des Aufzeichnens werth wäre. Ich erlöse Dich daher für jetzt, meine gute Julie. Mais c'est a y revenir demain.
Buckingham, den 10ten.
Es ist sündlich, wie mein Privat-Tagebuch seit lange schon von mir vernachlässigt wird! Je mehr die Reisebriefe an Dich anschwellen, je mehr schrumpft jenes unglückliche Journal zusammen. Wenn Du diese Briefe verbrannt hast, werde ich gar nicht mehr wissen, was in jener Zeit aus mir geworden ist. Denke Dir wie unangenehm, vor seinem eignen Gedächtniß zu verschwinden! Ja, meine Einbildungskraft ist durch
ungeheuren, gar nicht mehr zu erſchwingenden Sum- men die Aufführung ſolcher Werke von Grund aus heut zu Tage koſten würden. Die arbeitenden Klaſ- ſen, und zum Theil die Künſtler, haben offenbar in unſerer Zeit über die Verzehrenden den Vorſprung ge- wonnen, und ihre Arbeit iſt daher ſo theuer gewor- den, daß etwas wirklich Großes in der Kunſt nach dieſem Maaßſtabe kaum mehr bezahlt werden könnte, denn für die Summe, welche ehemals ein Götter- werk Raphaels erkaufte, kann man heute (ſelbſt ver- hältnißmäßig in Hinſicht auf den geringern Geld- werth) kein Portrait von Thomas Lawrence mehr erſtehen. Der botaniſche Garten ſchloß unſre Prome- nade, enthält aber nichts, das des Aufzeichnens werth wäre. Ich erlöſe Dich daher für jetzt, meine gute Julie. Mais c’est à y revenir demain.
Buckingham, den 10ten.
Es iſt ſündlich, wie mein Privat-Tagebuch ſeit lange ſchon von mir vernachläſſigt wird! Je mehr die Reiſebriefe an Dich anſchwellen, je mehr ſchrumpft jenes unglückliche Journal zuſammen. Wenn Du dieſe Briefe verbrannt haſt, werde ich gar nicht mehr wiſſen, was in jener Zeit aus mir geworden iſt. Denke Dir wie unangenehm, vor ſeinem eignen Gedächtniß zu verſchwinden! Ja, meine Einbildungskraft iſt durch
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0339"n="293"/>
ungeheuren, gar nicht mehr zu erſchwingenden Sum-<lb/>
men die Aufführung ſolcher Werke von Grund aus<lb/>
heut zu Tage koſten würden. Die arbeitenden Klaſ-<lb/>ſen, und zum Theil die Künſtler, haben offenbar in<lb/>
unſerer Zeit über die Verzehrenden den Vorſprung ge-<lb/>
wonnen, und ihre Arbeit iſt daher ſo theuer gewor-<lb/>
den, daß etwas wirklich Großes in der Kunſt nach<lb/>
dieſem Maaßſtabe kaum mehr bezahlt werden könnte,<lb/>
denn für die Summe, welche ehemals ein Götter-<lb/>
werk Raphaels erkaufte, kann man heute (ſelbſt ver-<lb/>
hältnißmäßig in Hinſicht auf den geringern Geld-<lb/>
werth) kein Portrait von Thomas Lawrence mehr<lb/>
erſtehen. Der botaniſche Garten ſchloß unſre Prome-<lb/>
nade, enthält aber nichts, das des Aufzeichnens<lb/>
werth wäre. Ich erlöſe Dich daher für jetzt, meine<lb/>
gute Julie. <hirendition="#aq">Mais c’est à y revenir demain.</hi></p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><opener><dateline><hirendition="#et">Buckingham, den 10ten.</hi></dateline></opener><lb/><p>Es iſt ſündlich, wie mein Privat-Tagebuch ſeit<lb/>
lange ſchon von mir vernachläſſigt wird! Je mehr die<lb/>
Reiſebriefe an Dich anſchwellen, je mehr ſchrumpft jenes<lb/>
unglückliche Journal zuſammen. Wenn Du dieſe Briefe<lb/>
verbrannt haſt, werde ich gar nicht mehr wiſſen,<lb/>
was in jener Zeit aus mir geworden iſt. Denke Dir<lb/>
wie unangenehm, vor ſeinem eignen Gedächtniß zu<lb/>
verſchwinden! Ja, meine Einbildungskraft iſt durch<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[293/0339]
ungeheuren, gar nicht mehr zu erſchwingenden Sum-
men die Aufführung ſolcher Werke von Grund aus
heut zu Tage koſten würden. Die arbeitenden Klaſ-
ſen, und zum Theil die Künſtler, haben offenbar in
unſerer Zeit über die Verzehrenden den Vorſprung ge-
wonnen, und ihre Arbeit iſt daher ſo theuer gewor-
den, daß etwas wirklich Großes in der Kunſt nach
dieſem Maaßſtabe kaum mehr bezahlt werden könnte,
denn für die Summe, welche ehemals ein Götter-
werk Raphaels erkaufte, kann man heute (ſelbſt ver-
hältnißmäßig in Hinſicht auf den geringern Geld-
werth) kein Portrait von Thomas Lawrence mehr
erſtehen. Der botaniſche Garten ſchloß unſre Prome-
nade, enthält aber nichts, das des Aufzeichnens
werth wäre. Ich erlöſe Dich daher für jetzt, meine
gute Julie. Mais c’est à y revenir demain.
Buckingham, den 10ten.
Es iſt ſündlich, wie mein Privat-Tagebuch ſeit
lange ſchon von mir vernachläſſigt wird! Je mehr die
Reiſebriefe an Dich anſchwellen, je mehr ſchrumpft jenes
unglückliche Journal zuſammen. Wenn Du dieſe Briefe
verbrannt haſt, werde ich gar nicht mehr wiſſen,
was in jener Zeit aus mir geworden iſt. Denke Dir
wie unangenehm, vor ſeinem eignen Gedächtniß zu
verſchwinden! Ja, meine Einbildungskraft iſt durch
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/339>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.