Um zwei Uhr in der Nacht verließ ich London, diesmal recht krank, und sehr widrig gestimmt, in Harmonie mit dem Wetter, das, ganz a l'anglaise, stürmte, wie auf der See, und goß, wie mit Kan- nen. Als aber gegen acht Uhr der Himmel sich auf- klärte, ich beim sanften und raschen Rollen des Wa- gens ein wenig geschlummert hatte, und durch den Regen erfrischt, nun alles smaragd grün glänzte, und ein herrlicher Duft von den Wiesen und Blu- men in das offene Wagenfenster drang -- da ward Dein von Sorgen gedrückter, grämlicher Freund wie- der auf einige Augenblicke das harmlose, in Gott und der schönen Welt vergnügte Kind. Reisen ist in der That in England äußerst ergötzlich -- könnte ich nur Deine Freude daran sehen, sie selbst in
*) Dieser Name ist ein fingirter, weil wir nicht autori- sirt sind, den wahren herzusetzen. So haben wir auch einige andere Namen-Bezeichnungen, und Andeutungen gesellschaftlicher Verhältnisse maskiren zu müssen ge- glaubt. Anm. d. Herausg.
Briefe eines Verstorbenen I. 1
Fuͤnf und zwanzigſter Brief.
Cheltenham, den 12. Juli 1828.
Meine theure Julie*).
Um zwei Uhr in der Nacht verließ ich London, diesmal recht krank, und ſehr widrig geſtimmt, in Harmonie mit dem Wetter, das, ganz à l’anglaise, ſtürmte, wie auf der See, und goß, wie mit Kan- nen. Als aber gegen acht Uhr der Himmel ſich auf- klärte, ich beim ſanften und raſchen Rollen des Wa- gens ein wenig geſchlummert hatte, und durch den Regen erfriſcht, nun alles ſmaragd grün glänzte, und ein herrlicher Duft von den Wieſen und Blu- men in das offene Wagenfenſter drang — da ward Dein von Sorgen gedrückter, grämlicher Freund wie- der auf einige Augenblicke das harmloſe, in Gott und der ſchönen Welt vergnügte Kind. Reiſen iſt in der That in England äußerſt ergötzlich — könnte ich nur Deine Freude daran ſehen, ſie ſelbſt in
*) Dieſer Name iſt ein fingirter, weil wir nicht autori- ſirt ſind, den wahren herzuſetzen. So haben wir auch einige andere Namen-Bezeichnungen, und Andeutungen geſellſchaftlicher Verhältniſſe maskiren zu müſſen ge- glaubt. Anm. d. Herausg.
Briefe eines Verſtorbenen I. 1
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Fuͤnf und zwanzigſter Brief.
Cheltenham, den 12. Juli 1828.
Meine theure Julie *).
Um zwei Uhr in der Nacht verließ ich London,
diesmal recht krank, und ſehr widrig geſtimmt, in
Harmonie mit dem Wetter, das, ganz à l’anglaise,
ſtürmte, wie auf der See, und goß, wie mit Kan-
nen. Als aber gegen acht Uhr der Himmel ſich auf-
klärte, ich beim ſanften und raſchen Rollen des Wa-
gens ein wenig geſchlummert hatte, und durch den
Regen erfriſcht, nun alles ſmaragd grün glänzte,
und ein herrlicher Duft von den Wieſen und Blu-
men in das offene Wagenfenſter drang — da ward
Dein von Sorgen gedrückter, grämlicher Freund wie-
der auf einige Augenblicke das harmloſe, in Gott
und der ſchönen Welt vergnügte Kind. Reiſen iſt
in der That in England äußerſt ergötzlich — könnte
ich nur Deine Freude daran ſehen, ſie ſelbſt in
*) Dieſer Name iſt ein fingirter, weil wir nicht autori-
ſirt ſind, den wahren herzuſetzen. So haben wir auch
einige andere Namen-Bezeichnungen, und Andeutungen
geſellſchaftlicher Verhältniſſe maskiren zu müſſen ge-
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Briefe eines Verſtorbenen I. 1
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/25>, abgerufen am 23.02.2025.
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