Der gemeine Mann in England giebt auf Nang überhaupt wenig, auf fremden gar nichts. Nur die mittlere Klasse ist hierin sclavisch, und prahlt gern mit einem fremden Nobleman, weil sie ihrer eignen stolzen Aristokraten nicht habhaft werden kann. Der englische Edelmann selbst aber hält sich, auch der Geringste ihrer Lords, im Grunde des Herzens für mehr als den König von Frankreich.
Uebrigens ist diese Art zu reisen für Jemand, der nicht blos Ortsveränderung beabsichtigt, oder sich durch größere Ehrfurcht der Gastwirthe und Kellner geschmeichelt fühlt, gewiß die, welche der gewöhn- lichen Art die große Tour zu machen vorzuziehen wäre, da die verminderte Bequemlichkeit durch so viel Lehrreiches und Angenehmes aufgewogen wird, daß man bei dem Tausche hundertfach gewinnen muß.
Dublin, den 1ten September.
Meinen Rückweg von Bray nahm ich diesmal über Kingston, längs der Küste auf einem rauhen, aber sehr romantischen Wege. Eine Unzahl von Bettlern standen an der Straße, denen es jedoch nicht an Be- triebsamkeit fehlte, denn eine alte Frau unter an- dern sammelte emsig etwas weißen Sand auf der Straße, der von einer Wagenladung durch die Bret- ter gefallen war. Warum konnte man den Armen nicht eine Stunde lang die Schätze unsres Sand-
14*
Der gemeine Mann in England giebt auf Nang überhaupt wenig, auf fremden gar nichts. Nur die mittlere Klaſſe iſt hierin ſclaviſch, und prahlt gern mit einem fremden Nobleman, weil ſie ihrer eignen ſtolzen Ariſtokraten nicht habhaft werden kann. Der engliſche Edelmann ſelbſt aber hält ſich, auch der Geringſte ihrer Lords, im Grunde des Herzens für mehr als den König von Frankreich.
Uebrigens iſt dieſe Art zu reiſen für Jemand, der nicht blos Ortsveränderung beabſichtigt, oder ſich durch größere Ehrfurcht der Gaſtwirthe und Kellner geſchmeichelt fühlt, gewiß die, welche der gewöhn- lichen Art die große Tour zu machen vorzuziehen wäre, da die verminderte Bequemlichkeit durch ſo viel Lehrreiches und Angenehmes aufgewogen wird, daß man bei dem Tauſche hundertfach gewinnen muß.
Dublin, den 1ten September.
Meinen Rückweg von Bray nahm ich diesmal über Kingſton, längs der Küſte auf einem rauhen, aber ſehr romantiſchen Wege. Eine Unzahl von Bettlern ſtanden an der Straße, denen es jedoch nicht an Be- triebſamkeit fehlte, denn eine alte Frau unter an- dern ſammelte emſig etwas weißen Sand auf der Straße, der von einer Wagenladung durch die Bret- ter gefallen war. Warum konnte man den Armen nicht eine Stunde lang die Schätze unſres Sand-
14*
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0235"n="211"/>
Der gemeine Mann in England giebt auf Nang<lb/>
überhaupt wenig, auf fremden gar nichts. Nur die<lb/>
mittlere Klaſſe iſt hierin ſclaviſch, und prahlt gern<lb/>
mit einem fremden Nobleman, weil ſie ihrer eignen<lb/>ſtolzen Ariſtokraten nicht habhaft werden kann. Der<lb/>
engliſche Edelmann ſelbſt aber <choice><sic>hȧlt</sic><corr>hält</corr></choice>ſich, auch der<lb/>
Geringſte ihrer Lords, im Grunde des Herzens für<lb/>
mehr als den König von Frankreich.</p><lb/><p>Uebrigens iſt dieſe Art zu reiſen für Jemand, der<lb/>
nicht blos Ortsveränderung beabſichtigt, oder ſich<lb/>
durch größere Ehrfurcht der Gaſtwirthe und Kellner<lb/>
geſchmeichelt fühlt, gewiß die, welche der gewöhn-<lb/>
lichen Art die große Tour zu machen vorzuziehen<lb/>
wäre, da die verminderte Bequemlichkeit durch ſo<lb/>
viel Lehrreiches und Angenehmes aufgewogen wird,<lb/>
daß man bei dem Tauſche hundertfach gewinnen<lb/>
muß.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><opener><dateline><hirendition="#et">Dublin, den 1<hirendition="#sup">ten</hi> September.</hi></dateline></opener><lb/><p>Meinen Rückweg von Bray nahm ich diesmal über<lb/>
Kingſton, längs der Küſte auf einem rauhen, aber<lb/>ſehr romantiſchen Wege. Eine Unzahl von Bettlern<lb/>ſtanden an der Straße, denen es jedoch nicht an Be-<lb/>
triebſamkeit fehlte, denn eine alte Frau unter an-<lb/>
dern ſammelte emſig etwas weißen Sand auf der<lb/>
Straße, der von einer Wagenladung durch die Bret-<lb/>
ter gefallen war. Warum konnte man den Armen<lb/>
nicht eine Stunde lang die Schätze unſres Sand-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">14*</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[211/0235]
Der gemeine Mann in England giebt auf Nang
überhaupt wenig, auf fremden gar nichts. Nur die
mittlere Klaſſe iſt hierin ſclaviſch, und prahlt gern
mit einem fremden Nobleman, weil ſie ihrer eignen
ſtolzen Ariſtokraten nicht habhaft werden kann. Der
engliſche Edelmann ſelbſt aber hält ſich, auch der
Geringſte ihrer Lords, im Grunde des Herzens für
mehr als den König von Frankreich.
Uebrigens iſt dieſe Art zu reiſen für Jemand, der
nicht blos Ortsveränderung beabſichtigt, oder ſich
durch größere Ehrfurcht der Gaſtwirthe und Kellner
geſchmeichelt fühlt, gewiß die, welche der gewöhn-
lichen Art die große Tour zu machen vorzuziehen
wäre, da die verminderte Bequemlichkeit durch ſo
viel Lehrreiches und Angenehmes aufgewogen wird,
daß man bei dem Tauſche hundertfach gewinnen
muß.
Dublin, den 1ten September.
Meinen Rückweg von Bray nahm ich diesmal über
Kingſton, längs der Küſte auf einem rauhen, aber
ſehr romantiſchen Wege. Eine Unzahl von Bettlern
ſtanden an der Straße, denen es jedoch nicht an Be-
triebſamkeit fehlte, denn eine alte Frau unter an-
dern ſammelte emſig etwas weißen Sand auf der
Straße, der von einer Wagenladung durch die Bret-
ter gefallen war. Warum konnte man den Armen
nicht eine Stunde lang die Schätze unſres Sand-
14*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/235>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.