Da ich die Stadt nun hinlänglich gesehen, begann ich heute meine Spazierritte in der Umgegend, die sich weit schöner entfaltet, als ich bei meiner Ankunft, grade von der unvortheilhaftesten Seite, voraussetzen durfte. Ein Weg mit reizenden Aussichten, erstens auf den Golf, den ein Molo von 3 Meilen Länge durchschneidet, und den, gleich zwei Säulen, die Leuchtthürme von Dublin und Howth schließen; dann auf die bewaldeten Berge von Wicklow, deren einige wie Zuckerhüte sich hoch über die andern erheben, und zuletzt durch eine Allee uralter Rüstern, längs des Canales führend, brachte mich in den Phönirpark, der Prater Dublins, welcher dem Wiener nicht nach- steht weder an Umfang noch schönen Rasenflächen zum Reiten, langen Alleen zum Fahren, und schatti- gen Spaziergängen. Dem Herzog von Wellington ist hier ein großer, aber schlecht proportionirter, Obe- lisk errichtet, und der Lord Lieutenant hat, auch im Bezirk des Parks, einen hübschen, von Gärten ein- geschlossenen Sommerpallast. Ich fand im Ganzen den Park ziemlich leer, dagegen die Straßen der Stadt, durch welche ich meinen Rückweg nahm, desto belebter von Handel und Wandel. Der Schmuz, die Armuth und die zerlumpte Tracht des gemeinen Mannes übersteigt oft allen Glauben. Dennoch schei- nen die Leute stets guter Dinge, und zeigten zuwei- len auf offner Straße Anwandlungen von Lustigkeit, die an Verrücktheit gränzten. Gewöhnlich ist der
Briefe eines Verstorbenen. I. 11
den 13ten.
Da ich die Stadt nun hinlänglich geſehen, begann ich heute meine Spazierritte in der Umgegend, die ſich weit ſchöner entfaltet, als ich bei meiner Ankunft, grade von der unvortheilhafteſten Seite, vorausſetzen durfte. Ein Weg mit reizenden Ausſichten, erſtens auf den Golf, den ein Molo von 3 Meilen Länge durchſchneidet, und den, gleich zwei Säulen, die Leuchtthürme von Dublin und Howth ſchließen; dann auf die bewaldeten Berge von Wicklow, deren einige wie Zuckerhüte ſich hoch über die andern erheben, und zuletzt durch eine Allee uralter Rüſtern, längs des Canales führend, brachte mich in den Phönirpark, der Prater Dublins, welcher dem Wiener nicht nach- ſteht weder an Umfang noch ſchönen Raſenflächen zum Reiten, langen Alleen zum Fahren, und ſchatti- gen Spaziergängen. Dem Herzog von Wellington iſt hier ein großer, aber ſchlecht proportionirter, Obe- lisk errichtet, und der Lord Lieutenant hat, auch im Bezirk des Parks, einen hübſchen, von Gärten ein- geſchloſſenen Sommerpallaſt. Ich fand im Ganzen den Park ziemlich leer, dagegen die Straßen der Stadt, durch welche ich meinen Rückweg nahm, deſto belebter von Handel und Wandel. Der Schmuz, die Armuth und die zerlumpte Tracht des gemeinen Mannes überſteigt oft allen Glauben. Dennoch ſchei- nen die Leute ſtets guter Dinge, und zeigten zuwei- len auf offner Straße Anwandlungen von Luſtigkeit, die an Verrücktheit gränzten. Gewöhnlich iſt der
Briefe eines Verſtorbenen. I. 11
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den 13ten.
Da ich die Stadt nun hinlänglich geſehen, begann
ich heute meine Spazierritte in der Umgegend, die
ſich weit ſchöner entfaltet, als ich bei meiner Ankunft,
grade von der unvortheilhafteſten Seite, vorausſetzen
durfte. Ein Weg mit reizenden Ausſichten, erſtens
auf den Golf, den ein Molo von 3 Meilen Länge
durchſchneidet, und den, gleich zwei Säulen, die
Leuchtthürme von Dublin und Howth ſchließen; dann
auf die bewaldeten Berge von Wicklow, deren einige
wie Zuckerhüte ſich hoch über die andern erheben,
und zuletzt durch eine Allee uralter Rüſtern, längs
des Canales führend, brachte mich in den Phönirpark,
der Prater Dublins, welcher dem Wiener nicht nach-
ſteht weder an Umfang noch ſchönen Raſenflächen
zum Reiten, langen Alleen zum Fahren, und ſchatti-
gen Spaziergängen. Dem Herzog von Wellington
iſt hier ein großer, aber ſchlecht proportionirter, Obe-
lisk errichtet, und der Lord Lieutenant hat, auch im
Bezirk des Parks, einen hübſchen, von Gärten ein-
geſchloſſenen Sommerpallaſt. Ich fand im Ganzen
den Park ziemlich leer, dagegen die Straßen der
Stadt, durch welche ich meinen Rückweg nahm, deſto
belebter von Handel und Wandel. Der Schmuz, die
Armuth und die zerlumpte Tracht des gemeinen
Mannes überſteigt oft allen Glauben. Dennoch ſchei-
nen die Leute ſtets guter Dinge, und zeigten zuwei-
len auf offner Straße Anwandlungen von Luſtigkeit,
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/185>, abgerufen am 21.11.2024.
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